Prügel-Attacken in St. Petersburg:"Die Vorgänge sind eine Schande für dieses Land"

Stephan Stuchlik hat die Übergriffe der Polizei in St. Petersburg miterlebt: Der ARD-Korrespondent wurde selbst Opfer prügelnder Beamter. Auf sueddeutsche.de berichtet er von den Ereignissen bei der Demonstration, die "eigentlich die friedlichste war, auf der ich in Russland jemals war".

Gökalp Babayigit

sueddeutsche.de: Herr Stuchlik, die Bilder der prügelnden Polizisten in St. Petersburg und Moskau gingen um die Welt. Sie berichteten aus St. Petersburg und wurden auch Opfer der Angriffe. Was ist Ihnen widerfahren?

Prügel-Attacken in St. Petersburg: Gewaltsamer Staatsapparat: ARD-Korrespondent Stephan Stuchlik (links) wird von russischen Sicherheitsbeamten verprügelt und abgeführt.

Gewaltsamer Staatsapparat: ARD-Korrespondent Stephan Stuchlik (links) wird von russischen Sicherheitsbeamten verprügelt und abgeführt.

(Foto: Foto: ARD)

Stuchlik: Es nahmen rund 1500 Menschen an der genehmigten Demonstration teil, es wurden kritische Reden gehalten - alles in allem war das wahrscheinlich die friedlichste Demonstration, auf der ich in Russland jemals war. Anschließend an die Demonstration war ein Marsch durch die Stadt geplant, der jedoch verboten worden war.

Die Organisatoren ermunterten die Menge trotzdem, den Weg einzuschlagen, forderten die Menschen allerdings nachdrücklich auf, alle Plakate einzurollen und keine Parolen zu rufen. Niemand könne normale Bürger an einem Gang durch die Stadt abhalten. Die Menschen waren dann auch sehr diszipliniert. Man sah kein Plakat und hörte keine Sprüche. Trotzdem wartete die Polizei bereits auf die Demonstranten.

sueddeutsche.de: Was ist dann passiert?

Stuchlik: Nachdem die Menschen eingekesselt worden waren, begannen die Polizisten, auf die Demonstranten einzuprügeln - darunter alte Frauen und Jugendliche, die nichts mit der Demonstration zu tun hatten. Die Menschen wurden an die Wand gedrückt und wahllos verhaftet. Bei diesen Aktionen erwischte es auch unseren Tonmann, obwohl er klar als Medienvertreter erkennbar war.

Als die Polizei ihre Aktionen für fünf Minuten unterbrach, wollte ich mich umsehen und suchte einen Weg aus dem Kessel. Kaum hatte ich mich ein paar Schritte hinter die Polizeisperre bewegt, hielt mir ein Sicherheitsbeamter des Innenministeriums sein Megafon ans Ohr und schrie mich an, ich solle verschwinden.

sueddeutsche.de: Haben Sie sich nicht als Journalist identifiziert?

Stuchlik: Im Gegenteil: Ich wollte den Mann beruhigen und sagte ihm, dass ich kein Demonstrant, sondern Journalist aus Deutschland war. Er sagte, es sei ihm egal, wer ich sei, und forderte mich nochmal auf zu verschwinden. Als ich mich dann umdrehte und zurückgehen wollte, spürte ich einen Schlag. Der Beamte hat mich mit dem Ellbogen geschlagen und in den Bauch getreten. Dann kam ein zweiter Polizist und trat auf mich ein.

Ich wurde verhaftet und kam in den Gefangenentransporter, wo ich weitere Journalisten traf. Einige waren sogar mit grauer Weste gekleidet, auf der groß das Wort "Presse" stand.

sueddeutsche.de: Wie bewerten Sie dieses Vorgehen der russischen Sicherheitskräfte?

Stuchlik: Im Prinzip weiß man, dass Demonstrationen in Russland etwas ruppiger werden können. Ein paar blaue Flecken kann man sich da schon holen. Doch die Vorgänge am Wochenende bedeuten einen Besorgnis erregenden Umbruch. Dafür gibt es meines Erachtens nur eine Erklärung: In der Regierung macht sich enorme Nervosität breit.

Die zwei anstehenden großen Wahlen (die Parlamentswahlen und die Präsidentschaftswahl, d. Red.) sorgen für ein Gefühl der Unsicherheit. Man hat große Angst, dass dieses Gefühl eine Revolution auslösen könnte - die Ereignisse in Georgien und Ukraine dienen da als "abschreckendes" Beispiel.

sueddeutsche.de: Also müssen wir in Zukunft damit rechnen, aus Russland mehr Bilder von prügelnden Polizisten zu sehen?

Stuchlik: Ich fürchte, so ist es. Die Vorgänge sind eine Schande für dieses Land, das immer mehr autoritäre Züge annimmt. Obwohl die russische Verfassung Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit garantiert, habe ich davon an diesem Wochenende nichts gesehen.

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