Reaktion auf Terror in Paris:Nicht mal Moscheen sind tabu

Viele US-Republikaner wollen keine Flüchtlinge aufnehmen oder sogar Moscheen schließen. Ihre Wortwahl und Nazi-Vergleiche verdecken eine bittere Realität: Viele Amerikaner sehen es genauso.

Analyse von Matthias Kolb, Washington

Besonnenheit und Gelassenheit sind Eigenschaften, die unter republikanischen Politikern und konservativen Kommentatoren äußerst selten sind. Hier setzt sich durch, wer sich am schnellsten ein Urteil bildet und in möglichst drastischen Worten Forderungen aufstellt. Noch während die Polizisten in Paris versuchten, die Geiseln im "Bataclan" zu befreien, äußerten sich konservative Politiker und Medien-Persönlichkeiten via Twitter, um sich zu profilieren.

Donald Trump und Newt Gingrich machten die strengen Waffengesetze in Frankreich für die vielen Toten verantwortlich. Am Tag nach der Anschlagserie missbrauchte Ann Coulter, konservative Aktivistin und Dauergast bei Fox News, die Anschläge von Paris, um vehement für die Abschiebung von Millionen illegalen Einwanderern und Muslimen zu werben.

Auch ein paar Tage später ist bei Republikanern von Besonnenheit wenig zu spüren und die meisten Statements kommen ohne Differenzierung aus. Weiterhin ist das konservative Amerika außer Rand und Band - und es scheint mit Ausnahme von Jeb Bush allen Beteiligten darum zu gehen, keine Schwäche zu zeigen.

Die Aussagen der Präsidentschaftskandidaten

Einige der krassesten Aussagen kommen - wenig verwunderlich - von Donald Trump: Er verbreitete bei einem Auftritt in Texas die Lüge, dass Barack Obama 250 000 muslimische Flüchtlinge ins Land holen wolle (in Wahrheit sind es 10 000). Es wäre ein "Sicherheitsrisiko", Syrer oder Iraker ins Land zu lassen, so Trump. Er werde sich als Präsident auch "ernsthaft überlegen", einige Moscheen in US-Städten zu schließen. Die Kritik würde er in Kauf nehmen: "Der Hass auf uns ist doch schon da - und er ist unglaublich."

Andere Kandidaten wie der Ex-Gehirnchirurg Ben Carson lehnen es strikt ab, muslimische Flüchtlinge aufzunehmen; Ted Cruz will dies gar per Gesetz festschreiben lassen. Der in den Umfragen abgeschlagene Mike Huckabee, ein ehemaliger Baptistenprediger, formulierte es auf recht absurde Weise: "Wir müssen aufwachen und an der Falafel riechen. Wir importieren Terrorismus."

Seltsamer Nazi-Vergleich von Marco Rubio

Dass US-Präsident Obama im Kampf gegen den IS versagt habe, sagen die Kandidaten in jedes Mikrofon. Marco Rubio aus Florida, der in vielen Umfragen auf dem dritten Platz liegt, kritisiert noch andere Demokraten: Es sei beschämend, dass Hillary Clinton den Begriff "radikaler Islam" nicht verwenden wolle und nicht erkenne, dass sich der Westen in einem "Krieg" befinde. Rubio zieht einen Vergleich mit der Hitler-Zeit: "Das ist genauso, als würden wir sagen, wir sind nicht mit den Nazis im Krieg gewesen, weil wir Angst haben, einige Deutsche zu verärgern, die vielleicht Mitglieder der NSDAP, aber nicht selbst gewalttätig waren."

Jeb Bush spricht sich dafür aus, nur syrische Christen aufzunehmen. Er wirbt weiterhin dafür, das US-Einwanderungssystem zu reformieren - dies sei auch nützlich im Kampf gegen den Terror. Abgesehen von John Kasich und ihm, so Bush, würden alle anderen Republikaner-Kandidaten der öffentlichen Wut nicht entgegentreten, sondern diese nutzen: "Ich werde das nicht tun." Es komme vielmehr darauf an, dass Amerika Führungsstärke zeige und die Krise im Nahen Osten löse, sagte Bush im Interview mit Bloomberg Politics. Damit distanziert sich der im Wahlkampf bisher enttäuschende Bush klar vom Rest seiner Partei.

Wieso konservative Gouverneure keine Flüchtlinge aufnehmen wollen

Jeb Bush nimmt den ziemlich pragmatischen Gouverneur von Ohio, John Kasich, von seiner Kritik aus, doch auch dieser Präsidentschaftskandidat positioniert sich. Er ist einer von 31 fast ausschließlich republikanischen Gouverneuren, die nun reagieren: Sie haben erklärt , dass ihre Bundesstaaten keine Flüchtlinge aufnehmen würden. Mit Gouverneur Chris Christie (New Jersey) zeigt ein weiterer Anwärter fürs Weiße Haus hier klare Kante. Christie will "nicht mal fünfjährige Waisenkinder" aus Syrien aufnehmen. Dabei kann nach Einschätzung von Juristen diese Weigerung eine Ansiedlung nicht verhindern.

All die Sprüche und Reaktionen wirken verstörend auf liberale Amerikaner und Europäer, doch aus politstrategischer Sicht ist die Sache klar: 71 Prozent der Republikaner fürchten den Anstieg des "radikalen Islam" in den USA. Für das Ausland liegt der Wert noch höher. Der neue Chef des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, fordert nun eine "Pause" des US-Flüchtlingsprogramms.

Nach 9/11 ist es nicht verwunderlich, dass viele Amerikaner besorgt auf die Nachrichten und Berichte aus Paris reagieren. Dass Experten wie Peter Bergen von der New America Foundation einen ähnlichen Anschlag in den USA für "nicht unmöglich, aber doch unwahrscheinlich" halten, beruhigt sie nicht.

Wie politisch brisant und sensibel das Thema ist, zeigt jedoch die Tatsache, dass sich unter den besorgten Gouverneuren mit Maggie Hassan aus New Hampshire auch eine Demokratin befindet. Hassan fordert 2016 die Senatorin Kelly Ayotte heraus und ist überzeugt, dass sie auf dem Gebiet der nationalen Sicherheit keine Schwäche zeigen darf.

Dafür nimmt sie auch die Kritik von liberalen Organisationen wie MoveOn.org in Kauf, denn im swing state New Hampshire können einige Tausend Stimmen entscheidend sein - und da hier eine der ersten Vorwahlen stattfindet, touren ständig Republikaner mit ihren Horror-Parolen durch den Staat. Gouverneurin Hassan fordert nun Garantien von Obama, wie die Überzeugungen und die Vergangenheit der Flüchtlinge überprüft werden, die ins Land kommen.

Clinton, Sanders und Co. meiden das Terror-Thema eher

Die Washington Post erinnert daran, dass das Flüchtlingsthema schon seit Jahrzehnten sehr heikel für Demokraten sein kann. Bill Clinton hatte als junger Gouverneur von Arkansas 1980 versucht, die Ansiedlung von Flüchtlingen aus Kuba in seinem Staat zu verweigern, die Präsident Carter - ebenfalls Demokrat - angeordnet hatte. Die Kubaner verließen im Juni aus Protest das Camp und marschierten einen Highway entlang. Auch wenn es nicht zu dem von Clinton befürchteten "Blutbad" mit Polizisten und Anwohnern kam, verlor der spätere Präsident im November 1980 erst einmal die Wiederwahl.

Momentan halten die drei Präsidentschaftskandidaten der Demokraten daran fest, dass die USA Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen sollen: Hillary Clinton und Martin O'Malley halten 65 000 Flüchtlinge für angemessen; Senator Bernie Sanders nennt keine genaue Zahl. Bei ihren Auftritten reden die Demokraten zwar über Terrorismus und die Flüchtlingskrise, aber nach Eindruck vieler Beobachter ist es ihnen lieber, über Amerikas Wirtschaft und ihren Kampf gegen die wachsende soziale Ungleichheit zu sprechen.

Eines scheint klar: Die Frage, wie die USA auf die - reale oder gefühlte - Bedrohung durch Terroranschläge reagieren sollen, wird den Wahlkampf prägen. Und zwar weit bis ins Jahr 2016 hinein.

Linktipp: Dass es bei Fox News mitten im aufgeregten Tonfall und bei all der Panikmache noch andere Meinungen gibt, illustriert dieser Youtube-Clip. Darin appelliert Moderator Shepard Smith an die Zuschauer, dass die USA Mitgefühl zeigen und sich nicht durch radikale Rhetorik auf einen "Weg der Selbstzerstörung" führen lassen sollen.

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