Putin in China:Partner in engster Distanz

Mit dem Besuch bei seinem Kollegen Xi Jinping in China könnte Präsident Wladimir Putin eine Wende einleiten, wie es sie in der russischen Geschichte zuvor nie gegeben hat: die Abkehr von Europa hin zu Asien. Oder ist alles nur ein Bluff?

Von Julian Hans, Moskau

Wenn Europa sich nicht mit Russland einig werden will, dann tut Russland sich eben mit China zusammen. Seit Jahren schon werden in Moskau solche Szenarien entworfen, wenn es in den Beziehungen mit dem Westen knirscht. Doch seitdem im Zuge der Ukraine-Krise aus dem Knirschen ein Krachen geworden ist, wächst im Kreml die Entschlossenheit, mit diesen Plänen ernst zu machen. Wladimir Putin, in dem westliche Politiker anfangs einen Wiedergänger Peters des Großen sehen wollten, der Russland nach Europa öffnete, könnte eine Wende einleiten, wie es sie in der russischen Geschichte zuvor nie gegeben hat: die Abkehr von Europa und die Anbindung an Asien.

Eine "neue Etappe" der Beziehungen zwischen beiden Staaten werde Präsident Putin einleiten, wenn er an diesem Dienstag in Shanghai seinen chinesischen Kollegen Xi Jinping trifft, tönte der Kreml bereits. Putins außenpolitischer Berater Jurij Schuwalow sprach von einem "phantastischen Paket", das man beabsichtige zu verhandeln. Mehr als 40 Verträge seien dabei, von denen 30 unterschriftsreif seien. In einem Interview mit chinesischen Medien erklärte Putin, die Verhandlungen über den Verkauf sibirischen Gases an China seien "sehr weit gediehen". Beide Staaten steuerten konsequent auf die Bildung einer "strategischen Energieallianz" zu.

Es hakt an einem zentralen Punkt

Die Urteile darüber gehen auseinander, ob das Bluff ist oder ob eine echte Chance in einer russischen Wende vom Westen nach Asien liegt. Kurzfristig könnte Putin Eindruck machen, wenn er mit dem Abkommen in der Tasche nach Hause kommt, wo sich am Donnerstag internationale Unternehmen zum Petersburger Wirtschaftsforum treffen. Allerdings laufen die Verhandlungen mit China schon seit zwei Jahrzehnten. 2006 wurde eine Absichtserklärung unterzeichnet, aber seither hakt es an einem zentralen Punkt: am Geld.

China ist nicht bereit, so viel für russisches Gas zu bezahlen wie die Abnehmer in Europa. Und gegenwärtig ist die Verhandlungsposition Moskaus schwächer denn je: Der Gasstreit mit der Ukraine und Europa habe die Verhandlungsposition Pekings gestärkt. Moskau müsste Zugeständnisse an Peking machen, um den Absatzmarkt für sein wichtigstes Exportgut zu diversifizieren. Die Verträge seien "zu 98 Prozent fertig", verkündete in der vergangenen Woche Russlands stellvertretender Energieminister.

Doch bei den fraglichen zwei Prozent dürfte es sich weiter um den strittigen Preis handeln, die Kernfrage also. Putin-Berater Jurij Uschakow äußerte sich denn auch zurückhaltend zu den Erwartungen, der Vertrag könnte bei diesem Besuch unterzeichnet werden. Die Chefs von Gazprom und dem chinesischen Gashändler CNPC wollten sich nach einem Treffen in der vergangenen Woche ebenfalls nicht festlegen.

Russland stört sich nicht an der wachsenden Stärke Chinas

Eigentlich sollte Putin in zwei Wochen die Staats- und Regierungschefs der G 7 in Sotschi zu Gast haben. Aber daraus wird bekanntlich nichts, der Gastgeber wurde aus dem Club ausgeladen. Nun wendet sich Putin demonstrativ Peking zu. Machtpolitisch könnte die Wende durchaus funktionieren, urteilt Dmitrij Trenin vom Moskauer Carnegie-Institut. Russland sei der einzige Nachbar Chinas, der sich an dessen wirtschaftlichem Aufstieg, dem wachsenden außenpolitischen Selbstbewusstsein und der zunehmenden militärischen Stärke nicht störe, schreibt Trenin in einer Analyse. Im Wirtschaftsboom sehe der Kreml eine Chance und in Pekings kräftigerem außenpolitischen Auftreten einen Beitrag zu einer multipolaren Welt, die Moskau begrüßt.

Und Chinas Aufrüstung werde in erster Linie als gegen die Vereinigten Staaten und deren Verbündete gerichtet gesehen. "In den vergangenen 25 Jahren hat sich die Machtbalance zwischen China und Russland stetig zugunsten Chinas verschoben. Gleichzeitig wurden die Beziehungen zwischen Peking und Moskau immer enger: ein verblüffendes Phänomen in der Geschichte benachbarter Großmächte."

Doch so gut Moskau und Peking im Moment politisch zusammenpassen mögen, so groß ist der Nachholbedarf in der Wirtschaft. Zwar hat sich der Warenaustausch seit den 1990er-Jahren stetig gesteigert und im vergangenen Jahr einen Rekordwert von beinahe 90 Milliarden Dollar erreicht. Doch ist dabei China eindeutig der Stärkere mit einem Export im Wert von 50 Milliarden. Und der Abstand wächst: Im vergangenen Jahr nahmen die chinesischen Ausfuhren nach Russland um 12,6 Prozent zu, Russlands Exporte nach China gingen um zehn Prozent zurück.

"Wenn Russland nicht bald unterschreibt, kauft China sein Gas woanders."

Russlands Position werde immer schwächer, warnt daher Andrej Ostrowskij, stellvertretender Direktor am Institut für den Fernen Osten der Russischen Akademie der Wissenschaften: "Wenn Russland nicht bald unterschreibt, kauft China sein Gas woanders, zum Beispiel in Turkmenistan." Umgekehrt werde China gebraucht, um Russland beim Ausbau der Infrastruktur zu helfen, sagt Ostrowskij.

Moskau wünscht sich zudem, dass China sich an der Entwicklung des russischen Fernen Ostens beteiligt. Es gehe nicht nur darum, den Handel auszuweiten, sondern "Allianzen in Industrie und Technologie zu bilden und Investitionen in Infrastruktur und Energie anzuziehen", sagt Putin. Dafür sollen in der über weite Gebiete kaum besiedelten Region Sonderwirtschaftszonen mit großen Nachlässen bei Steuern, Versicherungen und Zöllen gegründet werden.

Der Ökonom Wladimir Inosemzew sieht in einer Partnerschaft mit China die Nachteile überwiegen. Europa sei ein postindustrielles Land, China ein Industrieland. Auch wenn China derzeit sehr dynamisch wachse: "Die Umorientierung von einem postindustriellen strategischen Partner zu einem industriellen bedeutet für Russland nicht nur weniger Einnahmen, sondern in gewissem Maße auch weniger Perspektiven", urteilt Inosemzew. Europa habe ein großes Interesse daran, dass Russland sich von einem Rohstofflieferanten zu einem Industrieland entwickle, daher auch die viel zitierte Modernisierungspartnerschaft.

Die Chinesen dagegen würden nie ein vergleichbares Interesse daran haben, dass sich Russland zum Industrieland entwickle. Sie sind selbst auf dem Weg dahin: "Ihnen genügt es, wenn wir die Tankstelle für ihre Wirtschaft bleiben."

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