Rätsel der Woche:Warum ist Giftgas geächtet, Bomben sind es aber nicht?

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Im Völkerrecht ist die Erinnerung an 1915 noch wach - an ein grausames Experiment, das fürchterlich eskalierte.

Von Ronen Steinke

Im Sommer 2013 konnte man den Effekt schon spüren. Die Bilder von toten Kindern in Syrien, die Wut in der Stimme des US-Präsidenten. Von einer "roten Linie" sprach damals Barack Obama - und an der reinen Zahl der Toten lag das nicht. 2017 nun zeigt sich der Effekt noch deutlicher. 400 000 getötete Syrer - die USA halten sich heraus aus dem Bürgerkrieg in Syrien. 60 mit Giftgas Getötete - die USA greifen ein.

Der Einsatz von Giftgas als Kriegswaffe ist weltweit als Verbrechen geächtet, als "Barbarei", wie Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sagte. Weil die Erinnerung an 1915 im Völkerrecht noch immer wach ist. Das grausame Experiment begann am 22. April 1915. Deutsche Soldaten, eingegraben beim belgischen Ypern, öffneten fast 6000 Stahlflaschen mit flüssigem Chlor. Der Wind trug das Gas hinüber zu den britischen Gegnern, auf einer Frontbreite von etwa sechs Kilometern. Das lungenschädigende Gas traf die Soldaten unvorbereitet. Es tötete 3000 von ihnen. Bald setzten alle Kriegsparteien Gas ein: Es waberte über die Schlachtfelder, schädigte mehr als eine Million Menschen und tötete weitere 70 000.

Eine Eigenschaft von Giftgas, die zu seiner völkerrechtlichen Ächtung bereits 1925 führte, neu bekräftigt in der Chemiewaffenkonvention von 1997, ist seine Grausamkeit. Am 10. Juli 1917 verschossen deutsche Truppen als Erste "Blaukreuz"-Gas, das den Atemfilter von Gasmasken durchdringen konnte und durch unerträgliche Reizwirkung das Abnehmen der Schutzmaske erzwang. Genannt: Maskenbrecher. Die zweite Eigenschaft ist, dass Gas keine Unterschiede kennt. Weil es sich unkontrollierbar ausbreitet, tötet es Soldaten ebenso wie Frauen und Kinder. Das können Menschenschinder zwar auch mit herkömmlichen Kriegswaffen tun. Aber Gas kann man gar nicht zielgenau, nur gegen Soldaten, einsetzen.

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