Russischer Präsident:Putins Machtspiele

Putin takes part in a live broadcast call-in in Moscow

Wer versteht, was in diesem Mann vor sich geht? Putinologie hat seit dem vergangenen Jahr Hochkonjunktur.

(Foto: REUTERS)

Ruhe in der Ukraine, Druck in Syrien. Russlands Präsident sendet rätselhafte Signale. Sucht er einen Weg aus der Isolation? Oder einen neuen Schauplatz, um Stärke zu zeigen?

Von Stefan Kornelius

Der erste Schultag ist in der Ukraine wie in vielen Ländern der Erde ein besonderer Moment. Weiße Hemden, dunkle Kleider - festlich sollte es zugehen, wenn auf die Kinder der Ernst des Lebens wartet. Im Osten des Landes entpuppte sich der erste Schultag als ein doppelter Freudentag. Seit diesem 1. September schweigen nämlich die Waffen auf beiden Seiten der Demarkationslinie. Gefechte und Scharmützel, bis dahin Routine, waren plötzlich vorbei. Separatisten wie ukrainische Verbände hielten sich an die Abmachung, die zuvor von der OSZE ausgehandelt worden war.

Besonders bemerkenswert an diesem Waffenstillstand: Er hält bis heute. Analysten in den westlichen Staatskanzleien reiben sich verwundert die Augen und suchen nach Deutungen. Warum ausgerechnet jetzt? Als am 4. September im Weißen Haus in Washington das Telefon klingelte, fügten sich ein paar Puzzleteile. Wladimir Putin bat um ein Gespräch. Sechs Wochen vorher hatte Barack Obama noch von sich aus im Kreml angerufen und dem russischen Präsidenten für seinen Beitrag bei den Iran-Verhandlungen gedankt. Nun hatte Putin ein Anliegen.

Die russische Bitte: Obama solle eine Anti-Terror-Initiative Moskaus gegen den IS in Syrien unterstützen. Zeitgleich ging im Weißen Haus eine zweite Bitte ein: Der russische Präsident wolle den US-Präsidenten am Rande der Generaldebatte der Vereinten Nationen treffen, des alljährlichen Klassentreffens der Staatenlenker, das am 28. September beginnt.

Seit dem Telefonat überschlagen sich die Ereignisse. Und sowohl in Washington als auch bei den amerikanischen Verbündeten wird gerätselt, was Putin eigentlich beabsichtigt. Sicher ist aber: Zwischen dem Waffenstillstand und der Syrien-Initiative gibt es einen Zusammenhang. Russland, das immer für die Separatisten verhandelt und deren Schritte zu steuern vermag, hat auch diesmal seinen Einfluss deutlich gemacht. Man kann es als Machtdemonstration verstehen, wenn plötzlich die Waffen schweigen - oder als Geste des Entgegenkommens. Was Putin damit sagen wollen könnte: Wir sind zur Kooperation bereit - seid ihr es auch?

Als beste Deuterin von Wladimir Putin gilt Angela Merkel

Putinologie hat seit dem vergangenen Jahr Hochkonjunktur, und als beste Deuterin des russischen Präsidenten gilt die deutsche Kanzlerin, die in der Ukraine-Krise federführend verhandelt hat. Bei Angela Merkel gingen dann auch die Telefonate der Verbündeten mit der simplen Frage ein: Was tun?

Während der Westen über die richtige Strategie berät, zeigt Putin, dass er es nicht bei einem Telefonat belässt. Russland verlegte in den vergangenen Tagen Kriegsgerät und Material nach Syrien, es rang mit dem Westen um Überflugrechte, sein Außenminister Sergej Lawrow telefonierte mit US-Außenminister John Kerry. Der Druck steigt also. Aber wie wird er sich entladen?

Putins wahre Absichten liegen im Dunklen. Nach der Ukraine-Erfahrung des vergangenen Jahres gibt es niemanden in den westlichen Regierungszentralen, der den Präsidenten lediglich beim Wort nimmt. In der einfachsten Lesart will Putin mit seiner Offerte den Weg zurück in den Kreis der Staatenlenker finden. Die Isolation setzt seinem Land zu. Putin könnte also darauf abzielen, vom US-Präsidenten auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden. Deshalb ein Treffen in New York.

Obama mag Putin nicht. Das merkt man schon an der Körpersprache

Obamas öffentlich zur Schau getragene Geringschätzung für Putin, sein demonstratives Desinteresse am Ukraine-Krieg, war von nicht wenigen als politischer Fehler kritisiert worden. Obama tut sich schwer im Umgang mit Menschen, die er nicht mag. Seine Körpersprache im Beisein Putins spricht Bände. Der Präsident scheint seine Aversion nach dem Ukraine-Jahr noch gesteigert zu haben, sagen Kenner des Betriebs im Weißen Haus.

Putin könnte aber auch den Kriegsschauplatz in der Ukraine vernachlässigen, weil er einen zweiten Ort für die russische Kräftedemonstration eröffnen will. Russische Diplomaten und zuletzt ihr oberster Chef, der Außenminister, haben in den vergangenen Tagen mehrmals klargemacht, dass sie sich in ihrer Treue zum syrischen Rumpf-Potentaten Baschar al-Assad nicht überbieten lassen.

Anlass für diese Treueschwüre bietet eine Vielzahl von Initiativen, die angesichts der katastrophalen Flüchtlingswellen und der militärischen und propagandistischen Erfolge des IS zu einer neuen Kraftanstrengung für syrische Friedensgespräche aufrufen. Die historische Einigung zwischen den USA und Iran auf ein Nuklearabkommen befeuerte die Hoffnung, dass Iran seine Rolle als Schutzmacht für Assad überdenken könnte. Der Augenblick für neue Allianzen und Machtspiele scheint günstig zu sein - für Russland wie für die USA.

Ob Obama Optionen für Syrien bleiben, ist offen

Aber für solche Planspiele sind Obama momentan die Hände gebunden. Der US-Präsident verfolgt nur ein Ziel: Der Iran-Deal muss schnell vom Kongress abgesegnet werden. Der Wahlkampf kommt auf Touren, der Druck der Israel-Lobby wächst. Erweckt Obama nun den Eindruck, dass er schon das nächste Gegengeschäft mit Teheran vorbereitet, dann riskiert er die Unterstützung für das Nuklearabkommen. Erst am Dienstag haben vier Senatoren der Demokraten ihre Stimme dem Präsidenten versprochen. Obama kann sich nun einer Gruppe von 42 Senatoren sicher sein, die nach den komplizierten Verfahrensregeln den Republikanern den Weg zu einem Abstimmungserfolg versperren. Obama müsste dann kein Veto einlegen und könnte das Thema zügig abhaken.

Ob ihm dann allerdings Optionen für Syrien bleiben, ist offen. Irans geistliches Oberhaupt, Ayatollah Ali Chamenei, soll am Mittwoch vor Tausenden Anhängern in Teheran klare Worte gefunden haben: "Wir haben Verhandlungen mit den USA nur zu dem Atomthema aus bestimmten Gründen erlaubt. In anderen Bereichen werden wir dies nicht tun." Das klingt nicht nach neuen Allianzen. Und auch unter den Verbündeten wächst die Unruhe. Spanien oder Österreich werben für direkte Verhandlungen mit Assad - ohne Bedingungen. Und der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnt vieldeutig vor einer militärischen Ausweitung des Konflikts.

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