Rechtspolitik:Das Versprechen der Freiheit

Ein Staat darf niemanden aufgeben, auch nicht den schlimmsten Verbrecher. Doch wie setzt man das um?

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Mehr als ein Jahrzehnt lang hat der Streit um die Sicherungsverwahrung für gefährliche Straftäter die Rechtspolitik in Atem gehalten. Am Anfang, im Jahr 2001, stand ein Wort des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder. "Wegschließen - und zwar für immer", dies sei die einzige Lösung für dauerhaft gefährliche Gewalttäter. Ein geradezu diabolischer Satz, denn er enthielt ja einen wahren Kern, nämlich die bittere Erkenntnis, dass es Straftäter gibt, die nicht therapierbar sind. Nur ließ der Populist Schröder eine Botschaft mitschwingen, die ein Kanzler im Staate des Grundgesetzes niemals hätte in den Mund nehmen dürfen: Dass man Menschen gleichsam aussondern dürfe, weil sie gefährlich sind für die Gesellschaft.

Die Antwort des Bundesverfassungsgerichts lautete stets: Ja, man darf Menschen einsperren, notfalls sogar lebenslang. Aber ein Staat, der auf Freiheit und Menschenwürde gründet, darf niemanden aufgeben, auch nicht den schlimmsten Verbrecher. Das Versprechen der Freiheit muss auch für sie gelten, selbst wenn es nicht immer eingelöst werden kann.

Das war bereits der Grundgedanke des Urteils von 1977, als das Bundesverfassungsgericht entschied, auch bei lebenslanger Freiheitsstrafe müsse zumindest eine Chance auf Entlassung bestehen - wenn auch keine Garantie. So ähnlich steht es auch im Urteil zur Sicherungsverwahrung aus dem Jahr 2004. Gefährliche Täter dürfen auch nach Ablauf der Haftstrafe in Verwahrung genommen werden, im Extremfall lebenslang, entschied das Gericht. Zugleich aber - Versprechen der Freiheit - müsse fortwährend geprüft werden, ob die Rückfallgefahr nicht doch gesunken und eine Entlassung möglich sei.

Der Karlsruher Balanceakt zwischen Sicherheit und Freiheit hatte sich dennoch als zu einseitig erwiesen. 2009 rügte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Verfassungsgericht, weil es mit seinem Urteil eine nachträgliche Ausweitung der Sicherungsverwahrung gebilligt hatte. Früher hatte gegolten: Wer erstmals in Sicherungsverwahrung genommen wird, darf nach spätestens zehn Jahren wieder raus. Diese Höchstgrenze wurde 1998 gestrichen. Wer sich bereits auf den Entlassungstag eingerichtet hatte, musste nach der Reform unversehens mit lebenslanger Haft rechnen. Das Menschenrechtsgericht sah darin einen Verstoß gegen das Rückwirkungsgebot. Und zwar deshalb, weil die Sicherungsverwahrung - so, wie sie in Deutschland angelegt war - letztlich eine lebenslange Haftstrafe durch die Hintertür sei und nicht etwa nur eine "Maßregel der Besserung und Sicherung", wie die Deutschen glaubten.

In der Sicherungsverwahrung gilt das Prinzip: Möglichst viel Freiheit in der Unfreiheit

2011 setzte Karlsruhe dieses Urteil um. Endlich machte es unmissverständlich deutlich, dass Sicherungsverwahrung keine Strafe nach der Strafe sein darf. Denn wer in Sicherungsverwahrung genommen wird, hat eine meist langjährige Haftstrafe bereits abgesessen - die Schuld ist abgetragen, das Verbrechen gesühnt. Sicherungsverwahrung ist zu nichts anderem da als zum Schutz der Allgemeinheit. Deshalb darf Sicherungsverwahrung erstens kein Strafvollzug sein, sondern muss großzügiger gestaltet und von der normalen Haft getrennt werden. Es gilt das Prinzip: Möglichst viel Freiheit in der Unfreiheit. Nach draußen dürfen die Mauern hoch sein, drinnen müssen die "Verwahrten" ein möglichst normales Leben führen dürfen, in größeren Zellen ohne Dauereinschluss und, so weit möglich, mit Kontakten nach draußen. Zweitens muss ihnen die Chance zur Entlassung erhalten werden. Und die Vollzugsanstalten müssen daran mitarbeiten, mit therapeutischen Angeboten, Vollzugslockerungen und stetiger Überprüfung, ob die Gefährlichkeitsprognose nicht doch eine Entlassung erlaubt. Der Staat darf seine Sicherungsverwahrten nicht aufgeben. Der Gesetzgeber hat die Vorgaben des Gerichts zum Jahresanfang 2013 nahezu wortgleich umgesetzt. Doch wie viel das Papier wert ist, das entscheidet sich im Vollzugsalltag. Dafür sind die Bundesländer zuständig.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: