Reaktion auf Thilo Sarrazin:Eine lausige Vorstellung der SPD

Die SPD ärgert sich zu Recht über Thilo Sarrazins Thesen, die absurder sind als je zuvor. Aber sie selbst hat wenig zu bieten in Sachen Integrationspolitik. Kein Wunder, dass ein Außenseiter das Feld bestellt.

Constanze von Bullion

Wenn sozialdemokratische Funktionäre über Einwanderung diskutieren, dann schlafen einem normalerweise die Füße ein. Wenn der Sozialdemokrat Thilo Sarrazin es tut, dann gibt es jedes Mal einen Aufschrei. Besonders laut schreit jetzt seine eigene Partei. Er hat da einen Nerv getroffen.

Gabriel legt Sarrazin Parteiaustritt nahe

Vertritt Thesen, die die SPD empören: Thilo Sarrazin

(Foto: dpa)

Sarrazin, lange Berliner Finanzsenator und jetzt Bundesbanker, hat ein Buch verfasst, in dem es, mal wieder, um Zuwanderer geht. Er schreibt, drei Generationen muslimischer Immigranten hätten im Land keinerlei "wirtschaftlichen Mehrwert" erbracht. Er fordert, Muslime mit finanziellen Sanktionen zu belegen, wenn sie sich nicht integrieren. Wer arbeitslos ist und unpünktlich, dem wird die Stütze gekürzt, so der Vorschlag. Wer sein Kind unentschuldigt im Kindergarten fehlen lässt, kriegt weniger Geld für Lebensmittel. Für alle nichtdeutschen Staatsbürger wird eine zentrale Datenbank eingerichtet, zur Überwachung.

Absurdere Thesen als je zuvor

Sarrazins Thesen sind diesmal etwas sachlicher formuliert, inhaltlich aber absurder denn je. Warum will er die Daten in Deutschland lebender Briten, Japaner und Türken in einer zentralen Datei speichern? Weil sie alle irgendwie verdächtig sind? Und was macht man mit der christlichen Familie aus Böblingen, die ihr Kind nicht in den Kindergarten schickt, weil sie es zu Hause betreuen möchte? Wird ihr zur Strafe auch das Essensgeld gestrichen? Das gäbe ein Geschrei, vor allem im Westen der Republik und bei den Hütern altbackener Familienbilder.

Sarrazin mag vielen aus der Seele sprechen, gefällige Sprüche aber lösen die Riesenprobleme der Zuwanderungsgesellschaft nicht. Arbeitslosigkeit, Bildungsferne, Kriminalität - das sind klassische Unterschichtenphänomene. Sie sind im Kern sozialer, nicht religiöser Natur. Und eine ganze Religionsgemeinschaft, die Muslime, als quasi wertlos zu definieren, weil sie wirtschaftlich zu wenig abwirft, ist inakzeptabel.

Empört zu sein reicht nicht

Wenig hilfreich aber ist auch die Empörung, mit der die SPD auf Sarrazin eindrischt. In Berlin hat man versucht, ihn aus der Partei zu werfen. Eine Geste der Ratlosigkeit war das und zu Recht erfolglos. Jetzt ist Sigmar Gabriel aufgewacht und will prüfen, ob Sarrazins Gedanken parteigemäß sind. Das ist keine schlechte Idee - dann befasst sich wenigstens mal jemand mit der Sache.

Die Verwerfungen in den Zuwanderermilieus gehören zu den wichtigsten Zukunftsfragen des Landes, die SPD aber drückt sich ängstlich um Antworten herum. Sie will vom warmen Öfchen der Völkerfreundschaft nicht abrücken, spürt aber wachsendes Unbehagen - und schweigt.

Klaus Wowereit, der als neuer SPD-Vize fürs Urbane zuständig sein will, schimpft in jeder Rede über Thilo Sarrazin, ohne eine eigene Idee zu entwickeln. Andrea Nahles, sonst Fürsprecherin der kleinen Leute, eiert verlegen herum, wenn es um Migranten geht. Die Performance der SPD-Spitze ist lausig. Kein Wunder, dass Außenseiter das Feld bestellen.

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