Reaktion auf möglichen Giftgas-Einsatz:Kosovo-Einsatz könnte zur Vorlage für Syrien werden

Reaktion auf möglichen Giftgas-Einsatz: Szene aus einem Vorort von Aleppo: US-Präsident Obama lässt Optionen für einen Militäreinsatz in Syrien prüfen

Szene aus einem Vorort von Aleppo: US-Präsident Obama lässt Optionen für einen Militäreinsatz in Syrien prüfen

(Foto: AFP)

Das Elend, das Leid, die festgefahrene Situation: Die Luftangriffe auf Jugoslawien rechtfertigten die USA einst mit humanitären Gründen. Nach dem mutmaßlichen Einsatz von Giftgas in Syrien, auf den die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen mittlerweile Hinweise gefunden hat, ziehen Obamas Berater einem Bericht der "New York Times" zufolge den Kosovo-Krieg als Rezept für das weitere Vorgehen gegen Assad in Betracht.

Von Karin Janker

Drei Millionen syrische Kinder sind auf der Flucht vor dem Krieg in ihrem Land. Eine aktuelle Statistik der Vereinten Nationen versucht, das Leid einer ganzen Generation in eine Zahl zu fassen. "Syriens Jugend hat die Heimat, die Familien und die Zukunft verloren", sagte UN-Flüchtlingskommissar António Guterres diese Woche. Es stehe nicht weniger auf dem Spiel als "das Überleben und das Wohl einer ganzen Generation Unschuldiger".

Das Leid der Menschen, die jüngsten Meldungen über einen mutmaßlichen Giftgaseinsatz, die derzeit noch völlig hilflose Tatenlosigkeit der UN-Chemiewaffenexperten in Damaskus, die wegen Bombardements nicht in die relevanten Gebiete vorgelassen werden. All das ist keine Rechtfertigung, für die Amerikaner aber zumindest eine Veranlassung dazu, über Parallelen des Konflikts in Syrien mit dem Kosovo-Krieg nachzudenken.

Nie ist es gerechtfertigt, das Leid der Menschen in dem einen Krieg mit dem Leid in einem anderen Krieg zu vergleichen. Doch wie die New York Times berichtet, betrachten Sicherheitsberater von US-Präsident Barack Obama die Luftkriege auf den Kosovo vor fast eineinhalb Jahrzehnten als Präzedenzfall für eine mögliche Antwort auf einen Chemiewaffeneinsatz in Syrien. Erst müsse der Einsatz von Giftgas aber zweifelsfrei nachgewiesen werden.

Diesen Nachweis scheint nun die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) zu liefern. In syrischen Krankenhäusern seien nach ihren Angaben mehrere Tausend Menschen wegen "neurotoxischer Symptome" behandelt worden. Insgesamt etwa 3600 Menschen seien am Mittwochmorgen binnen drei Stunden eingeliefert worden, 355 von ihnen seien verstorben, teilte MSF am Samstag mit. Diese Angaben stammten aus von MSF unterstützten Krankenhäusern im Gouvernement Damaskus.

Als Beispiele für die Symptome der Patienten nannte die Organisation Krämpfe, vermehrten Speichelfluss, extrem verengte Pupillen sowie schwere Atemprobleme. MSF wies aber darauf hin, keine Aussage darüber treffen zu können, wer für den Einsatz des Gifts verantwortlich sei.

Russland bleibt hart

Ähnlich wie im Kosovo-Konflikt 1998/99 während der Amtszeit von Bill Clinton kann auch Obama für Syrien kaum auf ein UN-Mandat hoffen, das eine Intervention decken würde. Dagegen spricht die bisherige Haltung Russlands, das ähnlich wie im Falle Jugoslawiens langjährige Verbindungen zum syrischen Regime unterhält. Trotz der jüngsten Forderung des russischen Außenministers nach einer "objektiven Untersuchung" der Giftgas-Vorwürfe scheint Russland von seinem Kurs nicht abzuweichen.

Russland vermutet, dass das Giftgas, das am vergangenen Mittwoch bis zu 1300 Menschen getötet haben soll, von den syrischen Oppositionellen selbst eingesetzt worden sei, um den moralischen Druck auf Assad zu erhöhen. Diese Position stützt ein aktueller Bericht aus dem syrischen Staatsfernsehen: Demnach sollen syrische Soldaten chemische Substanzen in einem von Rebellen genutzten Tunnel in einem Vorort von Damaskus gefunden haben. Da der Sender von der Regierung kontrolliert wird, bleibt der Bericht wenig glaubwürdig und die Situation undurchsichtig.

Im Gegensatz zu Russland geht Großbritannien dagegen davon aus, dass der mutmaßliche Giftgasangriff vom Assad-Regime verübt worden sei. Dies sei die "einzige plausible Erklärung", sagte der britische Außenminister William Hague. "Ich weiß, dass einige Leute in der Welt dazu neigen zu sagen, dies sei eine Art Verschwörung der Opposition in Syrien - ich glaube, die Wahrscheinlichkeit dafür ist verschwindend gering", so Hague.

Kanzlerin Angela Merkel lehnt sich hingegen nicht so weit aus dem Fenster wie die Verbündeten: "Wir verfolgen nicht den Weg einer militärischen Lösung", betonte ihr Regierungssprecher Steffen Seibert am Samstag in Berlin. "Wir glauben nicht, dass das von außen militärisch zu lösen ist, sondern wir glauben, dass eine politische Lösung in Syrien organisiert werden muss."

"Rote Linie": Genau vor einem Jahr warnte Obama

Trotz der unübersichtlichen Lage vor Ort, von der sich auch die UN-Inspekteure kein Bild machen können, gerät Präsident Obama zunehmend unter Zugzwang: Vor genau einem Jahr drohte er Assad mit einem Militärschlag, sollte die "rote Linie" überschritten werden und Giftgas zum Einsatz kommen. Damals sagte er, es hätte "enorme Konsequenzen", "wenn wir an der Chemiewaffenfront Bewegung oder einen Einsatz sehen." Bereits damals hieß es, seine Berater hätten eine Reihe von Eventualplänen zusammengestellt.

Doch nicht nur seine eigene Aussage aus dem August 2012 setzt Obama unter Druck. Auch der einflussreiche Senator John McCain drängt den Präsidenten zum militärischen Eingreifen. "Wir können die Start- und Landebahnen zerstören und 40 oder 50 Flugzeuge zerstören", sagte der ehemalige republikanische Präsidentschaftsbewerber bei CNN. Obamas Parteikollege Eliot Engel forderte zuletzt ebenfalls, Luftangriffe gegen Assads Regierung anzuordnen. Andernfalls würden andere Länder die Untätigkeit der USA als Freischein für den Einsatz von Massenvernichtungswaffen interpretieren, argumentierte der ranghöchste Demokrat im Außenausschuss des Repräsentantenhauses.

US-Verteidigungsminister Chuck Hagel forderte auf CNN ebenfalls eine "rasche Antwort", falls in Syrien chemische Waffen zum Einsatz gekommen seien. Wenn sich die Vorwürfe bestätigten, so Hagel, müsse ein weiterer Gebrauch der Chemiewaffen verhindert werden. Deshalb lege das US-Militär dem Präsidenten derzeit "sämtliche Optionen" dar. Dazu gehöre auch, US-Truppen in Stellung zu bringen, sagt Hagel in dem Interview.

Zwar habe die US-Marine bisher keine Anweisung erhalten, sich auf einen militärischen Eingriff in Syrien vorzubereiten, doch ein Zerstörer mit Marschflugkörpern an Bord wurde zusätzlich zu drei weiteren dort stationierten ins Mittelmeer geschickt. Außerdem sei nach CNN-Informationen die Liste für Ziele möglicher Luftangriffe auf den neuesten Stand gebracht worden.

Voraussetzung für eine Intervention in Syrien - das betonte Obama ebenso wie Hagel - sei allerdings, dass der Einsatz von Chemiewaffen geklärt und nachgewiesen sei. An diesem Wochenende trifft sich der Präsident mit seinen Beratern, um alle Optionen in Syrien auszuloten. Der "Präzedenzfall" Kosovo dürfte bei diesen Gesprächen ein zentrales Thema sein.

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