Rechtsextremismus-Experte:"Die Angst ist weiter da"

Viele Rechtsextremisten organisieren sich längst abseits der NPD, sagt Dierk Borstel. Die Partei werde bedeutungslos bleiben.

Interview von Roland Preuss

SZ: Herr Professor Borstel, sind Sie erleichtert oder empört über die Entscheidung aus Karlsruhe?

Dierk Borstel: Weder noch, ich bin erfreut über zwei Dinge: Wir haben jetzt klare, zeitgemäße Kriterien für künftige Parteiverbote. Und wir haben eine klare Aussage, dass die NPD eine rechtsextreme und verfassungswidrige Partei ist.

Sie haben selbst in Ihrem Gutachten für das Gericht festgestellt, dass die NPD in einigen Regionen die Demokratie einschränkt und Angst verbreitet. Wäre es da nicht besser gewesen, diese Quelle der Angst per Verbot auszutrocknen?

Ich habe in meinem Gutachten geschrieben, dass die NPD mit freien Kräften wie Kameradschaften zusammenarbeitet und Teile von diesen in die Partei eingetreten sind. Die Angst geht nicht eindeutig von der NPD aus. Das aber heißt umgekehrt: Auch wenn man die NPD verboten hätte, die Angst ist weiter da.

Besteht nun die Gefahr, dass sich die NPD weiter radikalisiert, wie der Präsidentschaftskandidat der Linken, Christoph Butterwegge, meint? Es drohe ja kein Verbot mehr.

Es droht immer noch ein Verbot, falls die NPD wieder an Stärke gewinnen sollte. Aber daran glaube ich nicht. Die Partei ist weitgehend pleite, sie hat keine parlamentarische Bühne mehr. Das Wichtigste aber ist: Sie hat keine Idee, wie sie sich in Konkurrenz um Wählerstimmen zur AfD aufstellen soll. Sie wird bedeutungslos bleiben. Der moderne Rechtsextremismus kommt auch ohne NPD aus.

Der Verfassungsschutz stuft die NPD aber immer noch als größte Neonazi-Partei ein, Politiker bezeichnen sie als Rückgrat der Rechtsextremen.

Das stimmt so nicht mehr, die Szene hat sich vor allem außerparlamentarisch neu organisiert. Die Basis des neuen Rechtsextremismus, vor allem des militanten Teils, sind Kameradschaften, sogenannte Autonome Nationalisten und Kleinstparteien wie die Rechte. Wir haben weiterhin ein großes Problem mit Rechtsextremisten. Doch gerade die Militanten sind auf die NPD gar nicht mehr angewiesen.

Wo muss der Kampf gegen Rechtsextremismus jetzt ansetzen?

Er muss vor Ort ansetzen, weil wir unterschiedliche Phänomene haben. Die Strategie muss vier Säulen haben: Prävention, vor allem mit Jugendlichen an den Schulen, Repression gegen Gewalttäter, aber auch Demokratieentwicklung. Überall wo Demokratie stark ist, haben es Extremisten schwer. Und schließlich Deradikalisierung, also die Arbeit in der Szene.

Wie soll diese Arbeit konkret aussehen?

Professionelle Ausstiegsarbeit sucht den Kontakt zur Szene, identifiziert Ausstiegswillige, bietet ihnen Hilfe an. Dazu gehört auch, über ihr Weltbild zu diskutieren.

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