Radikalislamisten verüben Anschläge in Nigeria:Massaker beim Weihnachtsgottesdienst

Blutige Anschlagsserie: Radikale Islamisten der Sekte Boko Haram zünden an fünf Orten in Nigeria Bomben und töten Dutzende Menschen. Allein in einer Kirche in Madalla nahe der Hauptstadt Abuja kommen mindestens 35 Menschen ums Leben. Mindestens 40 Menschen werden insgesamt getötet.

Blutige Anschlagsserie am Weihnachtsfeiertag: In Nigeria sind am Sonntag bei einer ganzen Reihe von Anschlägen auf katholische Kirchen Dutzende Menschen getötet worden.

Allein beim folgenschwersten Bombenattentat bei der Kirche St. Theresa in der Stadt Madalla seien mindestens 35 Menschen ums Leben gekommen, teilte der Katastrophenschutz mit.

Der Sprengsatz wurde während des Weihnachtsgottesdienstes in dem Vorort der Hauptstadt Abuja gezündet. Zu der Anschlagsserie bekannte sich die radikalislamistische Sekte Boko Haram. Bereits im vergangenen Jahr gab es mehr als 80 Tote bei Angriffen auf christliche Weihnachtsfeiern in dem westafrikanischen Land.

In einer bei der Presse eingegangenen Stellungnahme erklärte Abu Qaqa, der als Sprecher der Islamisten fungiert, die Gruppe habe die Anschläge verübt. "Wir sind für alle Anschläge der vergangenen Tage verantwortlich, einschließlich der heutigen Bombe gegen die Kirche in Madalla", sagte Abu Qaqa. "Wir werden diese Attacken im Norden in den nächsten Tagen fortsetzen."

Verzweifelte Opfer

Die Kirche St. Theresa war voll besetzt. "Ich war mit meiner Familie in der Kirche", berichtete ein Mann. Als er die Explosion gehört habe, sei er nach draußen gerannt. "Jetzt weiß ich nicht, wo meine Kinder und meine Frau sind."

Einige Augenzeugen berichteten, die Explosion habe sich in der Kirche ereignet, andere vermuteten den Sprengsatz dagegen außerhalb des Gebäudes. Durch die Wucht der Detonation seien in der Umgebung Gebäude beschädigt worden und Fensterscheiben zu Bruch gegangen. Die Rettungskräfte befürchten weitere Tote.

Man habe nicht genug medizinische Ausrüstung, um alle Opfer in Madalla zu versorgen. Es fehle vor allem an Rettungswagen. Madalla war bisher nicht für religiös motivierte Gewalt bekannt.

Eine weitere Explosion ereignete sich nahe einer Kirche in der zentralnigerianischen Stadt Jos. Nach Angaben eines örtlichen Behördensprechers wurde dabei ein Polizist getötet. Der Sprengsatz habe drei Fahrzeuge zerstört und eine Mauer der Kirche umgerissen. Auch Gewehrfeuer sei zu hören gewesen.

Wenige Stunden nach dieser Explosion detonierte in Gadaka im Nordosten des Landes ein Sprengsatz. Auch hier war eine Kirche das Ziel. Anwohner berichteten, viele Menschen seien verletzt worden.

Wie aus nigerianischen Sicherheitskreisen verlautete, verübte ein Selbstmordattentäter in der nordöstlichen Stadt Damaturu einen Anschlag auf einen Konvoi der Geheimpolizei. Dabei habe es Tote und Verletzte gegeben. Damit wurden insgesamt fünf Attentate verübt.

Beileid aus aller Welt

Bundespräsident Christian Wulff verurteilte die Anschläge und sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus. "Diese feige Gewalt ist von keiner Religion gedeckt", heißt es in einem Beileidstelegegramm Wulffs an den nigerianischen Präsidenten Goodluck Jonathan. Es sei "besonders verabscheuungswürdig, dass sich die Anschläge gegen Menschen richteten, die sich friedlich an Weihnachten in ihren Gotteshäusern versammelt hatten".

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hat die Terroranschläge in Nigeria und Afghanistan verurteilt. "Auch am Weihnachtstag bleibt die Welt leider nicht von der Feigheit und dem Schrecken des Terrorismus verschont", sagte Westerwelle nach Angaben des Auswärtigen Amtes am Sonntag in Berlin. Es bleibe die Aufgabe, sich gemeinsam mit Freunden, Partnern und Gleichgesinnten aus der ganzen Welt dem Übel von Terrorismus, Gewalt und Unterdrückung mit ganzer Kraft entgegenzustellen. Dies gelte für Afghanistan und Nigeria, aber auch für Syrien, Weißrussland und anderswo.

Auch der Vatikan verurteilte die Anschläge in schärfster Form. Die Attentate am Weihnachtstag zeugten leider erneut "von der Grausamkeit eines blinden und absurden Hasses, der keinerlei Respekt vor dem menschlichen Leben hat", sagte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi in Rom. Den Attentätern gehe es darum, noch mehr Hass zu schüren.

Das Weiße Haus hat die Anschlagsserie in Nigeria als "sinnlosen" terroristischen Akt während der Weihnachtsfeiertage verurteilt. US-Vertreter stünden mit ihren nigerianischen Kollegen in Kontakt und wollten dabei helfen, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, hieß es am Sonntag aus Washington. Das Weiße Haus kondolierte dem nigerianischen Volk und vor allem den Familienangehörigen der Todesopfer.

Angespannte Lage

Nach tagelangen Gefechten zwischen Regierungstruppen und den radikalen Islamisten der Boko Haram Sekte im Nordosten des Landes ist die Lage in Nigeria angespannt. Seit Donnerstag wurden Medienberichten zufolge mindestens 60 Sektenmitglieder getötet.

In den vergangenen Monaten wurden die Angriffe von Boko Haram immer rücksichtsloser, so dass Experten vermuten, die Gruppe könnte Verbindungen zu der in Nordafrika aktiven Extremistenorganisation al-Qaida im Maghreb aufgenommen haben.

Nigeria ist mit etwa 150 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land Afrikas, die Bevölkerung in dem ölreichen Staat ist zur Hälfte islamischen und zur Hälfte christlichen Glaubens. Im Süden leben hauptsächlich Christen, im Norden Muslime.

Boko Haram verfolgt das Ziel, im Norden Nigerias einen islamischen Gottesstaat zu errichten. Allein in diesem Jahr starben bei ihren Anschlägen etwa 500 Menschen. Die Sekte war für mehrere blutige Aktionen in den vergangenen Jahren verantwortlich:

[] 25. Dezember: Am Weihnachtstag explodieren vor mehreren Kirchen Bomben. Ein Sprengsatz in der Stadt Madalla nahe der Hauptstadt Abuja tötet mindestens 25 Menschen.

[] 22. bis 24. Dezember 2011: Bei Kämpfen zwischen Sektenmitgliedern und den Sicherheitskräften werden in der Umgebung der Stadt Damaturu mindestens 61 Menschen getötet.

[] 4. November 2011: Sektenmitglieder verüben Bombenanschläge auf Regierungsgebäude und ziehen schießend durch die Stadt Damaturu, mindestens 100 Menschen kommen ums Leben. In der Stadt Maiduguri, dem spirituellen Sitz der Sekte, werden vier weitere Menschen bei Anschlägen getötet.

[] 26. August 2011: Bei einem Selbstmordanschlag auf das Gebäude der Vereinten Nationen in der Hauptstadt Abuja sterben nach Angaben von Medizinern mindestens 25 Menschen, mehr als 70 werden verletzt. Boko Haram bekennt sich zu der Tat.

[] 4. Juli 2011: Bei einem Anschlag auf einen Biergarten in Maiduguri im Nordosten Nigerias werden mindestens fünf Menschen getötet. Eine Bombe explodiert in einem hauptsächlich von Soldaten und Polizisten besuchten Lokal. Ein Woche zuvor waren bei einem Angriff in Maiduguri 25 Kneipen-Besucher erschossen worden. Behörden lasten die Taten Boko Haram an, die jeden westlichen Lebensstil ablehnt - auch das Trinken von Alkohol.

[] 16. Juni 2011: Bei einem Anschlag auf das Hauptquartier der nigerianischen Polizei sterben mindestens zwei Menschen. Wenige Stunden später explodiert ein weiterer Sprengkörper nahe einer Kirche in Damboa im Nordosten Nigerias. Nach Polizeiangaben werden vier Kinder getötet. Boko Haram bekennt sich zu der Tat.

[] 8. Juni 2011: In Maiduguri greifen Boko-Haram-Anhänger eine katholische Kirche an. Einem Zeitungsbericht zufolge sterben fünf Menschen.

[] 30. Mai 2011: Wenige Stunden nach der Amtseinführung von Präsident Goodluck Jonathan werden bei einem Attentat im Norden Nigerias mindestens zehn Menschen getötet. Medien berichten, die Bombe sei in einer Kneipe auf einem Kasernengelände in der Stadt Bauchi detoniert.

[] 9. April 2011: Bewaffnete Anhänger der Sekte stecken das International Hotel in Maiduguri in Brand und töten vor den Lokalwahlen einen Politiker.

[] 8. April 2011: Durch eine mutmaßlich von Boko Haram vor einem Wahlbüro gelegte Bombe kommen in Suleja im nigerianischen Staat Niger 16 Menschen ums Leben.

[] 28. Januar 2011: Bewaffnete Sektenmitglieder erschießen den führenden Kandidaten für die Gouverneurswahl im Staat Borno sowie sechs seiner Begleiter.

[] 1. Januar 2011: Bei Sprengstoffexplosionen sterben in der Neujahrsnacht mindestens elf Menschen. Für die Anschläge in einer Kirche und auf einem Kasernengelände stehen Muslim-Extremisten im Verdacht.

[] 24. Dezember 2010: Bei blutigen Angriffe auf Christen in Nigeria werden an Heiligabend mindestens 80 Menschen getötet. In und um die Stadt Jos im Zentrum des Landes explodieren mehrere Bomben. Dutzende Angreifer attackieren eine Kirche in Maiduguri.

[] 7. September 2010: Sektenmitglieder befreien 700 Gefangene aus einem Staatsgefängnis im nigerianischen Staat Bauchi.

[] Juli 2009: Etwa 700 Menschen kommen ums Leben, als es in der nordöstlichen Stadt Maiduguri zu Ausschreitungen durch Boko-Haram-Mitglieder kommt und Sicherheitskräfte die Unruhen niederschlagen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: