Reaktionen auf NSA-Abhörskandal:Merkel weist Mitwisserschaft bei US-Geheimdienstaktionen zurück

Reaktionen auf NSA-Abhörskandal: Die Bundesregierung (hier Angela Merkel bei einer Veranstaltung in Bonn) ist ungehalten über die Ausspähungen durch den Nachrichtendienst NSA in Deutschland und der EU

Die Bundesregierung (hier Angela Merkel bei einer Veranstaltung in Bonn) ist ungehalten über die Ausspähungen durch den Nachrichtendienst NSA in Deutschland und der EU

(Foto: AFP)

Erstmals sagt auch die Bundesregierung, es sei inakzeptabel, Freunde abzuhören. Doch weil die Kanzlerin nach Meinung der Opposition in der Affäre um den US-Geheimdienst NSA sehr defensiv agiert, glaubt SPD-Chef Gabriel, dass sie von der Überwachung gewusst haben muss. Diese Kritik nennt Regierungssprecher Seibert zynisch.

Die Enthüllungen vom Wochenende hallen nach - auch im politischen Berlin: Nach den Berichten über amerikanische Spionageaktionen gegen internationale Botschaften und Büros der Europäischen Union sowie die Metadaten-Sammlung der NSA an deutschen Netzwerkknoten fordern Politiker aller Parteien Konsequenzen. Doch wie könnten diese aussehen? Die wichtigsten Reaktionen und was sie bedeuten:

  • SPD-Chef Sigmar Gabriel will die Rolle der Kanzlerin in dem Abhörskandal explizit thematisieren. Er unterstellt in einem für die FAZ geschriebenen Gastbeitrag sogar, dass Merkel gewusst haben muss, dass US-amerikanische und britische Geheimdienste in Deutschland den Telefon- und Internetverkehr überwachen. "Die Reaktion der Kanzlerin lässt den Verdacht zu, dass ihr die Ausspähung zumindest dem Grunde nach durchaus bekannt" war, so Gabriel. Er fordere die Kanzlerin nun auf, zu "sagen, ob sie davon gewusst und es geduldet hat". Die Bundesregierung müsse außerdem ein formelles Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen die britische Regierung prüfen. "Die Ausspähung von Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürgern verstößt mit Sicherheit gegen Wort und Geist der Europäischen Verträge." Was jetzt offenbar werde, sei mehr als ein Geheimdienstskandal, sondern geeignet, die freiheitlichen Grundlagen der transatlantischen Wertegemeinschaft zu zerstören.
  • Die Bundesregierung weist den Vorwurf Gabriels scharf zurück. Das Vorgehen des SPD-Vorsitzenden, der Bundeskanzlerin Mitwisserschaft an flächendeckenden Ausspähungen zu unterstellen, ist angesichts berechtigter Sorgen vieler Menschen um den Schutz ihrer Privatsphäre zynisch", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Zuvor hatte Seibert das Verhalten der USA kritisiert und damit im Namen der Bundesregierung nach langer Zurückhaltung erstmals deutliche Kritik geäußert: "Wenn sich bestätigt, dass tatsächlich diplomatische Vertretungen der Europäischen Union und einzelner europäischer Länder ausgespäht worden sind, dann müssen wir ganz klar sagen: Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel, das geht gar nicht", sagte Seibert.
  • SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück verlangt ebenfalls eine genauere Aufklärung von der Kanzlerin. Ihr bisher defensiver Umgang mit den Informationen verursache einen schalen Beigeschmack, sagte Steinbrück in Berlin. "Es könnte den Eindruck nähren, dass sie mehr weiß, als bisher bekannt geworden ist." Zu einer möglichen Aufnahme des US-Informanten Edward Snowden in Deutschland sagte Steinbrück: "Dazu gebe ich keine Antwort aus der Hüfte heraus." Notwendig sei eine genaue Prüfung des Falls.
  • Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin will Asyl für den NSA-Whistleblower Snowden. Der 30-Jährige sollte in Europa und damit unter Umständen auch in Deutschland eine "sichere Unterkunft haben, denn er hat Europa einen Dienst erwiesen", sagte Trittin im ARD-"Morgenmagazin". Es sei für die Demokratien eigentlich peinlich, "dass so jemand, der sich um die Demokratie ja verdient gemacht hat, der nach unserem Verständnis einen massiven Grundrechtsverstoß aufgedeckt hat, bei Despoten Unterschlupf finden muss, die selber mit den Grundrechten auf Kriegsfuß stehen", sagte Trittin. Auch SPD-Politiker Lars Klingbeil fordert inzwischen Asyl für Snowden, sollte dieser tatsächlich Rechtbrüche enthüllt haben. Bislang hat Snowden, der immer noch am Moskauer Flughafen festsitzt, allerdings noch kein Asyl in Deutschland beantragt.
  • Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) fordert eine Entschuldigung von den USA. "Wenn der Verdacht sich bestätigen sollte, dass die Amerikaner die Bundesregierung und deutsche Botschaften ausspioniert haben, wäre eine Entschuldigung unausweichlich", sagte der Minister zu Focus Online. Sollten sich die Berichte als Tatsache herausstellen, "ist das Vertrauensverhältnis zwischen der Europäischen Union und den USA belastet". Daher könne es "in vielen Bereichen des europäisch-amerikanischen Verhältnisses" zu Beeinträchtigungen kommen, sagte Friedrich.
  • Bundespräsident Joachim Gauck hat sich besorgt zu den mutmaßlichen US-Abhöraktivitäten geäußert. Vor Diplomaten sagte Gauck in Freiburg: "Ich halte es für unverzichtbar, dass diese Vorgänge aufgeklärt werden." Gefahrenabwehr durch die Geheimdienste müsse immer verhältnismäßig sein. Zugleich forderte er einen internationalen Rechtsrahmen für das Internet und die neuen Kommunikationsformen, die keine territorialen Grenzen kennen. Datenschutz, demokratische Kontrolle und rechtsstaatliche Bindungen für alle Nutzer - Behörden wie Private - müssten verbindlich geregelt werden, sagte Gauck laut vorab verbreitetem Redemanuskript.

Deutsche Geheimdienste geraten in Erklärungsnot

  • Die FDP bringt ein internationales Abkommen zum Datenschutz ins Spiel. FDP-Generalsekretär Patrick Döring appellierte im Gespräch mit Süddeutsche.de, an die Bundesregierung, auf einen internationalen völkerrechtlichen Vertrag hinzuwirken, in dem "Mindeststandards für Datenschutz, Privatsphäre und das Fernmeldegeheimnis einheitlich geregelt werden". FDP-Chef Philipp Rösler forderte einen Untersuchungsausschuss des Europaparlaments. Die "Datensammelwut" der Briten und Amerikaner sei ein "Unding".
  • Politiker verschiedener Parteien stellen die Freihandels-Verhandlungen der EU mit den USA in Frage. In diese Richtung äußerten sich Katrin Göring-Eckardt (Grüne), Wolfgang Bosbach (CDU), Bernd Riexinger (Linke) und auch . SPD-Spitzenkandidat Steinbrück. EU-Justizkommissarin Viviane Reding hatte bereits am Sonntag damit gedroht, die Gespräche ruhen zu lassen, sollten die Berichte zutreffen. Die Folgen der Enthüllungen für das amerikanisch-europäische Verhältnis hat SZ.de-Autor Matthias Kolb beschrieben.
  • Auch die deutschen Geheimdienste geraten in Erklärungsnot. "Unsere Spionageabwehr muss auf ihre Effektivität überprüft werden, wenn es ausländischen Geheimdiensten ohne Mühe möglich ist, die Telefonate und E-Mails deutscher Bürger millionenfach abzufangen und auszuwerten", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, der Frankfurter Rundschau. "Das stellt unseren Geheimdiensten kein gutes Zeugnis aus." Hans-Christian Ströbele von den Grünen, der dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur Überwachung der Geheimdienste angehört und sich oft als Kritiker der Sicherheitsbehörden hervorgetan hat, sagte: "Der Bundesnachrichtendienst und auch der Verfassungsschutz haben bisher immer gesagt, dass das Ziel ihrer Tätigkeit niemals befreundete Nationen sind. Ich denke, das müssen wir jetzt überdenken. Unsere Dienste müssen diese Spionage abwehren."
  • Geheimdienste in den USA und Großbritannien versprechen Aufklärung: US-Geheimdienstkoordinator James Clapper ließ über sein Büro mitteilen: "Die US-Regierung wird der Europäischen Union angemessen über unsere diplomatischen Kanäle antworten" und "diese Themen auch bilateral mit EU-Mitgliedsstaaten besprechen". Auch Großbritannien wird entgegen erster Aussagen mit der Bundesregierung über sein Spionageprogramm "Tempora" reden: Am Montagnachmittag sind Vertreter verschiedener Ministerien zu einer Videokonferenz in die britische Botschaft eingeladen. Dort würden Rechtsprobleme erörtert, die sich aus dem Anzapfen eines Übersee-Glasfaserkabels durch den britischen Nachrichtendienst ergeben. Über diese Leitung läuft ein Großteil des deutschen Internetverkehrs nach Amerika.
  • Frankreich verlangt Erklärungen von den USA: Frankreichs Präsident François Hollande fordert ein sofortiges Ende mutmaßlicher US-Spionageaktivitäten gegen EU-Einrichtungen. "Wir fordern, dass das sofort aufhört", sagte er am Rande eines Besuches in Lorient in der Bretagne. "Wir können ein solches Verhalten zwischen Partnern und Alliierten nicht akzeptieren." Die USA müssten Erklärungen abgeben.
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