Räumung der Gerhart-Hauptmann-Schule:Sollen sie doch kommen

Pressekonferenz der Flüchtlinge der Gerhart Hauptmann Schule Der Bezirk Friedrichshain Kreuzberg ha

Pressekonferenz der Flüchtlinge der Gerhart-Hauptmann-Schule. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat die 45 im Gebäude gebliebenen Flüchtlinge aufgefordert, das Gebäude zu verlassen.

(Foto: Imago Stock&People)

Die besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin wird wohl bald geräumt. Wir können nicht anders, sagt die Bezirksbürgermeisterin. Sie hat ihr Versprechen gebrochen, sagen die Flüchtlinge. Über eine Situation, in der es nur Verlierer gibt.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Die Mahnwache steht. Im Nieselregen guckt eine Gruppe junger Leute in typischer Kreuzberger Alternativ-Montur durch die Gitterstäbe der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule. Hinter dem Tor stehen zwei Securitys. Und drin sitzen etwa 45 Flüchtlinge und warten auf die Polizei. Seit Freitag warten sie, da lief eine Frist des Bezirks aus. Doch die Polizei kam nicht, kommt auch an diesem Abend nicht. Es ist ruhig.

Noch, sagen die Flüchtlinge, sagen ihre Unterstützer auf der Ohlauer Straße, sagen die vielen Aktivisten im Netz, die das Drama um die Gerhart-Hauptmann-Schule jeden Tag verfolgen. Aber die Polizisten sind schon unterwegs, sie kommen sogar aus anderen Bundesländern, einer hat das auf Twitter geschrieben. Und Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann von den Grünen hat auch schon ein Amtshilfeersuchen bei der Polizei gestellt, das hat der RBB berichtet. Ach Quatsch, hat sie nicht, vor dem 9. November wollen die ohnehin nicht räumen. Da sind doch die ganzen Feiern zum Mauerfall, da können die keine schlechte Presse gebrauchen.

"Sollen sie mich umbringen. Ich gehe nicht."

Gerüchte wie diese schwirren seit Tagen herum, werden im Netz verbreitet, wieder zurückgenommen, erreichen die Flüchtlinge in der Schule, die nicht mehr schlafen können, weil sie jeden Moment die Polizei erwarten. Das erzählt Alnour, ein Mann aus dem Sudan. "Monika Herrmann will uns raushaben", sagt er. Er sitzt gemeinsam mit anderen Bewohnern der Schule im Keller eines alternativen Ladens, den Unterstützer der Flüchtlinge zu einem Infopoint umfunktioniert haben. In dem Laden stapeln sich Lebensmittel, ein Mädchen schleppt einen Rucksack voller Hygieneartikel rein. "Ich gehe nicht", sagt Alnour. "Sollen sie doch kommen, sollen sie mich doch verhaften, sollen sie mich umbringen. Ich gehe nicht."

In der Tat will der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, dass die Flüchtlinge die marode Schule verlassen, dem Bezirk ist das Geld ausgegangen. Wann? Herrmann verwendet dafür ein deutsches Bürokratenwort: zeitnah. Ob das Amtshilfeersuchen schon gestellt ist? Kein Kommentar. Das kann alles und nichts bedeuten.

Seit zwei Jahren lebt Alnour in der Gerhard-Hauptmann-Schule. Er hat sich 2012 gemeinsam mit anderen Flüchtlingen in einem Protestmarsch auf den Weg nach Berlin gemacht, um gegen die Asylgesetze zu demonstrieren. Als es Winter wird, ziehen sie in die leerstehende Schule, die der Bezirk als Notunterkunft zur Verfügung stellt. Den Flüchtlingen folgen andere, viele von ihnen ohne Papiere, auch Obdachlose und Roma-Familien sind darunter. Etwa 250 Menschen leben dort schließlich, die Situation gerät außer Kontrolle, die hygienischen Zustände sind schlimm. Im Frühjahr 2013 ersticht schließlich ein Mann einen anderen Bewohner im Streit.

Nachbarn unterstützen die Flüchtlinge

Der Bezirk will die Flüchtlinge zum Umzug bewegen. Doch mehrere Dutzend Bewohner weigern sich, klettern auf das Dach der Schule, drohen mit Suizid. Die Polizei sperrt das Viertel ab, Nachbarn und andere Unterstützer demonstrieren auf den Straßen. Dann schließlich ein Kompromiss: Die etwa 45 Flüchtlinge dürfen in der Schule bleiben, solange keine weiteren Menschen einziehen.

Eine offizielle Abmachung, sagen die Flüchtlinge. Unter Finanzierungsvorbehalt, sagt der Bezirk. Er bezahlt Strom, Heizung und Renovierungsarbeiten an dem maroden Gebäude, außerdem den privaten Sicherheitsdienst, der in der angespannten Situation für Ruhe sorgen soll. Nun hat der Bezirk aber kein Geld mehr, was nicht nur mit der Schule zu tun hat. Trotzdem sind die zwei Millionen Euro, die sie jährlich laut dem Bezirksamt kostet, ein großer Posten. Außerdem hätten sich die Flüchtlinge in Gesprächen über die Zukunft der Schule wenig kooperativ gezeigt.

Der Bezirk will die Schule mit der Diakonie als Träger in ein Flüchtlingszentrum umbauen. Allerdings gehe das nicht, solange die Menschen dort lebten. "Die wollen wieder ein Lager daraus machen", sagt Alnour. "Dabei sind wir doch überhaupt erst hierher gekommen, um gegen die Flüchtlingslager zu protestieren."

Die Flüchtlinge wollen in der Schule ein selbstverwaltetes Kulturzentrum einrichten. Sie haben ihre Ideen in einem Statement auf grünem Papier festgehalten: Theater soll es dort geben, ein Frauenzentrum, Musik. Zahlreiche Anwohner und Berliner Kulturschaffende unterstützen die Idee. Aber von welchem Geld soll das alles bezahlt werden? Darauf haben Alnour und die Unterstützer keine rechte Antwort.

Einigung unmöglich - jetzt bleibt der Kampf

"Wenn wir hier raus müssen, dann stehen wir auf der Straße", sagt Alnour. Herrmann hat den Männern Hostelgutscheine für vier Wochen angeboten. Sie haben abgelehnt. Denn was sind schon vier Wochen, sagt Alnour. Die Flüchtlinge fordern Papiere, die es ihnen ermöglichen, in Berlin zu bleiben und zu arbeiten. Doch die Asylverfahren der meisten laufen in anderen Bundesländern, einige in Italien. Sie haben in Berlin keinen Anspruch auf Unterstützung. Und der Bezirk ist für diese Fragen ohnehin nicht zuständig.

Den Bewohnern der Schule ist es jedoch egal, wer im Dickicht der europäischen Bürokratie wofür zuständig ist. Sie sind vor allem sauer auf Monika Herrmann. "Sie hat ihr Versprechen gebrochen", sagt Alnour. Monika Herrmann sagt hingegen der taz: "Wir haben inzwischen alles getan, was man tun kann, haben alle Angebote gemacht, die wir machen können. Wenn Leute da drin sind, die einfach maximal kämpfen wollen, dann - ist das ihre Entscheidung."

Maximal kämpfen. Es ist genau das, was Alnour und die anderen vorhaben. "Don't stop us!", steht auf dem grünen Zettel mit ihren Forderungen. Und: "We will not ask for permission." Im Moment bleibt ihnen aber nur das Warten auf irgendeine Entscheidung jener Staatsvertreter, die sie als "Lügner" und "Betrüger" verachten.

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