RAF-Gefängnis:Stammheim, 30 Jahre danach

Den "Umschluss" der Häftlinge gibt es immer noch, die Pizzaöfen hingegen sind aus den Zellen verschwunden. Ein Blick hinter die Mauern des Gefängnisses, in dem die RAF-Terroristen saßen.

Bernd Dörries

Es gibt Orte in Deutschland, deren Name nur für eine Sache steht, für einen Zufall der Geschichte, für ein Unglück. Eschede und die ICE-Katastrophe, Hoyerswerda und ein brennendes Asylbewerberheim. Es sind kleine Orte, die ihr Brandmal nicht mehr ablegen können, weil es dort sonst nichts gibt, was für sie stehen könnte und die Zeitläufte ihnen keine zweite Chance geben, die Geschichte nicht wieder vorbeikommt. Und wenn, dann nur zu einem Jahrestag.

RAF-Gefängnis: Die Zelle 719: In ihr saß einst Andreas Baader ein

Die Zelle 719: In ihr saß einst Andreas Baader ein

(Foto: Foto: AP)

Stammheim ist ein kleiner Vorort von Stuttgart, ganz im Norden, wo die Stadt in Schrebergärten ausfranst. Anfangs war man hier gar nicht so unglücklich über das große neue Gefängnis, das 1964 in Betrieb genommen wurde. Es soll das sicherste seiner Zeit gewesen sein. Betongrau und acht Stockwerke hoch, könnte es auch eine architektonisch verunglückte Universität sein.

Außerhalb Stuttgarts fand es zuerst wenig Beachtung, sein Stigma bekam der Ort 1974 aufgedrückt, als die ersten RAF-Häftlinge in die Justizvollzugsanstalt einzogen, im Gebäude nebenan wurde ihnen der Prozess gemacht. Und dann die Selbstmorde von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, der Mythos ihrer Ermordung.

Für manche steht Stammheim bis heute für unmenschliche Isolationshaft, wie sie die gefangenen Terroristen und ihre Sympathisanten beklagten. Für andere verbindet sich damit ein Strafvollzug mit erstaunlichen Freiheiten, die ein Staat gewährte, weil er beweisen wollte, dass er kein Unrechtsstaat ist.

Ein Blick hinter die Gefängnismauern ist kaum möglich - es sei denn, die JVA Stammheim veranstaltet eine Art Tag der offenen Tür. Fotografen und Kameraleute sollen die Möglichkeit bekommen, den Deutschen Herbst, der sich bald zum 30. Mal jährt, mit neuen Motiven zu bebildern.

Man muss durch zwei Tore und viele Türen, überall das Scheppern der Schlüssel. Mit einem Aufzug geht es hoch in den siebten Stock, ein langer Gang mit braunem Boden, an den Enden Glasbausteine ohne Sicht. Es riecht seltsam, eine Mischung aus Hallenbad und Tropenhaus.

Links und rechts die Türen der Zellen, elf Stück gab es damals in diesem Flügel, nur vier waren durch die Führung der ersten RAF-Generation besetzt. Anfangs waren die Terroristen teils in Einzelzellen untergebracht, hatten sich aber nach und nach immer mehr Privilegien erstritten, durch Hungerstreik und über die Gerichte. Der Staat gab nach, wollte sich gegen den Vorwurf der Isolationshaft wehren.

Mülltrennung und Fernseher

Andreas Baader bewohnte die längste Zeit eine Eckzelle von 21,3 Quadratmetern, die sich heute vier Häftlinge teilen. Sie wurde mittlerweile renoviert, Stockbetten sind hinzugekommen und drei Eimer für die Mülltrennung, in einem liegt ein ganzer Stapel Pausenbrote.

Der Blick nach draußen ist derselbe geblieben, Industriegebiete und ein paar Hügel. Von ihren Betten schauen die Inhaftierten auf einen Fernseher. Die RAF-Mitglieder damals waren die einzigen deutschen Gefangenen, denen ein solches Privileg zugestanden wurde.

Es sind Gebote des Justizvollzugs, dass Untersuchungshäftlinge, die in der selben Sache angeklagt sind, keinen Kontakt untereinander haben dürfen, Männer und Frauen getrennt untergebracht werden. Für die RAF galt beides nicht. Auf einen von ihnen erwirkten Gerichtsbeschluss hin wurde die Trennwand im Gang herausgenommen, sie konnten sich so auf dem Flur bewegen.

"Umschluss" nannte man dieses Verfahren, abgeleitet vom "Aufschluss", dem Verlassen der Zellen für den Hofgang. Der Umschluss war in Stammheim bis dahin nicht bekannt gewesen. Baader musste es den Vollzugsbeamten erst erklären. "Das ist das einzige, was wir aus dieser Zeit übernommen haben", sagt ein Vollzugsbeamter. Zwei Stunden dürfen sich die Gefangenen heute auf dem Flur bewegen. Eine beklemmende Atmosphäre - damals wie heute.

Damals war Jan-Carl Raspe immer der erste, der um acht Uhr die Zelle verließ und aus den zahlreichen ausliegenden Zeitungen im Gang einen Pressespiegel zusammenstellte, für den sich besonders Andreas Baader interessierte. Mit Schere, Papier und Klebstoff, so beschreibt es Kurt Oesterle in seinem Buch "Stammheim - Die Geschichte des Vollzugsbeamten Horst Bubeck." Es brauchte bis ins Jahr 2003, um ein anderes Bild von Stammheim zu zeichnen.

Die Privilegien wurden erst mit der Schleyer-Entführung gestrichen, eine Kontaktsperre eingeführt, die der Bastler Raspe aber umging, indem er aus dem ehemaligen Anstaltsfunk eine Wechselsprechanlage baute. Raspe hatte bereits zuvor Tauchsieder, Kochplatten und kleine Pizzaöfen gebastelt. Ein Händler lieferte Lebensmittel, die von Sympathisanten bezahlt wurden. Abends habe oft ein Essensgeruch in der Luft gelegen, berichtet Bubeck. Manchmal auch das Geigenspiel von Ensslin. Heute klappern die Schlüssel, und es riecht etwas modrig.

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