Rechtsextremismus:Büdingen sieht nach der Wahl braun

NPD holt in Büdingen 14 Prozent

Die NPD verzeichnet bei der Kommunalwahl im hessischen Büdingen einen erheblichen Stimmenzuwachs.

(Foto: dpa)

Die NPD holt bei der hessischen Kommunalwahl in Büdingen nach ersten Auszählungen 14 Prozent. Ein Schock für die Stadt, die bisher nicht als braunes Nest gilt. Auf der Suche nach Erklärungen.

Von Lukas Ondreka

Die Ernüchterung nach der Kommunalwahl in Büdingen ist groß: Es fallen Worte wie "erschreckend" und "schockierend", um das Wahlergebnis zu beschreiben. 14 Prozent haben die Rechtsradikalen von der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) nach Auszählung von zwei Drittel der Stimmen erzielt.

Auch wenn das Endergebnis voraussichtlich geringer ausfallen wird, es bleibt ein Paukenschlag. 2011 kam die NPD hier nordöstlich von Frankfurt am Main auf nur 2,2 Prozent - jetzt ist die vom Verbot bedrohte Partei viertstärkste Kraft in der gut 21 000 Einwohner zählenden Stadt, in drei Ortsteilen sogar Sieger der Wahl. Wer nach Erklärungen für den Triumph der Rechtsradikalen sucht, stößt unter anderem auf eine Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete am Rande der Stadt.

Bürgermeister Erich Spamer könnte mit seinem Wahlergebnis zufrieden sein: Die Freien Wähler, denen Spamer angehört, sind mit 27 Prozent der Stimmen stärkste Fraktion. Und doch ist ihm die Enttäuschung über den Ausgang der Wahl deutlich anzuhören: "Wir haben in der Vergangenheit eine gute Informationspolitik gemacht, die Leute haben trotzdem die NPD gewählt - aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik im Bund."

Spamer glaubt zudem, dass die Rechtsradikalen davon profitiert hätten, dass die Alternative für Deutschland (AfD) in Büdingen nicht angetreten war. Tatsächlich stellten die Rechtspopulisten in der Stadt Büdingen in Hessen keine Kandidaten bei der Kommunalwahl. Anders im Wetteraukreis, in dem Büdingen liegt: Dort erzielte die AfD am Sonntag beinahe 15 Prozent der Stimmen, die NPD kam auf 4,8 Prozent.

Erstaufnahmeeinrichtung weckte Ängste

Vor allem an der Erstaunahmeeinrichtung für Geflüchtete am Stadtrand habe sich der Zorn vieler Wähler entzündet, sagt Spamer. Das Land Hessen hatte im vergangenen Jahr eine leer stehende Kaserne umgebaut. Sie dient bis zu 800 Menschen als temporäre Unterkunft und ist die neueste von insgesamt vier Einrichtungen in Hessen. Noch vor Fertigstellung begann die NPD um ihren Frontmann Daniel Lachmann gegen die Einrichtung zu agitieren. "Büdingen wehrt sich - Asylflut stoppen" nennt sich eine Initiative auf Facebook, für die der Landesgeschäftsführer und stellvertretende Landesvorsitzende der hessischen NPD verantwortlich zeichnet. Bei der Bürgermeisterwahl im September, als die Einrichtung eröffnet wurde, kam Lachmann auf 8,5 Prozent. "Das war schon kein gutes Omen", sagt Spamer.

Vor wenigen Wochen machten die Rechtsradikalen wieder aggressiv Stimmung gegen die bereits in Betrieb genommene Unterkunft. Am 30. Januar wollten sie mit Fackeln durch das historische Stadttor in Büdingen ziehen. Am gleichen Tag im Jahr 1933 waren anlässlich der "Machtergreifung" Hitlers Nationalsozialisten mit Fackeln durch das Brandenburger Tor in Berlin marschiert. Spamer wusste den Plan der Rechten zu vereiteln: Die Stadt verfügte ein Fackelverbot, dessen Prüfung auf Rechtmäßigkeit auch vor dem Bundesverfassungsgericht bestand. Demonstrieren durfte die NPD trotzdem, 150 Neonazis und Rechte zogen durch die Straßen. 800 Gegendemonstranten buhten Lachmann aus, der in einer Rede Flüchtlinge als "Invasoren" bezeichnete.

Trotz Gegenwehr und Aufklärungsarbeit: Viele Menschen haben am vergangenen Wochenende der NPD ihre Stimme gegeben, in den Ortsteilen Michelau (31,8 Prozent), Diebach am Haag (24,4) und Orleshausen (24,2) den vorläufigen Ergebnissen zufolge sogar die Mehrheit der Wähler. In Lorbach, einem Ortsteil in der Nähe der Erstaufnahmeeinrichtung, bekamen die Rechtsradikalen etwa 15 Prozent der Wählerstimmen.

"Büdingen ist kein braunes Nest"

Die Stadt und engagierte Bürger versuchen nun dem Eindruck entgegenzuwirken, dass sich an der Weltoffenheit von Büdingen etwas geändert haben könnte. "Büdingen ist kein braunes Nest", sagt Reza Chami. "Hier gibt es nur wenige klassische NPD-Wähler." Chami hat im vergangenen Jahr die Initiative "Ja zur Erstaufnahmeeinrichtung" ins Leben gerufen. "Ich bin auch schockiert. Aber ein Stück weit habe ich mit diesem Ausgang der Wahl gerechnet. Die NPD hat die Ängste und Unsicherheit der Menschen gezielt ausgenutzt", sagt Chami.

Der 25-Jährige ist selbst als Kind aus Iran nach Deutschland geflohen, zusammen mit seinen Eltern. Heute studiert er Volkswirtschaft. Die Stadt Büdingen nennt er "Heimat". Seit Eröffnung der Erstaufnahmeeinrichtung sei es nicht zu nennenswerten Zwischenfällen gekommen, sagt Chami. Der Bürgermeister bestätigt das.

In der Stadt im Wetteraukreis fragen sie sich nun: Wie mit den Rechtsradikalen umgehen? Die NPD könnte bis zu fünf Sitze in der Stadtverordnetenversammlung bekommen - eine Partei, gegen die gerade vor dem Bundesverfassungsgericht ein Verbotsverfahren läuft. "Ich halte gar nichts von einem Verbot", sagt Bürgermeister Spamer. Die Rechtsradikalen würden dann nur in andere Organisationen abwandern oder sich in den Untergrund zurückziehen. Offene Auseinandersetzung sei der bessere Weg. Der Bürgermeister möchte eine parteiübergreifende Initiative gegen die NPD initiieren, um dem Rechtsruck in seiner Stadt und im Land entgegenzuwirken: "Ich will nicht wieder Verhältnisse wie in den 30er Jahren haben. Das darf nicht wiederkommen."

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