Radikalisierung:Wie eine 15-jährige Französin zur Islamistin wurde

Das Christentum gab Joanna keine Antworten. Islamisten trieben einen Keil zwischen sie und ihre Familie. Die Geschichte einer Radikalisierung.

Von Benedikt Peters

"Jeder, der nicht mit sich im Reinen ist, kann in ihre Fänge geraten", sagt sie. "Sie finden die richtigen Worte, sie sind nicht dumm. Das ist Manipulation, und so bin auch ich in die Falle gegangen."

Es sind die Sätze einer 15-Jährigen aus Paris, deren Geschichte nun der Sender CNN erzählt. Ihren echten Namen sagt sie nicht, sie nennt sich nur "Joanna". Es ist eine Geschichte, an deren Anfang die Konversion vom Christentum zum Islam steht und am Ende der Anruf bei einer Notfall-Hotline. Und eine Geschichte, die zeigt, wie es ablaufen kann, wenn sich Jugendliche radikalisieren.

Joanna stammt aus Paris, von dort also, wo Mitte November 130 Menschen bei islamistisch motivierten Anschlägen getötet wurden. Zu einer Frau, die in die Anschläge verwickelt war, habe sie sogar Kontakt gehabt, erzählt Joanna. Die Frau meldete sich bei ihr auf Facebook. "Sie wollte mit jemandem nach Syrien gehen, sie wollte es nicht allein tun." Joanna wollte mitkommen. Im Internet versuchte sie, sich einen gefälschten Pass für die Reise zu besorgen.

Das Christentum gab ihr keine Antworten

Alles hatte harmlos begonnen. Joanna wurde katholisch erzogen, erzählt ihre Mutter, sie war neugierig und schon als Kind an Religion interessiert. Mit sechs oder sieben Jahren habe Joanna gesagt, sie wolle in einer Kirche arbeiten.

Doch irgendwann war das Christentum nicht mehr das, was Joanna suchte. "Es lieferte keine Antworten auf einige meiner Fragen und ich mochte die Traditionen nicht." So kam sie zum Islam.

Sie las den Koran und konnte nicht mehr damit aufhören. "Diese Religion schien mir das zu sein, was ich wollte." Sie habe eine besondere Liebe und Leidenschaft für den Islam gespürt, auch, vermutet sie selbst, weil sie sich bewusst für den Islam entschied und nicht in ihn hineingeboren wurde.

Gleichzeitig machte sie das anfällig. Bald meldeten sich Menschenfänger islamistischer Gruppen. "Sie gaben meinem Leben einen Sinn. Sie ließen mich denken, ich hätte eine wichtige Rolle auf dieser Erde. Ich fühlte mich von ihnen geliebt, mehr noch als von meiner eigenen Familie."

Ihre Mutter - eine "Ungläubige"

Die Familie spielten die Islamisten bewusst gegen Joanna aus. "Sie wissen genau, wie deine Familie auf die Situation reagiert. Wenn deine Familie nicht muslimisch ist, wissen sie, dass die Eltern den Hijab oder Essen, das halal (nach islamischem Recht erlaubt, Anm. d. Red.) ist, nicht akzeptieren werden, ebensowenig wie Moschee-Besuche." Die Islamisten sagten ihr voraus, ihre Familie werde sie ablehnen, sie werde sie nicht mehr lieben. "Die einzigen, die dich lieben, sind deine Brüder und Schwestern im Islam."

Joanna entfernte sich von ihrer Familie. Die tat ihre Begeisterung anfänglich als jugendliche Rebellion ab. Doch dann sagte Joanna zu ihrer Mutter, sie sei "eine Ungläubige". Da rief die Mutter bei der Notfall-Hotline an.

Dank dieses Anrufs ist Joanna heute eine der jüngsten Teilnehmerinnen in einem französischen Deradikalisierungsprogramm für Muslime. Dessen wesentliche Aufgabe, so sagte es eine Mitarbeiterin CNN, sei es zunächst, Zweifel zu säen. "Sie denken, sie kennen die Wahrheit: Der IS ist gut, wir sind schlecht."

Der Schlüssel sei, die Jugendlichen zum eigenständigen Denken anzuregen, statt die IS-Propaganda einfach zu akzeptieren. Neben den Sitzungen mit Betreuern muss sich Joanna täglich bei der Polizei melden.

Mittlerweile, sagt Joanna, kenne sie den Unterschied zwischen Islam und IS. "Der IS ist eine Sekte, er hat nichts mit dem Islam zu tun." Aber sie hält sich selbst noch für anfällig. Im Moment hat sie kein Handy und will lieber auch in Zukunft keines. "Ohne Handy und Internet gibt es niemanden, der mir befehlen kann, was ich tun soll." Im Moment sei das genau das Richtige.

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