Rauswurf durch Merkel:Röttgens heiße, gefährliche Geschichte

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Mit dem Rausschmiss ihres einstigen Lieblingsministers hat Merkel zwar harte Kante gezeigt - aber auch den mächtigen CDU-Landesverband NRW gegen sich aufgebracht. Außerdem lässt Röttgen gerade eine gute Geschichte über die wahren Umstände seiner Demission verbreiten. Und die könnte der Kanzlerin gefährlich werden.

Thorsten Denkler, Berlin

Wären Angela Merkel und Norbert Röttgen Piraten, sie hätten wohl beide ihren Streit live in die Welt getwittert. Jeder hätte dann gewusst, an welcher Stelle genau wem der Kragen geplatzt ist - und wann Merkel beschlossen hat, ihren einstigen Lieblingsminister abzuservieren.

Merkel und Röttgen im Wahlkampf in NRW: Nach der verheerenden Niederlage der CDU hat die Kanzlerin ihren einstigen Musterschüler geschasst. (Foto: dpa)

Merkel und Röttgen aber sind keine Piraten. Darum bleibt bislang weitgehend im Dunkeln, was sich in den drei Tagen zwischen Röttgens verheerender Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen und seinem Rausschmiss am vergangenen Mittwoch zwischen ihm und der Kanzlerin zugetragen hat. Nur eines ist sicher: Es war dramatisch.

Dramatisch genug jedenfalls, dass Röttgens angebliche Drohung, er wolle sich öffentlich erklären, für erhebliche Unruhe in der Union sorgt. Unionsfraktionschef Volker Kauder warnt Röttgen jedenfalls vorsorglich vor einer Schmutzkampagne. In der Union könne ja jeder seine Meinung sagen, erklärte er in der Bild-Zeitung. "Vor allem für uns, die wir Verantwortung tragen, muss aber gelten: Zuerst kommen das Land und die Menschen, dann erst die Partei und ganz zum Schluss komme ich."

Die Botschaft ist unmissverständlich: Sollte Röttgen auf die wahnwitzige Idee kommen, öffentlich mit Merkel abzurechnen, werden alle ihre Gefolgsleute ihn als rücksichtslosen Egomanen darstellen. Sie verkennen nur: Röttgen kann das herzlich egal sein. Er ist nach seinem Reinfall in NRW so gut wie alle Ämter los. Und er hat womöglich eine heiße Geschichte zu erzählen, die der Kanzlerin mehr schaden kann, als ihr lieb sein dürfte.

Röttgens Leute verbreiten, Merkel habe ihm weit vor der Wahl versichert, dass sie auf seine Dienste als Umweltminister nicht verzichte wolle. Er solle zwar den Menschen in NRW sagen, er wolle auf jeden Fall in Düsseldorf bleiben, um damit seine Wahlchancen zu verbessern. Ginge aber die Wahl verloren, werde sie ihn derart unmissverständlich zurück nach Berlin zitieren, dass er gar nicht anders könne, als ihrem Ruf zu folgen. Er, Röttgen, habe das Angebot aber abgelehnt, habe lieber bei der Wahrheit bleiben wollen: Entschieden werde nach der Wahl.

Es ist ein ziemlich unschönes Bild, das Röttgen da von Merkel zeichnen lässt. Es zeigt eine versessene Machtpolitikerin, die das Wahlvolk in einer wichtigen Frage bewusst in die Irre führen würde. Stimmt die Geschichte, dann war Merkel bereit, sich die Hände schmutzig zu machen, um die drohende Niederlage in NRW etwas abzufedern.

Das will so gar nicht zu dem Bild der präsidialen Kanzlerin passen, das Merkel so gerne von sich selbst zeichnen lässt. Wenn alle anderen sich streiten, behält sie den Überblick und trifft im richtigen Moment die richtige Entscheidung. So sollen die Menschen sie sehen. Doch sollte sich Röttgen mit seiner Version der Geschichte in der öffentlichen Meinung durchsetzen, könnte sein Rausschmiss noch fatale Folgen für die Kanzlerin haben.

Von Merkel hängt gerade alles ab. Von Verteidigungsminister Thomas de Maizière abgesehen, gilt sie derzeit als der einzige Aktivposten der Bundesregierung. Merkel ist die letzte tragende Säule von Schwarz-Gelb. Ist sie angeschlagen, gerät die gesamte Konstruktion in Gefahr. Auf dem Parteitag im Herbst steht ihre Wiederwahl als Bundesvorsitzende der CDU an. Da kann sie sich ein Jahr vor der Bundestagswahl keine Schlappe erlauben.

Bleibt aber Röttgen - wie von seinen Leuten kolportiert - bis dahin stellvertretender Vorsitzender der CDU, wird die Diskussion um seine Demission weiter köcheln. Röttgen könnte versuchen, den mächtigen Landesverband NRW noch stärker, als es ohnehin schon der Fall ist, gegen Merkel aufzubringen. Sein Rausschmiss geht ja nicht nur gegen ihn, sondern betrifft auch die NRW-CDU, die jetzt auf einen wichtigen Ministerposten verzichten muss. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla ist der letzte Nordrhein-Westfale in der ersten Reihe am Kabinettstisch.

Hinzukommt, dass Merkel den Eindruck erweckt hat, ein polternder CSU-Chef im ZDF reicht und schon wird ein CDU-Minister in Not entlassen. Da Merkel bisher auch nicht erklärt hat, wie es gelaufen ist, dürfte sich bei einigen Christdemokraten das Gefühl festsetzen, die Kanzlerin gehe lieber vor Horst Seehofer in die Knie, als sich schützend vor ihr eigenen Leute zu stellen.

Wenn jetzt noch, wie offenbar geplant, ein Niedersachse der neue parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion wird, hat Merkel die Demütigung für die NRW-CDU perfekt gemacht.

Schon haben in NRW Fraktionschef Karl-Josef Laumann und der frühere Bundesarbeitsminister und Ex-CDU-Landeschef Norbert Blüm klargemacht, dass sie von Merkels neuer Art, Personalentscheidungen zu fällen, nichts halten. Beide haben in der eher liberalen NRW-CDU großes Gewicht.

Merkels Wiederwahl als Parteichefin ist zwar dennoch sicher. Aber ein schlechtes Ergebnis könnte ihr einen empfindlichen Stoß versetzen auf ihrem Weg, zum dritten Mal in Folge Kanzlerin zu werden. Zumal die Debatten weitergehen werden, ob Merkel die ist, für die die Menschen sie halten.

Beispielloser Absturz

Röttgen hat daran schon jetzt einen großen Anteil. Er war nicht bereit, den Preis für die Niederlage zu zahlen. Er sieht nicht ein, als Alleinschuldiger dazustehen, als Depp, der zwar große Reden schwingen, aber nicht mit den Menschen kann.

Die Debatten um seine Person vor der Wahl, die Niederlage selbst, dann der Rauschmiss - das alles dürfte ihn zutiefst verletzt haben. Vor kurzem noch galt er als Siegertyp. Nach Fukushima stieg er zeitweise zum grünen Helden der Union auf - nur argwöhnisch beobachtet vom immer kleiner werdenden atomaren Betonflügel in den eigenen Reihen. Jetzt erlebt Röttgen einen beispiellosen Absturz.

Dabei sollte das Umweltministerium für Röttgen nur ein Zwischenschritt zu einem viel höheren Amt werden. Röttgen wollte Kanzler werden. Daraus dürfte nun nichts mehr werden. Gerade das macht ihn aber so gefährlich für Merkel. Röttgen hat nichts mehr zu verlieren. Merkel dagegen alles.

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