Rechtsextremer Front National:Forbach, in Frankreich furchtbar normal

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Das Rathaus von Forbach wird weiterhin von einem Sozialisten geleitet - und nicht von einem Rechtsextremen. (Foto: Lilith Volkert)

"Alle denken, hier ist es schmutzig und gefährlich": Im März hätten die Bürger von Forbach fast den Chefstrategen des rechtsextremen Front National zum Bürgermeister gewählt. Dass die Kleinstadt nun europaweit bekannt ist, stört die Bewohner - schuld seien aber die Medien.

Von Lilith Volkert, Forbach

Der Ort, der so viele erschreckt hat, sieht auf den ersten Blick aus wie eine ganz normale französische Kleinstadt. Kleine Läden im Zentrum, riesige Einkaufszentren am Ortseingang, Lindenbäumchen mit würfelförmigen Kronen an der Rue Nationale. Eine müde Flagge auf dem Turm des "Château du Schlossberg", trostlose Hochhaussiedlungen. Das kleine Kino heißt "Cineplex Le Paris".

Im März hat Forbach, eine Kleinstadt nahe der deutschen Grenze, für einen Moment die Augen der Welt auf sich gezogen. Da hätte das Rathaus - das aussieht, als habe es einst ein osteuropäischer Diktator entworfen - fast ein Rechtsextremer übernommen.

Florian Philippot, gerade einmal Anfang 30, ist Vize-Parteichef und Strippenzieher des ultrarechten Front National. Im ersten Durchgang bekam er die meisten Stimmen. Dabei kommt er nicht einmal aus der Gegend. Mehr als hundert Journalisten aus aller Welt waren mit ihren Blöcken, Aufnahmegeräten und Kameras angereist, um am Abend der Stichwahl live aus Forbach zu berichten. Für kurze Zeit war der Ort mit seinen 20 000 Einwohnern Sinnbild für ein unzufriedenes Frankreich, das aus Wut, Verzweiflung oder Dummheit zu drastischen Mitteln greift.

Mehr als ein Dutzend Bürgermeisterposten hat der FN bei der Kommunalwahl am 30. März gewonnen. So viele wie nie zuvor. Dass ausgerechnet Philippot gegen den sozialistischen Amtsinhaber verloren hat, ändert wenig am symbolischen Charakter des Ortes. "Vorher wusste keiner, wo Forbach ist, und jetzt bringen uns alle mit dem Front National in Verbindung", schimpft eine Passantin. Sie macht dafür allerdings weniger die Verursacher als die Verbreiter der Nachricht verantwortlich. "Diese Journalisten haben uns in aller Welt bloßgestellt. Schönen Dank auch!"

Forbach hat seine besten Jahre hinter sich

Ums Image sorgt sich auch ein Franzose mit algerischen Wurzeln, der seit 25 Jahren ein italienisches Lokal in Forbach betreibt. Er sperre nachts noch nicht einmal die Tische und Stühle auf der Restaurant-Terrasse ein, sagt er. Es sei noch nie etwas weg gekommen. "Und trotzdem denken jetzt alle, hier ist es schmutzig und gefährlich. Keiner kommt mehr, um zu investieren."

Vermutlich ist das Wahlergebnis nicht der einzige Grund für die mangelnde Investitionsfreude. Forbach, das lange gut vom Kohlebergbau lebte, hat seine beste Zeit hinter sich. Vor zehn Jahren wurde die letzte Mine geschlossen, die Arbeitslosigkeit liegt mit 14 Prozent deutlich über dem französischen Durchschnitt.

Ist als Bürgermeisterkandidat in Forbach gescheitert und kandidiert jetzt für die Europawahl: Florian Philippot, Vize-chef des Front National. (Foto: AFP)

Sogar der Bürgermeister-Kandidat Florian Philippot wollte den Ort nur für seine Zwecke benutzen. Der 32-Jährige ist im nordfranzösischen Lille aufgewachsen und hat in Paris eine renommierte Elite-Uni besucht. Es gilt als wahrscheinlich, dass er als Bürgermeister die Arbeit im Ort bald einem Vertreter überlassen hätte, um in der Hauptstadt weiter an seiner Karriere zu basteln. "Wissen Sie, wie die Leute Philippot genannt haben?" fragt ein Mann aus dem Nachbarort. "Den TGV-Kandidaten. So schnell war der immer wieder im Zug und ab nach Paris."

Zwar findet sich in der Innenstadt niemand, der den ultrarechten Kandidaten unterstützt hat und das zugeben möchte. Dafür gibt es aber viel Verständnis für jene, die ihr Kreuz beim FN gemacht haben. "Hier geht alles den Bach runter", sagt eine Altenpflegerin, die selbst nicht mehr ganz jung ist. "Und jetzt sollen wir nochmal den Gürtel enger schnallen, das ist einfach unfassbar." Präsident Hollande will in den kommenden drei Jahren 50 Milliarden Euro einsparen.

Dass Florian Philippot gegen die EU und Brüssel wettert, regt wenige auf. Dass er im Wahlkampf mit deutschenfeindlichen Äußerungen angeeckt ist, stört schon eher. Als der Sozialist Laurent Kalinowski bei einer Diskussion der vier Bürgermeister-Kandidaten einige Worte auf Deutsch sprach, unterbrach ihn Philippot. "Wenn Sie hier auf Deutsch rumschreien, weckt das schlechte Erinnerungen", herrschte er ihn an. Diese Anspielung auf die deutsche Besatzung empörte viele Forbacher. Saarbrücken ist nur gut zehn Kilometer entfernt, der Ort profitiert von der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, unter anderem im Eurodistrict SaarMoselle.

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Im Ortselbst ist der Front National überraschend wenig präsent. Das Büro der Partei befindet sich in einem Wohnhaus im Ortszentrum, im Erdgeschoss gibt es einen Friseur und einen Hörgeräteakkustiker. Eingeweihten erschließt sich das Klingelschild "F. N. U. F. 57" als Niederlassung des Front National des Départements Moselle (57), ein Parteilogo sucht man vergebens. Niemand macht auf, auf Anfragen per E-Mail gibt es lange keine Reaktion und dann eine Absage. Die FN-Politiker aus der Gegend haben gerade keine Zeit.

Und Florian Philippot hat längst eine neue Aufgabe. Er ist jetzt Spitzenkandidat für die Europawahl im Wahlbezirk Ost, in dem auch Forbach liegt. Lautstark fordert Philippot die Abschaffung des Euros, den er für die wirtschaftliche Misere in Frankreich verantwortlich macht. Außerdem möchte er wieder Grenzkontrollen einführen. Umfragen sehen den Front National in dem Wahlbezirk als stärkste Partei, landesweit ringt er mit der konservativen UMP um den ersten Platz.

Tatsächlich, Forbach ist furchtbar normal.

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