Rechtspopulisten:Feinde der Verfassung? Ansichtssache...

Demonstration gegen Asylpolitik

Anhänger der AfD protestieren im bayerischen Grenzort Freilassing gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin.

(Foto: dpa)

Soll der Verfassungsschutz die AfD beobachten? Und darf er das? Die Landesämter haben sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wen sie überwachen müssen.

Von Ronen Steinke

Es ist für manche Gruppe gar nicht schwer, ins Visier der Verfassungsschützer zu geraten. Zu jenen, die als "Verfassungsfeinde" beobachtet werden, zählt in Deutschland etwa die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Die Überwachung dieser Organisation, in der sich Überlebende von NS-Konzentrationslagern gemeinsam mit jungen Antifa-Aktivisten engagieren, reicht gewissermaßen historisch zurück: Hauptargument dafür ist, dass unter den Mitgliedern zahlreiche Kommunisten sind - was freilich kein Geheimnis ist, sondern sich eben daraus ergibt, dass so viele Kommunisten vom Nazi-Regime verfolgt wurden.

Im gerade erschienenen Bericht der bayerischen Verfassungsschützer wird auf alte Aussagen des VVN-BdA-Ehrenvorsitzenden Heinrich Fink verwiesen; man muss aber zurückblättern bis in den Bericht des Jahres 2009, um zu erfahren, was gemeint ist. "In einem in der Wochenendausgabe der Tageszeitung 'junge Welt' (jW) vom 8./9. Dezember 2007 veröffentlichten Interview", so heißt es da, "lieferte der ehemalige SED-Funktionär Prof. Dr. Heinrich Fink wiederum Belege für die staats- und verfassungsfeindliche Grundposition seines Verbands, indem er den Beschluss der Innenministerkonferenz in Berlin, extremistische Stiftungen und Vereine über das Steuerrecht von staatlichen Geldern abzuschneiden, als Schritt in die falsche Richtung bezeichnete."

Es ist manchmal leicht, ins Visier der Staatsschützer zu geraten. Es ist schwer, wieder herauszukommen. Und es ist, wie die AfD in diesen Tagen lernt, vor allem eine Sache der politischen Aushandlung, weniger der klaren rechtlichen Vorgaben.

"Das kann auch nach hinten losgehen", warnt ein Amtschef

Die jüngste Debatte hat ein Politiker befeuert, der selbst einen harten, verlustreichen Wahlkampf gegen die AfD hinter sich hat, Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU). Aber diskutiert wird natürlich schon länger: Soll man auch die AfD als "verfassungsfeindlich" beobachten lassen? Die ostdeutschen Verfassungsschützer meinen eher Nein. Baden-Württembergs Verfassungsschutz, der Strobl untersteht, meint eher Ja. Wer mit Verfassungsschützern spricht, bekommt dazu politische Überlegungen zu hören: Mancher westdeutsche hofft, eine Beobachtung der AfD würde bürgerliche Wähler warnen; mancher ostdeutsche wendet ein, die Partei könne sogar profitieren, wenn sie sich als "Märtyrerin" stilisieren kann.

Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer sagt deshalb: "Das kann auch nach hinten losgehen." Sein Kollege in Mecklenburg-Vorpommern, Reinhard Müller, hält den Vorwurf ohnehin für überzogen: "Die Mehrheit der Menschen ist asylkritisch. Es muss möglich sein, in der Gesellschaft einen Diskurs zu führen, ohne gleich Extremismus zu rufen."

Jedenfalls aber ist die Frage, wer recht hat, nicht durch den Blick in ein Gesetzbuch zu beantworten: Dort findet sich zwar der Terminus "Verfassungswidrigkeit", über den das Bundesverfassungsgericht in einem Parteienverbotsverfahren entscheidet; "Verfassungsfeindlichkeit" hingegen ist ein Arbeitsbegriff der Inlandsgeheimdienste und der sie führenden Minister. Wie dieses Etikett verteilt wird, ist weitgehend deren Ansichtssache. Für das Wort "verfassungsfeindlich" gibt es genauso wenig eine feste Definition wie für "extremistisch". Wenigstens sachlich begründet müsse die Einstufung als "verfassungsfeindlich" sein, mahnte das Bundesverfassungsgericht 2005 an - und brachte sein Unbehagen darüber zum Ausdruck, dass die Exekutive zwar kein Recht hat, bloße Meinungen zu sanktionieren, dass aber die Erwähnung einer Gruppe im Verfassungsschutzbericht dennoch wie eine "mittelbar belastende negative Sanktion" wirke.

Wie weit die Haltungen zum Rechtspopulismus dabei variieren, lässt sich gerade jetzt wieder gut studieren. In den zurückliegenden Wochen haben die ersten zehn der insgesamt 17 Verfassungsschutzämter, von denen eines beim Bundes- und ein weiteres bei jedem Landesinnenministerium angesiedelt ist, ihre Berichte für 2015 vorgelegt. Die AfD wird zwar nirgends als "verfassungsfeindlich" beobachtet, auch nicht in Baden-Württemberg. (Wenn einzelne Mitglieder der AfD zugleich Mitglieder einer anderen Gruppe sind, die beobachtet wird, ändert das hieran nichts.) Bei anderen Rechtspopulisten aber gehen die Meinungen bereits auseinander. Die Pegida-Proteste etwa werden in Bayern und Berlin als "extremistisch" beobachtet, in Sachsen hingegen nicht.

Besonders aufmerksam wird man bei der AfD vermutlich lesen, wie nah einzelne Verfassungsschutzämter auch sich bürgerlich gebenden "Islamkritikern" zu Leibe rücken. Am weitesten gehen dabei Baden-Württemberg und vor allem Bayern, wo selbst Moscheebau-Gegner wie der Münchner Lokalpolitiker Michael Stürzenberger, der jüngst schon mal mit einem Übertritt zu AfD geliebäugelt hat, unter der Rubrik "verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit" beobachtet werden. Das Amt schreibt: "Kritik, die im Rahmen einer geistig-politischen Auseinandersetzung auf Gefahren eines politischen Islam für unsere Grundwerte hinweist", sei zwar in Ordnung und kein Fall für Geheimdienstler. Wer aber den Islam per se mit Islamismus gleichsetze, dürfe als Verfassungsfeind gebrandmarkt werden, auch wenn er sonst nicht einen Umsturz des demokratischen Systems anstrebe.

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