Reaktionen auf Kohl-Urteil:Schily und Birthler weiter über Kreuz

Während Innenminister Otto Schily die Bürgerrechte gestärkt sieht, wertet Behörden-Chefin Marianne Birthler wertet das Urteil als eine "alarmierende" Entscheidung gegen die Pressefreiheit.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte am Mittwoch nur einen Teil der Akten freigegeben und damit eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin geändert. Kohls Anwalt Stephan Holthoff-Pförtner und Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) äußerten sich zufrieden mit dem Richterspruch.

Reaktionen auf Kohl-Urteil: Marianne Birthler, Chefin der Behörde für Stasi-Unterlagen

Marianne Birthler, Chefin der Behörde für Stasi-Unterlagen

(Foto: Foto: dpa)

Holthoff-Pförtner sagte, durch die Auslegung des Gerichts seien die wesentlichen Züge des alten Stasi-Unterlagengesetzes bestehen geblieben. "Ohne meinem Mandanten vorgreifen zu wollen: Ich sehe keinen Grund, den Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe fortzusetzen."

Auch Innenminister Schily sah sich in seiner Rechtsauffassung bestätigt. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Max Stadler, sprach von einer "Stärkung und Festigung des Schutzes von Persönlichkeitsrechten".

Mit dem Urteil haben die Richter des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts die Rechtsstellung von Politikern und Prominenten als Personen der Zeitgeschichte gestärkt.

Informationen, die durch das Abhören in Privat- oder Diensträumen gewonnen worden sind, dürfen grundsätzlich nicht weitergegeben werden. Dies gilt nach dem Urteil nicht nur für Tonbänder und Wortprotokolle, sondern auch für alle darauf beruhenden Berichte, Analysen oder Stellungnahmen.

Die Entscheidung ist voraussichtlich das Ende des Rechtsstreits zwischen dem Alt-Kanzler und Birthler, in dem es zuletzt noch um etwa 1000 Seiten Stasi-Material ging. Die Birthler-Behörde ist an das Urteil gebunden und kann nicht klagen.

Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, bezeichnete die Entscheidung als alarmierend. Die Aktenherausgabe werde erheblich eingeschränkt. "Die großen Verlierer dieses Verfahrens sind die Medien", sagte sie.

Der Urteilsspruch sieht gravierende Beschränkungen für Journalisten vor: Sie dürfen Stasi-Unterlagen mit persönlichen Daten nur mit Einwilligung der Betroffenen bekommen. Dies gelte auch für Politiker und Prominente, erklärten die Richter. Im Grundsatz dürfe das Stasi-Material nur zu Forschungszwecken weitergegeben werden.

"Es muss sichergestellt sein, dass die Informationen nicht in unbefugte Hände geraten und veröffentlicht werden", sagte der Senatsvorsitzende Hans-Joachim Driehaus. Ohne Einwilligung stehen Journalisten damit künftig nur Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen offen.

Birthler sagte, das Ausmaß der restriktiven Vorschriften könne erst beurteilt werden, wenn das schriftliche Urteil vorliege. Ein Teil der Stasi-Unterlagen von Kohl könne herausgegeben werden. Dieses Material werde jetzt für die Herausgabe vorbereitet.

Der Direktor der Berliner Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, empfahl den Medien dagegen eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

Der Rechtsstreit um Kohls Stasi-Akten hatte im Juli 2001 mit dem Herausgabe-Verbot durch das Verwaltungsgericht Berlin begonnen. Dieses hatte das Bundesverwaltungsgericht im März 2002 noch auf Grundlage des alten Stasi-Unterlagengesetzes bestätigt.

Danach war das Stasi-Unterlagengesetz im September 2002 so geändert worden, dass auch Informationen über Personen der Zeitgeschichte weitergegeben werden dürfen. Birthler hatte daraufhin den Fall erneut vor Gericht gebracht und 2003 in Berlin ein Herausgaberecht erreicht.

(www.bverwg.de, Aktenzeichen des Urteils: BVerwG 3 C 41.03)

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