Rechtsradikale in Ungarn:Der Aufmarsch

Paramilitärische Gruppen marschieren in Ungarn regelmäßig durch Städte und Dörfer, brüllen vaterländische Lieder und hetzen gegen Roma und Juden. Das liberale Vereinsrecht schützt sie.

Michael Frank

Am Wochenende sind sie wieder aufmarschiert. Grimmige Gesichter, schwarze Uniformen, knallende Stiefelabsätze, militärische Kommandos, Gleichschritt. Ihre Feindbilder sind ethnische Minderheiten, "Vaterlandsfeinde", Juden. Die sogenannte Ungarische Garde, eine paramilitärische Truppe der extremistischen Rechten, hat sich neuerlich in Szene gesetzt.

Rechtsradikale in Ungarn: Marsch der Magyar Gárda (Ungarische Garde) am Heldenplatz von Budapest am 29. März 2008.

Marsch der Magyar Gárda (Ungarische Garde) am Heldenplatz von Budapest am 29. März 2008.

(Foto: Foto: Reuters)

Auf dem Heldenplatz in Budapest hielten sie eine "Vereidigung" ab, bei der Neulinge auf die Verteidigung des "Ungarntums" eingeschworen werden sollen. Am Sonntag marschierten sie durch das Dorf Tatarszentgyörgy, vaterländische Lieder brüllend.

Immer dabei die flatternden Arpad-Fahnen, die rot-weiß-gestreiften Banner, wie sie schon von den nationalsozialistischen Pfeilkreuzlern während des Zweiten Weltkriegs geschwungen wurden. Immer mehr Beobachter nicht nur in Ungarn fühlen sich von Gehabe und Ideologie der "Garde" an die SA der deutschen Nazis erinnert.

Jugendliche Demonstranten kehrten nach dem Aufmarsch Budapests Heldenplatz symbolisch mit Besen, um die "Entweihung" dieses im nationalen Bewusstsein bedeutsamen Ortes durch Nazigedankengut zu tilgen.

Die "Ungarischen Garden" gerieren sich als "Beschützer" der in ihren Augen gesetzestreuen ungarischen Bürger und als Speerspitze gegen die "Zigeunerkriminalität". Die immer aggressiver vertretene, offen rassistische Agitation verbindet sich neuerdings mit unverhohlenem Antisemitismus, auf der Straße und in ungarischen Medien.

Schweigen im nationalen Lager

Tatarszentgyörgy in Zentralungarn ist ein Dorf mit überwiegend Roma-Bevölkerung. Fast jedes Wochenende marschieren die schwarzen, paramilitärischen Horden durch Ortschaften mit starkem Roma-Anteil.

Durch Budapests Achten Gemeindebezirk, in dem besonders viele Roma wohnen, ziehen sie besonders oft. Die Landesselbstverwaltung der Ungarischen Roma sah sich am Montag veranlasst, Staatspräsident Laszlo Solyom zur Intervention und öffentlichen Verdammung der Umtriebe aufzufordern.

Jugendliche Demonstranten kehrten nach dem Aufmarsch Budapests Heldenplatz symbolisch mit Besen, um die "Entweihung" dieses im nationalen Bewusstsein bedeutsamen Ortes durch Nazigedankengut zu tilgen. Die "Ungarischen Garden" gerieren sich als "Beschützer" der in ihren Augen gesetzestreuen ungarischen Bürger und als Speerspitze gegen die "Zigeunerkriminalität". Die immer aggressiver vertretene, offen rassistische Agitation verbindet sich neuerdings mit unverhohlenem Antisemitismus, auf der Straße und in ungarischen Medien.

Schweigen im nationalen Lager

Tatarszentgyörgy in Zentralungarn ist ein Dorf mit überwiegend Roma-Bevölkerung. Fast jedes Wochenende marschieren die schwarzen, paramilitärischen Horden durch Ortschaften mit starkem Roma-Anteil. Durch Budapests Achten Gemeindebezirk, in dem besonders viele Roma wohnen, ziehen sie besonders oft. Die Landesselbstverwaltung der Ungarischen Roma sah sich am Montag veranlasst, Staatspräsident Laszlo Solyom zur Intervention und öffentlichen Verdammung der Umtriebe aufzufordern.Die Garde, die vor einem Jahr von der rechtsextremistischen Partei Jobbik und deren Vorsitzendem Gabor Vona gegründet wurde, sagt ganz offen: Sie wolle die Roma einschüchtern, wolle sie daran hindern, sich unter das magyarische Volk zu mischen. Staatspräsident Solyom hat reagiert und erklärt, die absichtliche Verbindung menschlicher Eigenschaften und ethnischer Zugehörigkeit sei "Teil der Nazi-Ideologie gewesen - ich lehne das vollkommen und entschieden ab".

Auch der sozialistische Ministerpräsident Ferenc Gyurscany hat die Umtriebe verurteilt, genauso wie der liberale Oberbürgermeister von Budapest, Gabor Demszky. Nur der Chef der Fidesz, der rechtsnationalen Opposition, tut sich sichtlich schwer, klar Stellung zu beziehen. Genauso Behörden und Justiz. Das Nachwende-Ungarn hat in Erinnerung an die Knebelung der Redefreiheit in Faschismus und Kommunismus ein besonders liberales Versammlungs- und Vereinsrecht. Demonstrationen dieser Art aufzulösen oder gar zu verbieten ist fast unmöglich.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, wie eine Zeitung zur "Mischung aus Stürmer und Prawda" degeneriert.

Der Aufmarsch

Ebenso unmöglich ist es offenbar, Vereinen die Genehmigung zu versagen, auch wenn sie offen erklären, sie würden im "Notfall" der Nation "militärisch" beispringen, sich also offen als paramilitärische Organisationen bekennen. So etwas wie einen Schulterschluss der Demokraten oder ein politisches Konzept gegen die SA-ähnlichen Zusammenschlüsse hat man noch nicht gefunden.

Die nationalistische Fidesz unter dem charismatischen Oppositionsführer Viktor Orban verfolgt außerdem offen das bislang erfolgreiche Prinzip, rechts von sich keinen Raum zu lassen, um so alle reaktionären und autoritären Strömungen für das eigene Wählerpotential binden zu können. Doch selbst in Orbans Fidesz werden Stimmen laut, die fehlende Stellungnahme gegen aggressive rechten Marschierern könne bürgerliche Wähler verprellen.

Eine Zeitung kippt

Eine eindeutige Stellungnahme der politischen Rechten steht ebenso aus, was eine beispiellose Diffamierung jüdischer Bürger in der Tageszeitung Magyar Hírlap betrifft. Das war bis vor einigen Jahren ein eher liberales Blatt, bis es der Industrielle Gabor Szeles übernahm. Er ließ die Redaktion schrittweise auswechseln, rekrutierte statt liberaler Journalisten eine eher national gewirkte Schreiber- und Redakteurstruppe, Leute aus dem Umfeld der Fidesz, aber auch erklärte Rechtsextremisten.

Die Zeitung wandelte ihren Charakter so drastisch, dass der angesehene ungarnstämmige österreichische Publizist Paul Lendvai sie eine Mischung aus "Stürmer und Prawda" nennt, also eine Mixtur aus den Hetzorganen von Nazis und Sowjetkommunisten. Sich selbst bezeichnet das Blatt als bürgerlich. Zu den unfeinen Federn von Magyar Hírlap zählt auch Zsolt Bayer, ein Kolumnist, den andere Medien einen "Kampfschreiber" nennen. Bayer lässt in seinen Artikeln stets antisemitische Grundtöne mitschwingen. Er vertritt gerne die These, bei der kommunistischen Herrschaft im 20. Jahrhundert habe es sich um eine jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung gehandelt.

Jetzt hat Bayer sich offen als Antisemit bekannt: Er verfasste in Magyar Hírlap eine Schmähschrift gegen die "Budapester jüdischen Journalisten", eine in Ungarns Zwischenkriegszeit gebräuchliche Kampfformel. Der Text gipfelte in dieser Passage: "1967 haben die Budapester jüdischen Journalisten noch Israel geschmäht. Dieselben Budapester jüdischen Journalisten schmähen heute die Araber. Und die Fidesz. Und uns. Weil sie uns mehr hassen als wir sie." Ihre schiere Existenz rechtfertige den Antisemitismus.

"Als jüdisch verbuchte Personen"

Eine Gruppe ungarischer Intellektueller, darunter der Philosoph Mihály Vajda, der Historiker Krisztián Ungváry und der Politologe Péter Kende, haben mit einem offenen Brief an den Verleger Szeles reagiert. Zsolt Bayer und Magyar Hírlap hätten eine "wichtige Grenzlinie in der ungarischen Publizistik seit 1945 überschritten: Bislang haben jene Vertreter der ungarischen Presse und des öffentlichen Lebens, die von ihren Kritikern als Antisemiten bezeichnet wurden, diesen Vorwurf umgehend zurückgewiesen. Zsolt Bayer hingegen bekennt sich nun bewusst dazu." Der Autor betone, dass Erklärungen "von als jüdisch verbuchten Personen" zu Recht "ein antisemitisches Verhalten begründen würden". Bayers antisemitische Ausfälle kenne man "nur aus der rechtsextremen Publizistik der 30er- und 40er-Jahre".

Budapests Oberbürgermeister Demszky hat seine Ämter angewiesen, Magyar Hírlap abzubestellen. Er selbst werde dem Blatt niemals mehr ein Gespräch gewähren, ließ er wissen.

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