Putin in der Krim-Krise:Ansichten eines Großmacht-Nostalgikers

Putin in der Krim-Krise: Entspricht gerade allen Vorurteilen, die es über ihn gibt: Russlands Präsident Wladimir Putin.

Entspricht gerade allen Vorurteilen, die es über ihn gibt: Russlands Präsident Wladimir Putin.

(Foto: AFP)

Putin ist ein Autokrat, der als KGB-Offizier im 20. Jahrhundert politisch sozialisiert wurde und der sich der Ukraine gegenüber der Mittel des imperialistischen späten 19. Jahrhunderts bedient. Wo genug Russen leben, nimmt er sich das Recht einzugreifen - also auch auf der Krim. Was "genug Russen" sind, bestimmt allein Putin.

Ein Kommentar von Kurt Kister

Wladimir Putin gelingt es erfolgreich, nahezu allen Vorurteilen zu entsprechen, die über ihn in Russland, aber auch im Rest der Welt existieren. Er schickt dilettantisch camouflierte Soldaten nach Simferopol und holt sich später für diesen Fait accompli die Zustimmung eines Abnick-Parlaments. So setzt er eigenes Recht, das Völkerrecht bricht.

Er weiß, dass Russland der Ukraine militärisch riesenhaft überlegen ist, und er weiß auch, dass Moskau keine militärischen Gegenmaßnahmen von außerhalb befürchten muss. Er handelt so ungeniert, wie er es sich anhand seines ohnehin ruinierten Rufs leisten kann. Putin ist ein Autokrat des 21. Jahrhunderts, der als KGB-Offizier im 20. Jahrhundert politisch sozialisiert worden ist und der sich nun gegenüber der Ukraine der Mittel des imperialistischen 19. Jahrhunderts bedient.

Es ist in diesen Tagen immer wieder mal die Rede davon, dass der Kalte Krieg zurückkehre: hier Russland, auf der anderen Seite "der" Westen. Diese Analogie mag verlockend klingen, ist aber dennoch falsch.

Im Kalten Krieg standen sich zwei von jeweils einer Vormacht dominierte Blöcke gegenüber. Diese Blöcke waren nicht nur von den globalen Interessen der USA respektive der Sowjetunion definiert, sondern auch von politischen Ideologien, die zu bestimmten Gesellschaftssystemen führten. Auch angesichts der atomar begründeten Drohung mit gegenseitiger Vernichtung hatte man sich darauf verständigt, trotz aller Konkurrenz die Interessen und das Handeln des jeweils Anderen in dessen engerer Machtsphäre zu akzeptieren. Dies führte zu einer relativen Stabilität - manchmal zum üblen Nachteil einzelner Staaten wie etwa 1968 im Falle der Tschechoslowakei.

Ausgetragen wurden die Interessengegensätze nicht direkt zwischen den Blöcken, sondern unter anderem an der Peripherie der Machtbereiche in Stellvertreterkriegen, die ihren Namen nicht immer zu Unrecht trugen. Vietnam oder Angola waren Beispiele dafür; Afghanistan wuchs sich zur schwersten Fehlkalkulation der Sowjetunion aus. Die sowjetische Intervention am Hindukusch trug erheblich zum Zusammenbruch des roten Imperiums bei.

Es geht um Groß-Russland

Russland ist als geografische Mitte des verblichenen Sowjetreichs übrig geblieben. Jene Regionen und Länder aber, die der Westen zu Zeiten des Kalten Krieges das sowjetische Sicherheitsglacis nannte, haben sich entweder aus dem Einflussbereich Moskaus verabschiedet oder sind gar Mitglied von EU und/oder Nato geworden. Wer Russland-Versteher sein möchte, der findet in der Abwendung der einstigen Klienten die Erklärung für Moskaus aggressive Politik im Kaukasus oder gegenüber der Ukraine.

Nicht nur Polen oder Ungarn sind, wie man es dort selbst sieht, nach Europa zurückgekehrt. Nein, auch die einstigen Sowjetrepubliken und Provinzen rund um das russische Kernland wenden sich ab. Dies geschieht oft unter inneren Spannungen, weil einerseits die Stalinsche Russifizierungspolitik und andererseits die Folgen des deutschen Überfalls 1941 ff. die Zusammensetzung der Bevölkerungen in diesen Provinzen verändert haben.

Simpel gesagt: Immer wieder kollidieren die Interessen ethnischer Russen mit denen von Nicht-Russen. Putin wiederum, der ein russischer Nationalist ist und gleichzeitig ein Großmacht-Nostalgiker, benutzt den Irredentismus der Auslands-Russen als Begründung für politische, ökonomische und manchmal militärische Intervention. Der nationale Irredentismus, also das Streben nach Befreiung von vermeintlich ethnisch bedingter Unterdrückung, ist ein klassisches Motiv der Kriege und Kriegsbegründungen im späten 19. und dann im 20. Jahrhundert.

Insofern erklären weniger die Denkschemata des Kalten Kriegs die Politik der Regierung Putin als vielmehr jene Muster, die am Beginn des Ersten Weltkriegs, aber auch noch in den Balkankriegen der Neunzigerjahre eine große Rolle spielten. Es geht um die Angehörigen einer bestimmten Ethnie oder Volksgruppe auf einem bestimmten Territorium. Dahinter steht keine inklusive Idee wie etwa "Europa" oder, wie einst zu realsozialistischen Zeiten, die "internationale Solidarität". Nein, es geht um Russland, schlimmer noch: um Groß-Russland.

Die Putin-Doktrin lautet: Wo genug Russen leben, habe ich, der Präsident aller Russen, das Recht zu handeln. Was "genug" Russen sind, wird durch Putins Definitionshoheit bestimmt. In diesem Sinne waren die Verhältnisse während der Zeit des Kalten Krieges zwar nicht gut, aber sie waren halbwegs rational. Allerdings war Vernunft nie eine Tugend der Nationalisten.

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