Rätsel der Woche:Warum wurden "Gefährder" nicht abgeschoben?

Seit Jahren steht in deutschen Gesetzbüchern ein Paragraf, um Islamisten schnell abzuschieben. Ohne Folgen.

Von Ronen Steinke

Seit 2004 steht im Ausländerrecht eine besondere Anti-Terror-Vorschrift, mit der sogenannte Gefährder schnell abgeschoben werden können. Aber so gut wie kein Sicherheitspolitiker hat davon Gebrauch gemacht. Der Paragraf 58a des Aufenthaltsgesetzes dürfte erst dreimal genutzt worden sein, so zählt der Rechtsprofessor Winfried Kluth, der einen juristischen Kommentar dazu verfasst hat. Bei Abschiebungen, die vor Gericht kamen, verließen sich Innenminister sogar kein einziges Mal darauf, sie nutzten lieber andere Paragrafen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat noch am 18. Januar im Bundestag gesagt, ihm seien leider die Hände gebunden wegen der "sehr hohen Hürden" dieses Paragrafen. Ausprobiert hat er ihn nie.

Das war falsch, wie in dieser Woche das Bundesverwaltungsgericht in zwei Beschlüssen ausgeführt hat. Die Annahme von Innenministern, ihnen seien die Hände gebunden: ein Missverständnis, das 13 Jahre lang Bestand hatte. Ein Grund für die Zurückhaltung der Sicherheitsbehörden könnte in der Gesetzgebungsgeschichte dieser besonderen Abschiebe-Vorschrift liegen. Der Anti-Terror-Paragraf 58a war bei seiner Schaffung in der damaligen rot-grünen Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) heftig umstritten, es gab Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit. Die Grünen hatten Bedenken gegen schnelle Abschiebungen aufgrund kaum überprüfter Verdachtsmomente. Deshalb schrieben sie in das Gesetz hinein: Es müsse eine "auf Tatsachen gestützte Prognose" geben. Und es müsse eine "besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik" im Raum stehen.

Ja, und? Der Verweis auf solche "Tatsachen" bedeute bloß, dass Spekulationen nicht ausreichten, erklärte nun das Bundesverwaltungsgericht. Das sei genauso "wie bei jeder Prognose", also keine besondere Hürde.

© SZ vom 25.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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