RAF:Die Täter müssen sich dem Schmerz stellen

60 Jahre Deutschland - Schleyer-Entführung

Am 5. September 1977 entführten RAF-Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) den damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer: Blick auf den Tatort in Köln (Archivfoto).

(Foto: dpa)

Brutal, überheblich, fanatisch: Die RAF-Terroristen töteten wie die, gegen die sie sich auflehnten. Dann verharrten sie wie ihre Naziväter jahrzehntelang in selbstgerechtem Schweigen.

Kommentar von Joachim Käppner

Von Jitzchak Rabin stammt ein schlichter, indessen sehr kluger Satz: Frieden schließt man nicht mit seinen Freunden, sondern mit seinen Feinden. Dieser Satz galt allen in Israel, die in den frühen Neunzigerjahren Sturm liefen gegen den Versuch des Ministerpräsidenten Rabin, einen historischen Ausgleich mit Jassir Arafats Palästinensertruppe PLO zu finden. Das seien doch Terroristen, wurde Rabin entgegengehalten, mit Blut an den Händen.

Am Ende reichten sich Rabin und Arafat die Hand, der frühere General und der ehemalige Topterrorist; dass der Friedensprozess dann bald stecken blieb, dafür konnten beide wenig, Rabin bezahlte seine Versöhnungsbereitschaft 1995 mit dem Leben.

Als eines der ersten RAF-Mitglieder hat sich Silke Maier-Witt nun zu einer Geste der Versöhnung durchgerungen und Jörg Schleyer, Sohn des 1977 von den Linksterroristen ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, um Verzeihung gebeten. Die Familie Schleyer appelliert seit Jahren an Täter und Mitwisser, ihr Schweigen zu brechen. Die Angehörigen der Ermordeten zu ignorieren, ihren Wunsch nach Aufklärung zu missachten, das ist beinahe so, als wolle man sie ein zweites Mal zum Opfer machen.

Von Lebenslügen und Selbstrechtfertigung ablassen

Bei all dem geht es um weit mehr als um eine ferne, böse Zeit, und das nicht einmal, weil einige Mitglieder der allerletzten RAF-Generation immer noch gesucht werden. Hier geht es auch um die Identität der deutschen Demokratie. Die früheren RAF-Leute verharren meist in jenem selbstgerechten Schweigen, das man auch von der Generation ihrer Väter kannte, als deren Kinder sie sich in jeder Hinsicht erwiesen, obwohl sie doch so ganz anders sein wollten.

Sie waren brutal, überheblich, fanatisch, bereit, jene zu töten, die man als unwürdig zu leben ernannt hatte. Der Unterschied: Die Naziväter hatten dem Bösen gedient, die Terroristen der Siebziger mordeten im Namen des vermeintlich Guten, der Befreiung der Welt vom Imperialismus. Als RAF-Terroristen 1976 in Entebbe jüdische Geiseln einer Flugzeugentführung zurückbehielten, um Israel zu erpressen, zeigte sich dieses Paradox in aller Gnadenlosigkeit.

Versöhnung ist ein mühseliger Prozess. Anders als das reine Verzeihen setzt er Bereitschaft dazu bei den Beteiligten voraus - und die Bereitschaft wiederum Einsicht aller, die Täter wurden und waren, von ihren Lebenslügen und Selbstrechtfertigungen abzulassen. Sie müssen sich dem Schmerz stellen, dem der Opfer und ihrer Angehörigen, auch dem eigenen, denn ohne Schmerz gibt es keine Einsicht darin, das ganz und gar Falsche getan zu haben.

Für andere RAF-Täter bietet das Gespräch, das Maier-Witt und Schleyer nun führten, eine späte Gelegenheit dazu, das Falsche zu erkennen. Nicht allein für sie: 40 Jahre nach den Schrecken des Deutschen Herbstes sollte sich auch die Republik daran erinnern, dass sie seinerzeit, vom Terror aufs Äußerste herausgefordert, nicht sehr weit davon entfernt war, im Gegenschlag jene Werte aufzugeben, für die der Rechtsstaat stand und steht.

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