Rechtsextremismus in Deutschland:Der verlorene Sohn

"Da ist dann nur noch Hass, blanker Hass": Der verzweifelte Kampf von Eltern um ihr rechtsextrem gewordenes Kind.

Sarina Pfauth

Philipp ist 17, trägt ein kariertes Hemd, ist gegen jede Art von Gewalt und hilft Gästen freundlich aus der Jacke. Er hat sich sehr gut entwickelt in den vergangenen Monaten. Findet die NPD. Philipp ist rechtsextrem. Er selbst sagt lieber, dass er der nationalen Bewegung angehört. Rechtsextrem sein klinge nach Säufern, die Ausländer zusammenschlagen. Er will aber kein Schläger sein, sondern das ganze System verändern, das in seinen Augen krank ist. Philipp sitzt sehr gerade auf einem Stuhl im Büro seiner Eltern in einem Dorf in Thüringen und sagt Sätze wie den, dass er "das Fremde in der Fremde" liebe. Es gibt aber auch Momente, in denen Philipp andere Sätze sagt, über die Russen und Türken und Kinderschänder und die Schwarzen. In manchen dieser Augenblicke treten die Adern hervor, und Philipp brüllt und seine Oma sagt: "Da ist dann nur noch Hass, blanker Hass."

Rechtsextremismus in Deutschland: Mit der Kleidung fängt es bei den meisten an: Jugendliche, die in die rechtsextreme Szene abdriften, wollen schon mit dem Outfit ihre neue Gesinnung demonstrieren. Gefragt sind in den rechten Reihen Thor-Steinar-Klamotten.

Mit der Kleidung fängt es bei den meisten an: Jugendliche, die in die rechtsextreme Szene abdriften, wollen schon mit dem Outfit ihre neue Gesinnung demonstrieren. Gefragt sind in den rechten Reihen Thor-Steinar-Klamotten.

(Foto: Foto: ddp)

Wie reagiert eine Familie, wenn das Kind anfängt, rechts zu denken? Wenn aggressive Liedtexte über Arier und Blut und Ehre aus seinem Zimmer tönen? Thomas Gabriel, Leiter der Sozialpädagogischen Forschungsstelle der Uni Zürich, hat in einer qualitativen Studie die Zusammenhänge zwischen Erziehung und Rechtsradikalismus untersucht und junge Neonazis und deren Familien interviewt. "Die Haltung der Eltern changiert zwischen Hilflosigkeit und unverhohlener Anerkennung", sagt er. Dass aber auch die Eltern politisch aktive Neonazis sind, ist nicht der Normalfall.

Hilflosigkeit ist ein Begriff, der die Empfindungen von Philipps Familie treffend beschreibt. Sie berichtet, dass Philipp massiv unter dem Einfluss der Thüringer NPD stehe. "Mein Kind wird im Kopf vergewaltigt", sagt die Mutter. Die Schuberts fühlen sich machtlos.

Die Schuberts heißen in Wirklichkeit anders. Sie wollen ihr Kind vor der Öffentlichkeit schützen und dadurch den Rest an Vertrauen bewahren, den es zwischen ihnen und dem Sohn noch gibt. Deshalb möchten sie kein Bild von sich in der Zeitung sehen und ihre Namen geheim halten. Ihre Geschichte aber wollen sie erzählen, um wenigstens anderen Familien damit helfen zu können.

Für Frank und Linda Schubert begann die Katastrophe mit schwarzen Halbschuhen. Bei einer Familienfeier vor gut einem Jahr sagten Frank Schuberts Neffen, dass sie nicht mehr mit seinem Sohn weggehen würden. Seine Schuhe gehörten zum Outfit von Neonazis. Der 41-Jährige stellte seinen Sohn zur Rede.

Philipp sagte, die Cousins hätten keine Ahnung. Wenige Wochen später hatte sich der Sohn total verändert. "Wir erkannten unser Kind nicht wieder", sagt die Mutter. Die Eltern wurden wiederholt in die Schule zitiert, weil sich Philipps Verhalten Lehrern und Mitschülern gegenüber so massiv verschlechterte wie seine Leistungen. Die Stimmung zu Hause rutschte in den Keller, jedes Gespräch endete im Streit.

Die Eltern fanden in Philipps Zimmer CDs mit zum Teil verbotener Musik, Fahnen und Klamotten aus der rechtsextremen Szene. Nach einem großen Krach erhielt die Familie dann einen Anruf aus Führungskreisen der NPD. Ihnen wurde gesagt, dass sie die Gesinnung ihres Sohnes respektieren und über ihre eigene nachdenken sollten. "Das war der Wendepunkt. Wir dachten: Wenn die NPD schon bei uns anruft, dann müssen wir was tun."

Die Schuberts taten etwas. Sie wandten sich ans Jugendamt und an die Beratungsstelle Exit. Die Mitarbeiter der Exit-Familienhilfe fuhren immer wieder von Berlin nach Thüringen, um gemeinsam mit der Familie nach Lösungen zu suchen. Auf ihren Rat hin wandten sich die Eltern an die Landrätin, ans Schulamt, die Polizei, an den Verfassungsschutz, an den Bürgermeister - sogar an den Ministerpräsidenten. Sie schlossen für drei Monate ihre Firma, um sich intensiver um ihren Sohn kümmern zu können.

Der verlorene Sohn

Aber auch die NPD investierte in Philipp. Parteimitglieder besuchten ihn, als er für einige Wochen in einem Heim untergebracht war, wo er eigentlich Abstand von seinem rechten Umfeld gewinnen sollte. Die Eltern bekamen einen Brief von der NPD-Rechtsabteilung in Berlin; ein führendes Mitglied schrieb ihnen: "Ich werde alles dafür tun, dass sich Ihr Sohn weiter so gut entwickelt wie bisher." Sie untersagten der Partei, weiterhin Kontakt zu dem Minderjährigen aufzunehmen - ohne Erfolg.

Alles versuchen und trotzdem scheitern

Wie die NPD überhaupt so großen Einfluss auf den Jungen gewinnen konnte, wissen die Eltern nicht. Philipp sagt, er sei selbst dort hingegangen, weil er sich für Politik interessiert habe. Die Schuberts glauben das nicht: Die Partei kümmere sich in der Region um den Nachwuchs, sagen sie. NPD-Mitglieder verschenken auf der Straße CDs an Kinder und Jugendliche, laden sie zu Konzerten und Schulungen ein.

So müsse Philipp in Kontakt mit der Partei gekommen sein, vermuten sie. Dass er bei der Partei geblieben ist, liege an der Gemeinschaft, sagt der Jugendliche selbst: "Da ist jeder gleich viel wert. Die Leute stehen hinter dir. Das ist ein gewisses Stärkegefühl."

Die Schuberts haben sich oft die Frage gestellt, was sie falsch gemacht haben. Sie sind mit ihren beiden Kindern ins Konzentrationslager nach Buchenwald gefahren, haben ihnen vom Nationalsozialismus erzählt und versucht, Toleranz vorzuleben. Sie haben nach Fehlern gesucht und nichts gefunden, was den Hass ihres Sohnes erklären könnte.

Dirk Fischer von der Exit Familienhilfe sagt: "Eltern sind nicht immer schuld.". Thomas Gabriel, der Schweizer Pädagoge, bestätigt diese Einschätzung: Das, was Kinder in ihrem Umfeld erleben, könne einen fruchtbaren Boden schaffen für Rechtsextremismus. "Aber man kann als Elternteil alles versuchen und trotzdem scheitern."

"Wir waren überall, um uns Hilfe zu holen"

Der Schweizer Wissenschaftler und sein Team beobachteten aber bestimmte familiäre Muster und biographische Verläufe, die zu rechtsextremen Einstellungen führen können: Einige Jugendliche übernehmen konservative oder rechte Einstellungen von den Eltern und radikalisieren das Gehörte, andere haben zu Hause häufig Gewalt und Missachtung erlebt, sie fühlen sich ohnmächtig und sind auf der Suche nach Anerkennung. Bei wieder anderen steht im Vordergrund, dass sich die Jugendlichen nicht genügend wahrgenommen fühlen; sie suchen nach Sicherheit und wollen bemerkt werden.

Weil es nie eine einzelne Ursache für Rechtsradikalismus gibt, weil Lebensumstände, Schicksalsschläge und das soziale Umfeld eine Rolle spielen, gibt es auch kein einheitliches Rezept, um Jugendliche wieder aus der rechten Szene herauszuholen. Accessoires und CDs der rechten Szene aus dem Kinderzimmer zu entfernen kann eine gute Idee sein - oder alles noch schlimmer machen, weil es Ohnmachtsgefühle beim Kind verstärkt.

Es brauche viel Zeit, um das im Einzelfall herauszubekommen und eine Lösung zu finden, sagt Fischer. Zeit und Geld, und genau daran mangelt es. Für Exit, das Aussteigerprojekt, das eng mit der Exit Familienhilfe verknüpft ist, sind Ende September die Fördermittel des Arbeitsministeriums ausgelaufen, die weitere Finanzierung hängt in der Schwebe. Dabei gebe es jetzt schon viel zu wenig Beratungsstellen für betroffene Familien in Deutschland, sagen Experten.

"Wir waren überall, um uns Hilfe zu holen", sagt Philipps Vater. "Fast immer hat man sich nur für unsere Zivilcourage bedankt und uns dann weiterverwiesen. Selbst der Ministerpräsident konnte uns nicht helfen." Die Schuberts haben Angst, nun bald ganz alleine dazustehen. Er ist ihr Junge, sie lieben ihn, auch mit Glatze.

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