Rechtsradikale Selbstverwirklichung:Rostocker kämpfen gegen Neonazi-Laden

Mitten in einem linken Szeneviertel in Rostock hat ein Rechtsradikaler einen Shop für Nazi-Souvenirs eröffnet - eine Provokation für die Bürger.

Arne Boecker

Torben Klebe denkt kurz nach. Dann findet er das passende Wort: "Selbstverwirklichung". Es klingt nach Achtundsechziger-Jargon, nach Teetrinken und Gesprächskreis. Ein seltsames Wort für einen Neonazi.

Torben Klebe hat in Rostock ein Geschäft namens East Coast Corner (ECC) eröffnet. Er wolle sich dort "persönlich und geschäftlich" selbst verwirklichen, sagt Klebe. Das Motto des Ladens lautet: "Von der Bewegung für die Bewegung".

Die CDs, Hosen, T-Shirts und Kappen, die Klebe anbietet, sollen "Meinung machen". Gleich rechts im Laden hängt ein Banner an der Wand, das "Hate Streetwear" (etwa: "Hass-Klamotten") anpreist. Außerdem wolle er "Arbeitsplätze für Kameraden schaffen", sagt Klebe

Rechtsradikale Selbstverwirklichung, Meinungsmache, Arbeitsplatzbeschaffung - und das alles mitten im großstädtischsten Milieu: Der Eckladen East Coast Corner ist mehr als eine Provokation, er ist der Beweis dafür, wie selbstbewusst Rechtsextremisten inzwischen in die Mitte der Gesellschaft vordringen. "Dieser Vorstoß hat eine neue Qualität", bestätigt Markus Birzer, Direktor der Schweriner Akademie für Politik, Wirtschaft und Kultur.

Vor dem East Coast Corner weht eine mächtige schwarze Fahne, auf der sich Schwert und Hammer kreuzen; am oberen Rand nagen Flammen. Die mit Graffiti beschmierten Rollläden sind ständig heruntergezogen, ein dunkler Treppenaufgang führt in den Verkaufsraum. Vor allem am Samstag, wenn die Kameraden vom platten Land anrücken, klingeln im ECC die Kassen.

"Enorme Nachfrage"

Gerade bei Jugendlichen erkennt Extremismus-Experte Markus Birzer eine "enorme Nachfrage" nach Klamotten mit Neonazi-Symbolen. Ein junger, an beiden Unterarmen tätowierter Mann trägt ein Fußballtrikot mit einer 18 hintendrauf. In der rechten Szene ein gängiges Symbol: Die 1 steht für A (wie Adolf), die 8 für H (wie Hitler).

Nazi-Läden haben sich in allen größeren Städten Mecklenburgs und Vorpommerns inzwischen festgesetzt. In Schwerin gehen Neonazis in den Thule Store, in Wismar in den Werwolf-Shop, in Anklam zu New Dawn, in Stralsund ins Sonnenbanner, in Neubrandenburg zu Most Wanted. Nirgends in diesen Städten stellt sich den radikalen Geschäftsleuten jemand ernsthaft entgegen.

Das ist in Rostock anders. Als Standort für East Coast Corner hat sich Torben Klebe nämlich den Rand der Kröpeliner-Tor-Vorstadt ausgesucht, die Rostocker kurz KTV nennen. Die KTV ist zwar nicht Kreuzberg, aber wenn es in Nordost-Deutschland überhaupt Ansätze gibt, ein Anders-Sein zu leben, dann in der KTV.

Hier sitzen die Politikwissenschaftler der Universität, das Freie Radio Lohro, das Bürgerzentrum Waldemarhof, es gibt ein paar Dönerbuden und viele Kneipen. Gleich um die Ecke vom ECC unterhalten Rostocker Linke ein Wohnprojekt.

Der bunte Menschenmix der KTV will die Neonazis nicht als Nachbarn akzeptieren. Zunächst bestimmten die "Antifas", die Antifaschisten, die Schlagzeilen. Eine Woche nach der Eröffnung vom 15. Juni prügelten sich Autonome und Neonazis. Dann gründete sich das Bürgerbündnis "Schöner leben ohne Naziläden", das informiert und demonstriert.

Vermieter übertölpelt

Zum Bündnis zählen Grüne und Jusos, Gewerkschaften und verschiedene Initiativen. Neben 4700 Bürgern unterschrieben auch 32 Geschäftsleute eine Petition gegen den ECC. "Linke Straftaten zeige ich an, der Rest interessiert mich nicht", sagt dazu ECC-Betreiber Torben Klebe.

Vermieter des Ladens ist ein Hamburger Geschäftsmann, der nach Auskunft der Rostocker Polizei rechtsradikaler Umtriebe unverdächtig ist. Tatsächlich spricht vieles spricht dafür, dass ihn Torben Klebe schlicht übertölpelt hat, als er ankündigte, ein Geschäft für "Bekleidung und Tonträger" aufmachen zu wollen. "Aus juristischen Zwängen" sei eine "kurzfristige Auflösung des Mietvertrags nicht möglich", lässt der Hausbesitzer über einen Mittelsmann erklären.

ECC-Chef Torben Klebe ist im norddeutschen Netzwerk der Neonazis keine kleine Nummer. Er hat bei der Organisation Blood & Honour mitgemischt, die Rechtsrock-CDs vertrieb. Heute ist Blood & Honour genauso verboten wie der Hamburger Sturm, ein Trupp unabhängiger Nationalsozialisten, dem Klebe auch angehörte.

Die rechtsextremistische Szene Mecklenburg-Vorpommerns besteht aus der altbackenen NPD und aus Freien Kameradschaften, die ebenso selbstbewusst wie gewaltbereit sind. Beide Lager sind ein - wenn auch wackliges - Bündnis eingegangen. Mit Erfolg: Seit September sitzt die NPD im Landtag.

Zu einem Solidaritäts-Besuch der Fraktion im ECC brachte der Abgeordnete Birger Lüssow seinen Mitarbeiter David Petereit mit, der mit einem Eisenrohr in der Hand den Eingang sicherte. "Der NPD kommt der Kampf um den Laden sehr gelegen", sagt der SPD-Abgeordnete Mathias Brodkorb.

Sie könne so ihre Verbundenheit mit den "Kameraden" beweisen. Mathias Brodkorb hat die "Initiative Endstation rechts"gegründet. Das Ziel des Bürgerbündnisses formuliert die DGB-Jugendreferentin Katrin Zschau: "East Coast Corner gehört dichtgemacht."

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