Rechte im Dresdner Stadtrat:Der 11. September - ein schwarzer Tag in Dresden

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Szenen wie aus dem Tollhaus: Erstmals stimmten Bürgerliche und Linke für einen dubiosen Antrag von Rechtsextremen - das sorgt für Ärger.

Oliver Das Gupta

Normalerweise interessiert sich Deutschland nicht für Vorgänge im Dresdner Stadtrat. Doch was am 11. September 2008 geschah, sorgt noch immer für einiges Aufsehen.

Frauenkirche, Ständehaus, der Turm des Neuen Rathauses, der Hausmannsturm und die Hofkirche: Die Silhouette der Dresdner Altstadt Ende August 2008 (Foto: Foto: dpa)

"Dresdner Linke sollen nach Votum für NPD-Antrag Partei verlassen", titelte die Deutsche Presseagentur. Noch nie ist es den Rechten gelungen, die bürgerlichen Parteien so sehr zu verwirren und die Linke zu entzweien wie im Stadtparlament der sächsischen Landeshauptstadt.

Die Geschichte aus dem Osten hat es in sich: Da geht es um offene Rechnungen, die endlich beglichen werden, Lob aus dem bürgerlichen Lager für einen Linken und um die Grundsatzfrage, wie man es als demokratischer Politiker mit Rechtsextremisten hält.

Gesteuert von der NPD

Am vergangenen Donnerstag eröffnet die Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz eine Sitzung des Stadtrates. Die Christdemokratin ist erst seit kurzem im Amt, deshalb "vielleicht nicht so gewieft", wird anschließend SPD-Stadtratsfraktionschef Peter Lames sagen. Aus der Linksfraktion heißt es, die OB habe sich "unbeholfen" verhalten.

Das Unheil nimmt gleich zu Beginn der Sitzung seinen Lauf. Die Tagesordnung soll festgelegt werden. Stadtrat Wolfgang Schwarz meldet sich. Er ist fraktionslos, aber Teil einer politischen Bewegung. Er sitzt mit drei Gesinnungsgenossen für das Nationale Bündnis Dresden, kurz NB, im Stadtparlament. Dieses NB wird von der neonazistischen NPD gesteuert; NB-Vorsitzender ist Holger Apfel, der vor ein paar Jahren vom Dresdner Stadtrat in den Landtag als Fraktionschef der Rechtsextremen wechselte.

Der rechte Stadtrat Schwarz schlägt an jenem Donnerstag aktuell eine Gedenkminute im Stadtparlament vor - "für die Opfer des 11. September". Es sei der 11. September 2001 gemeint gewesen, so erinnert sich zumindest SPD-Mann Lames. Oberbürgermeisterin Orosz bügelt die Idee nicht ab, sie wäre als ein Punkt auf die Tagesordnung gesetzt worden. Orosz fragt noch, ob jemand widerspricht. Das tut der sozialdemokratische Fraktionschef Lames. Er besteht auf Abstimmung des Antrages.

Die CDU schimpft, die SPD grollt

Lames sagt noch: Die Geschichte der Menschheit sei voll von Katastrophen, denen der Stadtrat nicht immer gedenke, darunter vielen, die von den geistigen Verbündeten der vier Herrschaften da hinten verursacht worden seien. Er bezieht sich eindeutig auf die NB-Stadträte, doch die CDU fühlt sich provoziert.

"Der SPD-Fraktionschef hat Öl ins Feuer gegossen", schimpft CDU-Stadtrat Helfried Reuther später. "Hanebüchener Unsinn" sei das, grollt Lames.

Es kommt zur Abstimmung. Die Mehrheit der Stadträte ist für den Vorschlag aus den Reihen der Rechtsextremen. Die Fraktionen der Linkspartei und der Grünen verlassen aus Protest den Saal, die SPD-Fraktion bleibt für die somit genehmigte Gedenkminute für die Opfer des 11. September - man sollte eher von einer "Gedenkviertelminute" sprechen, sagt Lames.

Danach wird die Causa explosiv. Erst im Nachhinein sei klar, dass die Rechtsextremen mit dem 11. September auf ein ganz anderes Datum abzielten, meldet Tage später die Deutsche Presseagentur. Nach Aussagen der stellvertretenden Linken-Bundesvorsitzenden Katja Kipping seien am 11. September 1944 bei einer Offensive der Alliierten in der Nähe von Trier 12.000 deutsche Soldaten ums Leben gekommen. Diese Opfer seien gemeint gewesen, habe angeblich ein Mitglied des Nationalen Bündnisses klargestellt.

Die mediale Aufregung bei der Linkspartei zielt vor allem auf eine Person: Ronald Weckesser. Der ist für die Linke Abgeordneter im sächsischen Landtag und sitzt zudem im Dresdner Stadtrat. In dem Stadtparlament gehört er allerdings zur Linksfraktion.PDS - und nicht zur Fraktion der Linkspartei, die ebenso vertreten ist.

Weckesser stimmt am 11. September im Stadtrat gemeinsam mit vier Fraktionskollegen für die Gedenkminute 11. September. Das ist zu viel für die Sozialisten. Weckesser habe mit seinem Verhalten den antifaschistischen Konsens der Partei aufgekündigt, sagte Linken-Landeschefin Cornelia Ernst.

Zum kuriosen Nebeneinander zwischen Die Linke und Linksfraktion.PDS kam es nach dem umstrittenen Verkauf der städtischen Immobiliengesellschaft WoBa im Jahre 2006. Durch den Erlös war der Schuldenberg der Stadt verschwunden - was für Dresdens Finanzen gut war, war für die Linke aber schlecht.

Im Stadtrat hatten einige der dunkelroten Genossen für den WoBa-Verkauf an einen amerikanischen Investor gestimmt, andere lehnten ihn als sozial unverantwortlich ab. Die Gräben waren tief. Es bildeten sich zwei Fraktionen: Die der Linken und eben die Linksfraktion.PDS, in der auch Weckesser sitzt. Die ist größer als die "echte" Linksfraktion; sie stimmt ab und zu auch mal mit der CDU.

CDU-Lob trotz SED-Vergangenheit

Bislang hat die von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi straff geführte Bundespartei das Dresdner Linken-Kuriosum mehr oder weniger geduldet. Doch nun scheint die Gelegenheit günstig, aufzuräumen und ein Exempel zu statuieren - an der Person Weckesser.

Der 59-Jährige ist im Freistaat Sachsen durchaus prominent. Er ist immerhin Chef des Finanzausschusses im Landtag. Selbst das bürgerliche Lager zollt dem früheren SED-Mitglied Respekt: Weckesser sei von "allen Seiten geschätzt", sagt CDU-Mann Reuther. Und FDP-Stadtratsfraktionschef Jan Mücke, der auch im Bundestag sitzt und hier als Parlamentarischer Geschäftsführer der Liberalen wirkt, lobt den "hochanständigen Kollegen" mit dem Linken-Parteibuch.

Binnen Wochenfrist soll Weckesser nun die Partei Die Linke verlassen. Am morgigen Donnerstag will die Landtagsfraktion entscheiden, ob sie ihren Finanz-Experten verstößt. Weckesser selbst bezeichnete seine Dresdner Zustimmung inzwischen als Fehler, er wolle aber deswegen weder Partei noch Landtagsfraktion verlassen.

Soll er aber, findet auch Andre Schollbach, der Fraktionschef der Konkurrenz-Linken im Stadtrat. "Diese Leute", so nennt Schollbach seinen Parteifreund Weckesser und dessen Kollegen, "diese Leute" hätten sich eine Menge geleistet: "Da wird jetzt hart durchgegriffen."

Den absehbaren Rausschmiss kritisiert vor allem das bürgerliche Lager. Tenor: Die Linke habe einen Vorwand gesucht und nun gefunden, um den unliebsamen Weckesser auszuschalten. FDP-Parlamentarier Mücke mokiert sich dementsprechend über die "fiese Art und Weise", wie die Linke den Mann loswerden soll. CDU-Stadtrat Reuther sekundiert: "Ich finde es unerhört, wie man versucht, jemandem daraus einen Strick zu drehen."

Eine "Augenblicksentscheidung"

Möglicherweise denkt der Christdemokrat dabei auch an sich und seine Parteifreunde. Denn die Mehrheit im Stadtrat für den angebräunten Antrag kam nur zustande, weil sich viele Hände der großen CDU-Fraktion für ihn hoben. Das sei eine "Augenblickentscheidung" gewesen, sagt Reuther, das sei "passiert und auch nicht zurückzuholen".

Warum sich einige aus seiner Fraktion für den Gedenk-Antrag erwärmten, kann Reuter nicht so recht erklären. Immerhin galt bislang ein Konsens zwischen den demokratischen Fraktionen - und danach sei alles, was aus der rechtsextremen Ecke kommt, abzulehnen. Christdemokrat Reuther erzählt, wie einige der Kollegen sich an den 11. September 2001 erinnerten. Damals, als die Flugzeuge in das World Trade Center krachten, habe man Fraktionssitzung gehabt. Es sei ihnen ausschließlich um die Opfer gegangen.

Das glaubt auch FDP-Fraktionschef Mücke, die Zustimmung nennt er trotzdem eine "politische Dummheit". Mücke selbst kam verspätet in den Stadtrat und verpasste die Abstimmung. Seine anwesenden Fraktionskollegen hätten dem Gedenk-Vorschlag niemals zugestimmt, sagt Mücke: "Ich kann für jeden von ihnen meine Hand ins Feuer legen."

Das sollte er lieber nicht tun, wenn Andre Schollbach recht haben sollte. Der Linke-Fraktionschef will gesehen haben, dass auch aus den Reihen der FDP-Fraktion Zustimmung kam.

Sicher ist nur: Die Rechte freut sich. Wolfgang Schwarz, der Antragsteller vom Nationalen Bündnis, hat sich der Stadtverwaltung zufolge geäußert. Er habe erklärt, dass er kein Nazi sei. Dazu habe er einen Besuch in Frankreich angeführt, bei dem er auf einem Friedhof französischer und deutscher Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg gedacht habe. Was das zu bedeuten hat, ist wohl nur dem braunen Politiker klar.

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