Radikalisierung:Der Schlüssel heißt Bildung

Ausgerechnet unter syrischen Flüchtlingen sind viele anfällig für islamistische Parolen. Will die Politik das ändern, muss sie gegen Frust und Benachteiligung vorgehen und in Bildung investieren.

Kommentar von Ronen Steinke

Im Vergleich zu den einstigen türkischen Gastarbeitern bringen die Syrer gute Voraussetzungen mit, um sich in eine multikonfessionelle Gesellschaft wie die deutsche einzufinden. Der Islam war im syrischen Alltag immer stark sichtbar, aber Syriens Muslime betrachten es auch als Teil ihrer traditionellen Identität, mit anderen Religionsgruppen zusammenzugehören, etwa mit Christen oder Drusen. Syrer kennen Ostern und Weihnachten als staatliche Feiertage, das Regime des Machthabers Assad wahrt sie zusätzlich zu den muslimischen. Syrer sind es sogar gewohnt, dass der Staat selbst Bier braut, er vertreibt es unter der Marke "Barada" über Armee-Shops - in vielen anderen arabischen Staaten wäre ein solches Geschäftsmodell undenkbar.

Dass ausgerechnet unter syrischen Flüchtlingen so viele anfällig sind für islamistische Parolen, liegt also sicher nicht daran, dass es ihnen kulturell in die Wiege gelegt worden wäre. Dennoch kamen aus keiner anderen Bevölkerungsgruppe in der Anschlagsserie seit Sommer 2016 mehr Mordwillige. Vier von sechs Anschlägen in Deutschland wurden von Flüchtlingen begangen. Drei von drei Bombenbastlern waren Syrer. Fast alle hatten sich erst hierzulande radikalisiert: Es sind Frust und Zurücksetzung, die junge Leute dazu bringen, einfache Antworten und Feindbilder attraktiv zu finden. Diese Erkenntnis ist wichtig, wenn einem daran gelegen ist, dass die Zahl der islamistischen Gefährder eines Tages wieder sinkt.

Mit Härte allein lässt sich die Radikalisierung von Flüchtlingen nicht verhindern

Mehr als eine Million Neuankömmlinge, unter ihnen viele Syrer, müssen in den kommenden Jahren in Deutschland integriert werden. Es gibt eine Million Gründe, ihnen ein gelingendes Leben zu wünschen - nicht nur deshalb, weil man sich sorgen muss, dass hier gerade ein Pool entsteht, aus dem sich neue Extremisten rekrutieren, zumal sie noch in der krassen Minderheit sind. Wo sich aber Perspektivlosigkeit breit macht, locken die Verführer mit den einfachen Feindbildern. Und dann helfen auch pädagogische Programme zur "Deradikalisierung", wie sie Polizei und Verfassungsschutzämter jetzt für viele Millionen Euro ins Werk setzen, nur noch selten. Deshalb muss die Politik etwas für Perspektiven tun, darf bei der Bildung keine Mühen scheuen.

Ein abschreckendes Beispiel sind die Banlieues in Frankreich, wo heute schon zwanzig Mal so viele islamistische Gefährder gezählt werden wie hierzulande. Härte hilft, um einzelne Gefährder aus dem Verkehr zu ziehen, aber sie genügt nie, um Radikalisierungsverläufe zu verhindern. Wenn moderate Imame hingehen und im Namen der Prävention mit Jugendlichen sprechen, schadet das nicht. Wenn ein Unternehmer kommt und ein paar Ausbildungsplätze mitbringt, ist das allemal besser.

Der Frust im Bauch ist das eine. Die Kopfsache ist das andere. Das führt in die Außenpolitik, dort finden sich die großen Deutungsmuster, mit denen Islamisten um Nachwuchs werben. Auch das gehört deshalb zu ehrlichen Analyse: Wenn der deutsche Staat mit neu zugewanderten jungen Muslimen über Menschenrechte redet, dann würde es helfen, wenn er nicht gleichzeitig in der arabischen Welt Regimen wie Saudi-Arabien oder Katar den Hof machen würde. Und wenn die Justiz aufhören würde, fast alle syrischen Rebellen als Terroristen zu bezeichnen - während sie ausgerechnet die Assad-Armee mit ihren Fassbomben von dieser Verfolgung ausnimmt.

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