Prozessauftakt gegen Christian Wulff:Wegen 753,90 Euro

22 Termine sind angesetzt, 46 Zeugen sollen vernommen werden, vom Hotelrezeptionisten bis zum Großverleger: Die Verhandlung gegen Ex-Bundespräsident Christian Wulff ist ein Prozess, wie es ihn noch nicht gegeben hat und hoffentlich nie wieder geben wird. Das ganze Verfahren ist absurd, peinlich und beschämend - für Wulff, vor allem aber für die Staatsanwaltschaft.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Die Bundesrepublik erlebt von Donnerstag an, was sie noch nie erlebt hat: Ein ehemaliger Bundespräsident steht vor Gericht und soll, so fordert es die Staatsanwaltschaft, bestraft werden. Es ist ein Prozess, wie es ihn noch nicht gegeben hat und hoffentlich nie wieder geben wird. 22 Tage lang soll verhandelt werden wegen eines Betrags von derzeit sage und schreibe 753 Euro und 90 Cent; die Anklage behauptet, als Ministerpräsident sei Wulff für diesen Betrag zu kaufen, er sei für diese Summe in Sachwerten einem Freund gefällig gewesen.

753,90 Euro: Darin, nur darin, besteht der strafrechtliche Vorwurf, der gegen Christian Wulff erhoben wird. Alle anderen Beschuldigungen, Verdächtigungen und Anwürfe haben sich strafrechtlich, auch nach Ansicht der Staatsanwaltschaft, entsubstanziiert. Wegen 753 Euro und 90 Cent sollen derzeit 46 Zeugen vernommen werden, vom Hotelrezeptionisten bis zum Großverleger.

Wegen eines solchen Betrags wird üblicherweise, wenn überhaupt, eine halbe Stunde vor dem Einzelrichter des Amtsgerichts verhandelt. Das Verfahren gegen Christian Wulff, ehedem zehnter Präsident der Bundesrepublik Deutschland, wird aber, angeblich wegen der Bedeutung der Sache, vor der großen Strafkammer des Landgerichts Hannover verhandelt, vor einer Strafkammer also, die ansonsten über Vergewaltiger, Mörder, Totschläger und Großbetrüger zu Gericht sitzt.

Das Verfahren ist ein Musterverfahren: ein Musterverfahren für Unverhältnismäßigkeit. Daran ist die Staatsanwaltschaft schuld, weil sie die Souveränität nicht hatte, das Strafverfahren nach exzessiven Ermittlungen einzustellen. Wegen der Einleitung der Ermittlungen war Wulff als Präsident zurückgetreten.

Das war die Strafe für die moralischen Fehler und die Idiotien, die er sich geleistet hatte - für die gewundenen, halbgaren Einlassungen zu dem Hauskredit, den er aufgenommen hatte; und für den peinlichen Alarmanruf beim Chefredakteur der Bild-Zeitung. Doch solche Idiotien sind nicht strafbar. Sie sind nur idiotisch und unwürdig für einen Präsidenten. Aber das Strafverfahren gegen Christian Wulff setzt nun der Unwürdigkeit die Krone auf.

Robenverkleideter Aufstand des angeblichen Volkszorns

Das ganze Procedere ist absurd, es ist peinlich und beschämend - erstens für Wulff, zweitens und vor allem für die Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungsakten belegen auf vielen Tausend Seiten nicht die strafbare Schuld des Angeklagten, sondern eine Verfolgungsgeilheit der Ermittler, die, warum auch immer, mit einer Voreingenommenheit sondersgleichen recherchiert, und warum auch immer, nicht verhindert haben, dass immer wieder Details, die sich dann als strafrechtlich irrelevant erwiesen, an die Öffentlichkeit durchgestochen wurden. Die Staatsanwaltschaft hat sich von einer medialen Hysterie antreiben lassen. Sie tut jetzt so, als stünde der Betrag von 753,90 Euro, den sie zusammengekratzt hat, um Wulff überhaupt noch anklagen zu können, pars pro toto für ein Gesamtverhalten des Angeklagten. Das ist nicht gut.

Die Ermittlungen gegen Wulff hätten ein Beleg dafür sein können, dass ein Staatsoberhaupt vor dem Gesetz ein Bürger ist wie jeder andere auch. Ein solcher Beleg aber waren die Ermittlungen nicht. Das Verfahren bisher war der robenverkleidete Aufstand des angeblichen Volkszorns gegen den vermeintlichen Repräsentanten eines korruptiven Politikstils.

Gewiss: dass es nun zur Hauptverhandlung überhaupt kommt, liegt auch an Wulff, der das Angebot der Staatsanwaltschaft nicht angenommen hat, das Verfahren nach dem großen Ermittlungsbohai gegen eine Zahlung von 20.000 Euro einzustellen. Dieses Angebot war aus zwei Gründen ungehörig: Gemessen an den ursprünglichen Vorwürfen gegen Wulff war die Summe possierlich niedrig, und gemessen an dem mickrigen Vorwurf, der gegen ihn angeblich übrig blieb, war sie viel zu hoch. Es war ein vergiftetes Angebot, ein Angebot, mit dem Wulff eine strafrechtliche Schuld quasi anerkennen sollte.

Das wollte Wulff nicht, er setzte daher, auch der symbolischen Wirkung wegen, auf einen Freispruch nach einer mündlichen Verhandlung. Womöglich war das töricht, weil auch die bloße Verhandlung, also die Szene des ehemaligen Staatsoberhaupts, das vor Gericht steht, eine hohe symbolisch-plakative Wirkung hat. Wulff hat das mit dem Mut des Verzweifelten riskiert.

Das Verfahren, so wie es bisher betrieben wurde, war ein Missbrauch der Justiz durch Justizorgane. Die Richter setzen dem hoffentlich jetzt ein Ende - durch eine faire, möglichst entrummelte Verhandlung. Auch ein ehemaliges Staatsoberhaupt verdient das, was den Rechtsstaat auszeichnet: Grundrechtsschutz durch Verfahren.

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