Razzien in NRW und Niedersachsen:Einsatz gegen Abu W., den Prediger ohne Gesicht

  • Die Polizei hat am Mittwoch Razzien bei mutmaßlichen Unterstützern der Terrororganisation Islamischer Staat in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen durchgeführt.
  • Einige Spuren laufen in der Hildesheimer Moschee zusammen, laut Innenministerium ein "Hotspot der Salafistenszene".
  • Die interessanteste Figur unter den Verdächtigen ist Abu W. Er hat viele Videos veröffentlicht, in denen er nie sein Gesicht zeigt.

Von Georg Heil und Hans Leyendecker

Von Duisburg bis Hildesheim sind es mit dem Auto gut 320 Kilometer, und wer einen Schlenker macht, kommt auch an Dortmund vorbei.

Radikale Salafisten sollen diese Strecke in den vergangenen Jahren häufiger zurückgelegt haben. Es soll sogar Busausflüge gegeben haben.

In den drei Städten und auch noch in einigen anderen Orten in NRW und Niedersachsen fanden am Mittwochmorgen Razzien statt, weil dort Werber für die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sitzen sollen. Mehr als 150 Polizeibeamte waren im Einsatz, Sprengstoff-Spürhunde auch.

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe verdächtigt Hasan C. aus Duisburg, Boban S. aus Dortmund und Abu W., der angeblich Wohnsitze in Tönisvorst und in Salzdetfurth im Kreis Hildesheim haben soll, für den IS geworben zu haben. "Die drei Beschuldigten sind verdächtig, um Mitglieder und Unterstützer für die ausländische terroristische Vereinigung Islamischer Staat" geworben zu haben, teilte die Karlsruher Behörde mit. Gegen alle drei Männer wird ermittelt, festgenommen wurde keiner.

Im Fall des Duisburgers Hasan C. gibt es noch eine Besonderheit: Er soll angeblich einen in den Irak ausgereisten Salafisten finanziell unterstützt haben.

Das Innenministerium nennt Abu W. eine "hoch konspirative Person"

Drei Männer, ein Ziel? Es ist nur ein Anfangsverdacht, auch für diese drei gilt die Unschuldsvermutung. Aber es ist in dem einen oder anderen Fall schon reichlich Material zusammengekommen.

Die interessanteste Figur ist Abu W. Wer sich mit seiner Vita beschäftigt, lernt das salafistische Milieu kennen. Der 32 Jahre alte Mann ist ein Prediger, der auch Arabisch-Kurse anbietet und im Internet sehr aktiv ist. Es gibt sogar eine Abu W.-App im Apple-Store. In den vielen Videos und Publikationen taucht er nicht mit seinem Gesicht auf.

Er stammt aus dem Irak und spricht fließend Deutsch. Das Bundesinnenministerium stufte ihn 2012 als einen der "führenden Prediger" und als "hoch konspirative Person" ein. In NRW wurde er 2015 als Gefährder eingestuft. Ermittler halten ihn für einen bundesweit agierenden Rekrutierer mit Schwerpunkten in NRW und Niedersachsen. Früher soll er mal im Rhein-Main-Gebiet aktiv gewesen sein. W. bestreitet schon fast routiniert, irgendetwas mit dem IS zu tun zu haben.

Die Moschee in Hildesheim, ein Treffpunkt der Salafistenszene

In Hildesheim, wo er häufig auftaucht, hat sich, so der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius, "ein bundesweiter Hotspot der radikalen Salafistenszene" gebildet. Dort würden sich "viele Radikale treffen - nicht nur aus Niedersachsen", sagt Pistorius. Zwischen Salafisten-Zentren in NRW und Hildesheim soll es enge Verbindungen geben. Die Moschee des Deutschsprachigen Islamkreises (DIK) in Hildesheim ist speziell ins Visier von Staatsschützern und Nachrichtendienstlern geraten.

Die Moschee wurde 2012 gegründet und hat sich damals schon dezidiert für die salafistische Ideologie ausgesprochen. In Predigten und Vorträgen werde dort, so Pistorius, zum "Hass gegen Ungläubige" aufgerufen. Mindestens 26 junge Leute, die aus Hildesheim stammen oder einen Hildesheim-Bezug haben, sollen in Richtung Kriegsgebiete ausgereist sein. Etliche von ihnen sollen über den DIK radikalisiert oder geworben worden sein.

Safia S. besuchte vor ihrem Messerangriff häufig die Moschee

Der DIK ist auch an anderen Standorten aktiv und manchmal enden die Geschichten sehr schlimm. So besuchte Safia S. aus Hannover schon als kleines Mädchen die Moschee des DIK in der Nordstadt in Hannover. Die 15-Jährige, die also sehr früh in der Salafisten-Szene unterwegs war, machte in diesem Jahr Schlagzeilen, als sie nach der Rückkehr aus der Türkei einem Bundespolizisten am Hauptbahnhof in Hannover mit einem Messer in den Hals stach.

Sie soll vorher vergeblich versucht haben, zum IS nach Syrien zu reisen. Einem Freund hatte sie dann geschrieben, sie werde eine "Märtyreroperation in Deutschland" versuchen. Der niedersächsische Verfassungsschutz hat die DIK-Moschee in Hannover schon einige Zeit im Visier.

Es gibt etliche solcher Geschichten. Längst nicht alle enden so zerstörerisch und selbstzerstörerisch wie im Fall der Safia S., aber die Sorge unter den Ermittlern, dass irgendjemand, der indoktriniert wurde, irgendwo zuschlagen könnte, ist groß.

Spezialisten für islamistische Indoktrination

Ende Juli gab es eine Razzia bei dem Hildesheimer DIK-Moscheeverein, gegen den ein vereinsrechtliches Verbotsverfahren läuft. Der Prediger Abu W. protestierte in einem Filmchen, das häufig angeklickt wurde. Die Polizeiaktion sei "keine Durchsuchung, sondern Zerstörung" gewesen, behauptete er. Polizisten hätten die Moschee "mit Schuhen und Hunden betreten". Auch in diesem Film ist sein Gesicht nicht zu sehen.

Abu W. soll, so meinen die Ermittler, ein Spezialist für Indoktrination sein. Er soll junge Leute stark beeinflussen können. Mehreren Personen aus dem Umfeld dieser Moschee wurde der Pass entzogen.

Auch für die Verdächtigen in Duisburg oder Dortmund sollen sich darauf verstehen, junge Leute, die nach Halt und Orientierung suchen, so zu beeinflussen, dass sie gar nicht merken, indoktriniert zu werden.

Mit Blick auf die Razzien in den beiden Ländern versprach NRW-Innenminister Ralf Jäger am Mittwoch: "Unsere Sicherheitsbehörden tun alles in ihrer Macht stehende, um zu verhindern, dass die salafistischen Verführer Kinder und Jugendliche ihrer Gehirnwäsche unterziehen."

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