Razzien gegen Rechtsextreme in NRW:Großeinsatz gegen das Neonazi-Problem

Mit der Großrazzia gegen die rechte Szene und dem Verbot von drei Neonazi-Gruppen reagiert Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger auf den Anstieg rechtsextremer Gewalttaten in seinem Bundesland. Die nun aufgelösten Kameradschaften galten als äußerst aktiv und gut vernetzt - einige ihrer Mitglieder sind für ihre Gewaltbereitschaft bekannt.

Hannah Beitzer

Konzertierter Schlag gegen die Neonazi-Szene: Am Morgen durchsuchten Polizisten zahlreiche Wohnungen und Geschäfte im Ruhrgebiet und im Raum Aachen. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) verbietet außerdem drei Neonazi-Gruppierungen, die "Kameradschaft Aachener Land (KAL)", die "Kameradschaft Nationaler Widerstand Dortmund" und die "Kameradschaft Hamm". Nordrhein-Westfalen setzt damit seinen harten Kurs gegen Rechtsradikale fort - und hat auch allen Grund dazu.

Polizei in NRW durchsucht 120 Gebaeude der rechten Szene

Rechtsextreme demonstrieren in Dortmund.

(Foto: dapd)

Welche Gefahr geht von den verbotenen Kameradschaften aus?

[] Kameradschaft Aachener Land Die KAL gibt es seit 2002 - sie ist aus der NPD hervorgegangen. Die Gruppe gilt als besonders gewaltbereit. Zwei Anhänger waren Berichten zufolge am 1. Mai 2010 mit selbstgebastelten Sprengsätzen nach Berlin gefahren, um sie bei einem Neonazi-Aufmarsch nach Polizisten und Gegendemonstranten zu werfen. Durch eine Polizeikontrolle wurde die Tat vereitelt. Ein ehemaliges Mitglied der Aachener Kameradschaft war an der Ermordung des 19-jährigen Irakers Kamal Kilade in Leipzig beteiligt. Außerdem sollen Neonazis der KAL offen politische Gegner bedroht haben: Einem Bericht der Internetplattform Netz gegen Nazis zufolge schickten sie einem jungen Mann an Weihnachten 2011 ein blutiges Schweineherz. Die beliegende Karte war mit dem Spruch "Ein Herz für Antifas" versehen. Während die Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen eher zurückhaltend auf die Mordserie der Zwickauer Terrorzelle NSU reagierte, verhöhnte die Aachener Kameradschaft die Opfer auf ihrer Internetseite.

[] Kameradschaft Nationaler Widerstand Dortmund Neonazis aus Dortmund organisieren alljährlich Anfang September eine als "Antikriegstag" betitelte rechtsextreme Demonstration. Dortmund gilt als Zentrum der sogenannten Autononem Nationalisten, denen auch der "Nationale Widerstand Dortmund" zugerechnet wird. Rund 50 Mitglieder - etwa zwischen 15 und 25 Jahre alt - bilden den harten Kern. Die Autonomen Nationalisten unterscheiden sich schon rein äußerlich von den typischen Neonazis, sie kleiden sich ähnlich wie linke Autonome in Schwarz, tragen nicht selten Palästinensertücher, um ihre Abneigung gegen Israel zum Ausdruck zu bringen. Bei Demonstrationen verwenden sie linke Symbole, die sie mit rechten Parolen versehen. Sie gelten als extrem gewaltbereit und aggressiv und greifen häufig gezielt Polizisten und Gegendemonstranten an. 2009 attackierten Hunderte Rechtsradikale mit Holzlatten, Feuerwerkskörpern und Flaschen bewaffnet eine DGB-Kundgebung in der Ruhrgebietsstadt.

[] Kameradschaft Hamm Nach einer längeren Auszeit war die Gruppierung zuletzt wieder verstärkt wahrnehmbar. Die Kameradschaft Hamm pflegt enge Verbindungen zur Dortmunder Kameradschaft - auch sie wird dem rechtsautonomen Spektrum zugeordnet. Führender Kopf ist der Neonazi Sascha Krolzig, der schon mehrere Aufmärsche in Nordrhein-Westfalen organisiert und angemeldet hat. 2005 hatte ihn das Amtsgericht Hamm zu einer sechsmonatigen Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt.

Wie ausgeprägt ist die Szene in NRW?

Im vergangenen Jahr sind rechtsextreme Gewalttaten in Nordrhein-Westfalen stärker als im Bundesdurchschnitt um fast 23 Prozent gestiegen - auf 190. Die Mitgliederzahl rechtsextremer Organisationen an Rhein und Ruhr war laut Innenminister Ralf Jäger im vergangenen Jahr um mehrere hundert auf 4070 Neonazis angestiegen. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres registrierte das Landeskriminalamt bereits 1517 Straftaten aus dem rechten Spektrum. Die Zahl der Gewaltdelikte aus der rechten Szene erhöhte sich leicht von 85 auf 88 Delikte.

Wie gehen die Behörden gegen Neonazis vor?

Beim Landeskriminalamt in Düsseldorf koordiniert ein Kompetenzzentrum gegen Rechtsextremismus landesweit den Kampf gegen Rechts. In Aachen, Köln, Wuppertal und Dortmund gibt es spezielle Ermittlungskommissionen.

Bei der Dortmunder Polizei wurde zum Beispiel Anfang des Jahres eine "Task Force" aus 50 Beamten gegründet, die sich speziell mit Neonazis beschäftigen soll. Dabei soll sowohl an stadtbekannten Neonazi-Treffpunkten vermehrt Streife gefahren als auch verdeckt ermittelt werden.

Bei einer Großrazzia in mehreren Städten Nordrhein-Westfalens hat die Polizei außerdem im April Unterkünfte von Neonazis durchsucht. Im Fokus stand die rechtsextreme Gruppe "Freundeskreis Rade", dursucht wurde außerdem ein Fraktionsbüro der rechtspopulistischen Partei Pro NRW.

Im Mai wurde außerdem die nach einem SA-Führer benannte rechtsradikale Kameradschaft "Walter Spangenberg" verboten. Der Kopf der Kameradschaft, Axel Reitz, ist einer der bekanntesten Neonazis in Nordrhein-Westfalen und steht Berichten zufolge in Kontakt zu den jetzt verbotenen Kameradschaften. Auch an der Razzia gegen die rechtsextreme Gruppierung "Aktionsbüro Mittelrhein" war das Land NRW beteiligt. Am Montag begann in Koblenz ein Prozess gegen Mitglieder der Vereinigung.

Mit Material von dapd und dpa

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