Rechter Terror:Terror in Düsseldorf: Neonazi mit Täterwissen

Wehrhahn Anschlag in Düsseldorf

Am 27. Juli 2000 explodierte am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn ein Sprengsatz mit Fernzünder. Jetzt hat die Polizei einen Verdächtigen festgenommen.

(Foto: Christian Ohlig/dpa)
  • Die Polizei hat den bekannten Rechtsradikalen Ralf S. festgenommen: Sie verdächtigt ihn, im Jahr 2000 in Düsseldorf eine Bombe gezündet und zehn Menschen verletzt zu haben.
  • Auf die Spur kamen ihm die Behörden, weil S. im Gefängnis geprahlt haben soll, er habe an einem Bahnhof "die Kanaken weggesprengt".
  • S. hatte damals einen Militaria-Laden in Düsseldorf und soll sich über die osteuropäischen Sprachschüler in der Nachbarschaft geärgert haben, die sich von den Provokationen durch Neonazis nicht einschüchtern ließen.

Von Hans Leyendecker, Düsseldorf

Ralf S., 50, aus Ratingen im Rheinland ist ein ausgewiesener Rechtsradikaler. Am Telefon bezeichnet er Ausländer schon mal als "Scheiß-Kanaken- Drecksäcke". Am liebsten würde er sie mit einer 357er-Magnum erschießen: "Schwangere werden zuerst erschossen."

Was er so sagt, wie er tönt, wie er hasst, das weiß man, weil Ralf. S. viele Monate lang abgehört wurde. Beamte der Einsatzkommission "Furche" waren hinter ihm her. Sie arbeiteten sich noch einmal durch 70 000 Blatt alte Akten und befragten viele Zeugen.

Jetzt glauben die Fahnder belegen zu können, dass Ralf S. für einen Bombenanschlag verantwortlich ist, der vor gut 16 Jahren die Republik bewegte. Er wurde verhaftet. Gegen ihn wird unter anderem wegen versuchten Mordes ermittelt.

Bombe mit 250 bis 300 Gramm TNT

Ein Unbekannter hatte am 27. Juli 2000 am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn aus der Ferne einen Sprengsatz gezündet. Zehn Sprachschüler aus der ehemaligen Sowjetunion wurden verletzt, einige schwer. Sechs von ihnen waren Juden. Eine schwangere Frau verlor ihr Baby durch Splitter der Bombe. Der Sprengkörper war mit 250 bis 300 Gramm TNT gefüllt. Es hätte viel Schlimmeres passieren können, wenn der Täter nicht versehentlich einen Stoff beigemengt hätte, der die Sprengwirkung minderte.

Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily vermutete gleich einen "fremdenfeindlichen Hintergrund". Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder rief damals zum "Aufstand der Anständigen" auf. Auch auf eine Synagoge in Düsseldorf hatte es einen Anschlag gegeben.

Es gab mehr als 1400 Zeugenaussagen, aber alle Ermittlungen schienen ins Nichts zu führen. Die russische Mafia, damals neumodische Islamisten und andere gerieten zeitweise unter Verdacht. Die meisten der 334 Spuren, die es in diesem Fall gab, führten aber in Richtung rechts.

Nachdem 2011 die Terrorbande NSU aufgeflogen war, gab es den Verdacht, die Mörder, die neun Migranten und eine Polizistin ermordet hatten, könnten auch in Düsseldorf gebombt haben. Ein Untersuchungsausschuss des Landtags rollte den Wehrhahn-Anschlag auf. "Der Modus Operandi ist dem des NSU sehr ähnlich", befand ein SPD-Politiker im Jahr 2015.

Ein Häftling prahlt im Gefängnis mit der Tat - und mit Insiderwissen

Was er nicht wusste, weil es absolute Geheimsache war: Die Ermittler hatten damals schon eine heiße Spur: nicht zum NSU, aber auch ins rechte Spektrum. Ein Jahr zuvor hatte sich ein Häftling aus der Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel bei der dortigen Anstaltsleitung gemeldet. Der Mithäftling Ralf S. habe geprahlt, er habe an einem Bahnhof "die Kanaken weggesprengt". Die Bombe habe er aus der Ferne gezündet. Es ging um den Anschlag in Düsseldorf-Wehrhahn. Der Häftling, der später zum Zeugen wurde, hatte noch nie vorher von diesem Anschlag gehört.

Er hatte das Personal gebeten, doch erst mal zu recherchieren, ob da was in Düsseldorf gewesen sei. Aus Sicht der Ermittler spricht das für seine Glaubwürdigkeit. Auch war die Sprengung per Fernzündung nie öffentlich bestätigt worden. So etwas nennen Fahnder "originäres Täterwissen".

Ralf S. war da längst kein Unbekannter mehr. Im Wehrhahn-Verfahren war er "Spur 81" gewesen. Er wurde festgenommen und galt zeitweise als Hauptverdächtiger, aber eine Tatbeteiligung konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Er schien ein perfektes Alibi zu haben, das nach heutiger Erkenntnis mit List konstruiert war. Unter anderem soll er sich eine Art konspirative Wohnung zugelegt haben.

Der Düsseldorfer Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück, der in die Ermittlungen früh eingeschaltet worden war, stellte sich 2014 ein neues Team zusammen. Nur vier Leute, die aber jedes Blatt der Akten in- und auswendig kannten, "EK Furche" eben. Das ganze Programm lief an, das es bei großen Fällen gibt: Verdeckte Ermittler wurden eingeschaltet, Ralf S. wurde abgehört.

Ralf S. ärgerte sich über die osteuropäischen Sprachschüler in der Nachbarschaft

Die Sichtung der alten Unterlagen ergab, dass sich Ralf S., der häufig mit Kampfhund und in Springerstiefeln unterwegs war, damals sehr über die osteuropäischen Sprachschüler in der Nachbarschaft geärgert hatte. Er hatte einen Militaria-Laden in Düsseldorf und betrachtete die Neuen offenbar als Eindringlinge. Erst klebten an der Schule Aufkleber "Deutschland den Deutschen". Dann tauchten zwei Neo-Nazis in Ledermänteln und Springerstiefeln mit Hunden auf, die sich morgens und in der Pause am Eingang postierten.

Die Schüler starteten eine Gegenaktion. Sie stellten sich gemeinsam ans Fenster der Schule und sahen den Neonazis ins Gesicht. Die verzogen sich dann in den Laden von Ralf S. Aus Sicht der Ermittler hat das Ralf S. als Demütigung empfunden - in seinem Revier machten sich die Fremden breit. Zeugen berichteten, er habe Ausländer, Schwule und Juden gehasst. Ausländer und Juden waren die Sprachschüler, und dass sie nicht klein beigaben, war für ihn möglicherweise eine Provokation.

Die Ermittler fanden zwei Zeugen, die behaupteten, Ralf S. habe ihnen gegenüber den Anschlag angekündigt. Sie hätten darüber früher nie gesprochen, weil sie unter Druck gesetzt worden seien. Jetzt wollten sie aber aussagen.

Bei der Bundeswehr war Ralf S. Spezialist für Sprengfallen

Aus Sicht der Ermittler passt eins zum anderen: Ralf S. plaudert in der Haft über etwas, was er angeblich gemacht hat und es gibt Zeugen, die bekunden, dass er vorher darüber gesprochen hat. Nach der kriminalistischen Logik kann es da keinen anderen Täter geben. Zumal die Ermittler auch auf eine Zeugin stießen, die Ralf S. unmittelbar vor dem Anschlag in der Nähe des Tatorts beobachtet hat.

Ralf S. war einst Zeitsoldat. Der Aussage seines Ausbilders bei der Bundeswehr zufolge war er ein Spezialist für Sprengfallen gewesen. Nach seiner Zeit bei der Bundeswehr bot er Lehrgänge im Survival-Bereich an. Seine Schüler mussten die von ihm angebrachten Sprengfallen entdecken. Es gibt davon Bilder.

Ralf S. sagt über sich, er habe "gesundes Nationalbewusstsein". Bei Ralf S. bedeutet "gesund" mancherlei: "Unsere Hochzeit war am 20. April, am Geburtstag Adolf Hitlers", hat seine frühere Ehefrau gesagt. Eine Zeugin behauptet, Ralf S. habe "ein Tattoo mit Hakenkreuz". Und sein Rottweiler soll nicht auf die Kommandos "Sitz" oder "Platz" gehört haben, sondern auf "Asylant".

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