Reaktionen:"Wulff muss jetzt seine Schlüsse ziehen"

Der Bundespräsident hat eine Erklärung angekündigt: Um elf Uhr werde er sich im Schloss Bellevue äußern. Was kann er jetzt noch machen? Sowohl Oppositions- als auch Koalitionspolitiker sehen nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft nur eine Option: den Rücktritt des Bundespräsidenten. Ein monatelanges Ermittlungsverfahren können sich die meisten nicht vorstellen.

Nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft Hannover auf Aufhebung der Immunität wächst der Druck auf Christian Wulff: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik soll gegen einen Bundespräsidenten ermittelt werden. Es bestehe gegen Wulff und den Filmunternehmer David Groenewold der Anfangsverdacht der Vorteilsannahme beziehungsweise Vorteilsgewährung, begründete die Behörde am gestrigen ihren Schritt. Groenewold soll Wulff einen Sylt-Urlaub bezahlt haben.

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Der Druck auf Bundespräsident Christian Wulff wächst: Inzwischen sinkt auch der Rückhalt in der schwarz-gelben Koalition.

(Foto: AFP)

Inzwischen hat Wulff eine Erklärung angekündigt: Um elf Uhr will sich der Bundespräsident im Schloss Bellevue äußern, teilte das Bundespräsidialamt mit.

Die Reaktionen aus der Opposition sind eindeutig: Aus Sicht von SPD-Generalsekretärin Andra Nahles sind "staatsanwaltliche Ermittlungen mit dem Amt des Bundespräsidenten unvereinbar". "Dass eine Staatsanwaltschaft gegen das Staatsoberhaupt ermitteln will, hat es noch nie gegeben", sagte Nahles. Und weiter: "Die Vorwürfe gegen Christian Wulff wiegen schwer." Im Falle eines Rücktritts plädierte Nahles im ARD-Morgenmagazin für einen überparteilichen Nachfolgekandidaten.

SPD-Vorstandsmitglied Ralf Stegner sagte der Welt: "Jetzt ist der Rubikon überschritten, jetzt ist ein Rücktritt Christian Wulffs unvermeidlich." Wulff solle "dem Land und sich einen letzten Dienst erweisen und zurücktreten". Ähnlich äußerte sich der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele im Tagesspiegel: Er forderte Wulff zum sofortigen Rücktritt auf. Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und Jürgen Trittin erklärten, Wulff müsse jetzt "mindestens sein Amt ruhen lassen". Die Grünen würden dazu beitragen, dass Wulffs Immunität "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" aufgehoben werde.

Koalitionspolitiker schließen Rücktritt nicht aus

Wulffs Anwalt wollte den Antrag der Staatsanwaltschaft nicht kommentieren. Eine Stellungnahme des Bundespräsidialamtes war zunächst nicht zu erhalten. Die niedersächsische Landesregierung erklärte, sie nehme zu einem laufenden Verfahren keine Stellung.

Wulff steht seit Wochen wegen mehrerer Affären in der Kritik. Er war erst am Mittwochabend von einem dreitägigen Staatsbesuch in Italien zurückgekommen, bei dem er sich um Normalität bemüht gezeigt hatte.

Der Filmunternehmer Groenewold soll einen gemeinsamen Urlaub mit Wulff und dessen Ehefrau Bettina auf Sylt im Jahr 2007 bezahlt haben. Wulffs Anwälte hatten erklärt, der damalige niedersächsische Ministerpräsident habe die Summe beim Auschecken aus dem Hotel in bar zurückgezahlt. Medienberichten zufolge hat ein Unternehmen, an dem Groenewold beteiligt ist, von Niedersachsen zu Wulffs Zeit als Regierungschef eine Bürgschaft erhalten. Wulffs Anwälte hatten dies dementiert. Die Bürgschaft sei nicht zum Tragen gekommen, da ein Filmprojekt nicht realisiert worden sei.

Die Staatsanwaltschaft Hannover erklärte, sie sei nach umfassender Prüfung neuer Unterlagen und der Auswertung weiterer Medienberichte zu ihrer Entscheidung gekommen. Ziel der angestrebten Ermittlungen sei es, den Sachverhalt in einem förmlichen Verfahren zu klären.

Unions-Fraktionsvize Michael Meister distanzierte sich von Wulff. Die Aufhebung der Immunität wäre eine völlig neue Situation, sagte er dem Tagesspiegel: "Die Frage ist dann, ob Christian Wulff glaubt, damit umgehen zu können, das muss er aber selbst beantworten."

Der Vorsitzende des Immunitätsausschusses, Thomas Strobl (CDU), kündigte eine sorgfältige Prüfung an. "Das ist kein 08/15-Verfahren", sagte er in der ARD. Der Vorsitzende der CDU-Landesgruppe Niedersachsen im Bundestag, Michael Grosse-Brömer, sagte der Mitteldeutschen Zeitung, Wulff müsse "jetzt seine Schlüsse ziehen".

"Ich glaube, das war's"

Zuletzt hatten sich aber immer weniger Koalitionspolitiker offen hinter Wulff gestellt. Einem Bericht der Nachrichtenagentur dpa zufolge rechnen mehrere CSU-Vorstandsmitglieder mit einem Rücktritt des Bundespräsidenten. Wulff werde sich angesichts dieser neuen Entwicklung wohl kaum noch im Amt halten können, hieß es übereinstimmend von mehreren CSU-Vorständen. Angesichts eines Ermittlungsverfahrens werde das Staatsoberhaupt um einen Rücktritt kaum herumkommen.

Die Welt zitierte ein Mitglied der FDP-Führung mit den Worten: "Ich glaube, das war's." Die meisten Mitglieder der FDP könnten sich "ein monatelanges Ermittlungsverfahren gegen den Bundespräsidenten nicht vorstellen".

Der Chef der Jungen Liberalen, Lasse Becker, sagte dem Tagesspiegel, wenn der Bundestag sich für eine Aufhebung der Immunität aussprechen sollte, "dann muss Herr Wulff sehr genau in sich gehen und überlegen, was das für das Amt bedeutet".

Der Immunitätsausschuss des Bundestags wird sich womöglich noch in diesem Monat mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft befassen.

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