Rassismus in den USA:Schwarz bleibt das Feindbild

Obamas Wahl zum ersten schwarzen Präsidenten der USA wurde als kolossaler Sieg über den Rassismus gefeiert. Doch seitdem streiten die Amerikaner sogar noch heftiger über die Rassenfrage. Dabei kennen sie kaum noch Tabus.

Ilija Trojanow

Wer ein Visum für die Vereinigten Staaten beantragt, muss seine Rasse angeben. Wer in den USA ein Darlehen beantragt, muss seine Rasse offenbaren: "White, Black, Hispanic, Asian, Other" (eine wilde Mischung von geografischen, linguistischen und Pigmentkategorien).

U.S. Democratic President elect Barack Obama during his election night rally in Chicago

Barack Obama in der Nacht, als er zum Präsidenten der USA gewählt wurde. Viele Amerikaner glaubten, dass der Rassismus nun der Vergangenheit angehören würde - die Realität sieht anders aus.

(Foto: REUTERS)

So auch Henry M. aus Atlanta, Sohn einer Koreanerin und eines Afroamerikaners, Software-Ingenieur für die Stadtverwaltung. Es gebe ein Problem bei seinem Darlehensantrag, teilte ihm der Sachbearbeiter mit, nachdem er die eingereichten Papiere überprüft hatte, er habe seine Rasse falsch angegeben, er habe "asiatisch" statt "schwarz" angekreuzt. Kein Problem, er werde es ausbessern. Da sei ihm, so Henry M., eingefallen, wer in den Südstaaten "gemischtrassig" ist, gilt als "negro", als Schwarzer.

Als Elly A. vor Jahren in die USA einreiste, wurde sie kurze Zeit darauf im Café von einer am Nebentisch sitzenden Gruppe schwarzer Frauen gefragt, wo sie denn herkomme. "Meine Mutter stammt aus Ghana, mein Vater aus England, doch aufgewachsen bin ich -", da fiel ihr schon eine der Frauen ins Wort: "You are either black or you're not, honey."

Wer glaubt, all dies gehöre der Vergangenheit an, sieht sich in den Vereinigten Staaten von 2012 eines Besseren belehrt. Die Einstellung der Frau am Nebentisch herrscht auch heute noch.

Sie erklärt, wieso Tiger Woods, berühmtester Golfer der Welt, der zur Hälfte Thailänder ist und auch indianische Wurzeln hat, stets nur als schwarzer Sportler bezeichnet wird. Weswegen Barack Obama, der von seiner weißen Mutter sowie seiner weißen Großmutter großgezogen wurde, nie als weißer Junge wahrgenommen worden ist. Und weil dem so ist, haben seit je Menschen, die ein Viertel, ein Achtel oder ein Sechzehntel Afroamerikanisch sind, diesen Anteil verheimlicht.

Diskriminierungen und Vorurteile prägen den Alltag

Die Zuschreibung von Rasse mit den einhergehenden Vorurteilen durchdringt den Alltag. Kein Tag vergeht, ohne dass man nicht von - teilweise brutalen - Diskriminierungen hört. In St. Louis, nahe der geografischen Mitte der Nation, trifft man auf Einheimische, die nie auf der anderen Seite der Stadt, in East St. Louis jenseits des Mississippi, waren. Dort lebten die Schwarzen, dort sehe es aus wie in Afrika, dort sei es gefährlich.

Man bleibt unter sich, in seinem Viertel. Wer bestimmte Grenzen überschreitet, begibt sich in Gefahr. Wie der schwarze Computertechniker, der zum Haus eines Kunden, eines Professors, gerufen wird. Es ist spät am Tag, sein letzter Einsatz, deshalb hat der Techniker seine Freundin mitgebracht, um mit ihr anschließend ins Kino zu gehen.

Die Freundin bleibt im Auto, der Techniker setzt sich an den Rechner, keine fünf Minuten später klingelt es an der Tür - die Polizei. Personenkontrolle. Als sich herausstellt, dass der Techniker einen Strafzettel noch nicht beglichen hat, wird er in Handschellen abgeführt. Draußen vor seiner Tür schaut sich der Professor um und fragt sich, welcher seiner Nachbarn die Polizei ruft, wenn er in seinem Viertel eine Schwarze im Auto sitzen sieht.

Rassisten werden immer irrationaler

Alle paar Jahre kommt ein Fall auf, der die Rassenfrage explosiv auf die Tagesordnung wirft, wochenlang die Medien beschäftigt. Wie zuletzt das Schicksal des 17-jährigen Trayvon Martin, der in einer gated community in Florida nach Hause schlenderte, als er von einem selbst ernannten Sheriff namens George Zimmerman erschossen wurde.

Residents take part in a rally demanding justice for the killing of black teenager Trayvon Martin in Miami

Der Fall des erschossenen farbigen Teenagers Trayvon Martin ging um die Welt. Tausende Amerikaner protestierten und forderten eine Verurteilung des Täters.

(Foto: REUTERS)

Und da ein schwarzer Jugendlicher umgelegt worden war, wurde der Täter von der Polizei kurz verhört und dann freigelassen. Hätte sich nicht eine gewaltige nationale Protestbewegung gebildet, Mr. Zimmermann würde weiterhin durch die Nachbarschaft patrouillieren, anstatt sich vor Gericht zu verantworten.

Wie kann das sein, ist doch der Präsident des Landes ein "Schwarzer"? Haben wir nicht vor knapp vier Jahren seine Wahl als kolossalen Sieg über den Rassismus gefeiert? Gerade weil das Land sich für einen schwarzen Präsidenten entschieden hat, haben sich viele bequem in der Haltung eingerichtet, Rassismus gehöre der Vergangenheit an.

Jene, die die moralische Weiterentwicklung der Gesellschaft als Knute der politischen Korrektheit begreifen, können die Tabugrenzen wieder verschieben. Wie anders soll man erklären, dass Barack Obama als zaghafter Zentrist von einem beachtlichen Teil der Öffentlichkeit so respektlos wie kein Präsident vor ihm behandelt wird; wie anders soll man den unbändigen Hass begreifen, der ihm in Radiosendungen, TV-Shows und Blogs entgegenschlägt?

Respektlose Behandlung des Präsidenten

Als sich vor einigen Monaten die Republikaner des Staates Montana im Städtchen Missoula versammelten, wurde vor dem Konferenzgebäude ein Plumpsklo aufgestellt, daran hing ein Schild mit der Aufschrift "Obama Presidential Library", so bemalt, als wäre es von Kugeln durchsiebt worden. Drinnen befand sich eine gefälschte Geburtsurkunde eines gewissen "Barack Hussein Obama", versehen mit einem Stempel: "bullshit" (Jeder sechste Wähler ist weiterhin überzeugt, Obama sei insgeheim ein im Ausland geborener Moslem.)

Auf den Highways sieht man gelegentlich Autoaufkleber mit dem Konterfei eines Schimpansen, darunter in Großbuchstaben "Obama 2012". Eine neue Vulgarität macht sich breit, angestachelt von den zunehmend irrationaler werdenden Konservativen.

Vor allem der Mittlere Westen und die Südstaaten sind fest im Würgegriff von Hetzpredigern, die mit Schaum vor dem Mund den Dämon an die Wand malen und den Untergang der Nation beschwören. "Schwarz" verschwimmt mit "Kommunist" und "Sozialist", verschwimmt mit "Teufel". Auch dies ein altes Muster der Angst und der Verachtung.

Selbst der Wahlerfolg von Obama wird ins Gegenteil verkehrt. Tea-Party-Republikaner wie der Kongressabgeordnete Joe Walsh behaupten inzwischen, Obama sei nur gewählt worden, weil er schwarz sei. Auch dies ein althergebrachtes Konstrukt. Wer an die naturgegebene Unterlegenheit der Schwarzen glaubt, kann den Erfolg eines Schwarzen nur als Ausdruck von unsinniger affirmative action, von umgedrehter Diskriminierung wahrnehmen.

Ende der Allmacht des weißen Mannes

Der Zorn, der Hass, die Hetze haben einen weiteren Grund. Neulich prangte auf der Titelseite von USA Today: "Minorities are now a majority of births". Mehr als die Hälfte der 2011 geborenen Kinder stammt von Minderheiten ab, also von jenen, die nicht das Kästchen "white" ankreuzen können. Die "Weißen" brachten 10,1 Prozent weniger Kinder zur Welt als im Vorjahr, zudem ist der durchschnittliche Weiße 42,3 Jahre alt, der durchschnittliche Schwarze hingegen 31.

Nach 400 Jahren politischer Dominanz ist das Ende der Allmacht des weißen Mannes auch in den USA in Sicht, und die Tiraden der darüber Erbosten sind zwar laut, aber den Gang der Geschichte werden sie nicht aufhalten können.

Der Schriftsteller Ilija Trojanow, 46, wurde unter anderem durch seinen Roman "Der Weltensammler" bekannt. Gerade ist er von einer viermonatigen Reise durch die USA zurückgekehrt.

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