Prozess wegen angeblicher Bestechlichkeit:Spurensuche im Bayerischen Hof

Christian Wulff

Christian Wulff in Hannover (Archivbild von Mai dieses Jahres)

(Foto: Getty Images)

Es geht um 759 Euro, um Freundschaften und Zimmerpreise. Die Verteidiger des früheren Bundespräsidenten Wulff kämpfen dafür, dass es nicht zu einem Hauptverfahren kommt. Das letzte Wort hat ein Richter, der schon mal einem alkoholkranken Zeugen einen Schluck Schnaps erlaubte.

Von Hans Leyendecker

Seit drei Jahren ist Frank Rosenow, 54, Vorsitzender Richter der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Hannover; von seinen Entscheidungen hat die Republik bislang kaum mal Notiz genommen: Die Verhandlung über die Messerstecherei in der Obdachlosenszene am Hauptgüterbahnhof im vorigen Jahr beispielsweise interessierte draußen kaum jemanden.

Allenfalls ins Vermischte der Zeitungen gelangte die Meldung, Richter Rosenow habe dem alkoholkranken Opfer, das im Zeugenstand sichtlich unter Entzugserscheinungen litt, an einer Bude Weinbrand besorgen lassen und im Richterzimmer einen Beruhigungsschluck erlaubt - was aber auch nicht so richtig half. Am Ende wurde der Angeklagte wegen versuchten Mordes zu sieben Monaten Haft verurteilt. "Zeuge erhielt Schnaps vom Richter" titelten die Schaumburger Nachrichten - das klang ziemlich ungewöhnlich.

Ob dieser Richter im Prozess pragmatisch, gründlich, ob er nachsichtig, lebensnah oder gar unorthodox vorgeht, kann zur Spitzennachricht in der Tagesschau werden. Jedenfalls kennt Rosenow das Leben. Seit gut drei Monaten prüfen er und seine Kollegen die Frage, ob die Strafkammer dem ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff und dem Filmproduzenten David Groenewold den Prozess wegen angeblicher Bestechung und angeblicher Bestechlichkeit machen wird oder nicht. Bei Groenewold kommt noch der Vorwurf der angeblich falschen eidesstattlichen Versicherung hinzu.

Wulff und Groenewold lehnen Einstellung des Verfahrens ab

Eröffnet die Kammer oder eröffnet sie nicht? Rosenow ist noch im Urlaub, die Entscheidung im sogenannten Zwischenverfahren wird für den August erwartet. Im April, als das Zwischenverfahren begann, teilte Rosenow den Verfahrensbeteiligten mit, für den Fall der Eröffnung der Hauptverhandlung seien 13 Verhandlungstage zwischen dem 25. September und dem 21. November vorgesehen und dann werde - bis auf Weiteres - montags verhandelt. Derzeit ist eher davon auszugehen, dass der Prozess, wenn er denn wirklich stattfinden sollte, im November beginnen wird, und ob es wirklich so viele Verhandlungstage brauchen wird, ist zweifelhaft.

An den Ausgangspunkten hat sich nichts geändert: Immer noch geht es um 759,30 Euro, die angeblich Groenewold im Jahr 2008 auf unterschiedliche Weise Wulff zugute kommen ließ, um angeblich Vorteile davon zu haben: Ein angeblich gesponsertes Abendessen, Kosten für einen Babysitter, Übernachtung im Bayerischen Hof. Für einen Obdachlosen sind fast 760 Euro sehr viel Geld, aber für einen hochrangigen Politiker auch?

Wulff und Groenewold hatten Anfang April die von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagene Einstellung des Verfahrens nach Paragraf 153 a der Strafprozessordnung gegen Zahlung von Geldauflagen - Wulff (20.000 Euro), Groenewold (30.000 Euro) - abgelehnt. Am 11. April legte die Staatsanwaltschaft eine 79-seitige Anklage vor. Die Akten, die dann Richter Rosenow und seine Kollegen von der 2. Großen Strafkammer erhielten, füllen mehr als 20.000 Seiten, und weil die Richter bei einer ersten Aktendurchsicht meinten, nicht alles vollständig bekommen zu haben, mahnten sie noch mehr Material an.

Ein Kriminalhauptkommissar brachte dann noch ein paar Unterlagen vorbei, die eigentlich mit der Anklage nichts zu tun haben. Die Staatsanwaltschaft Hannover schrieb ein paar Zeilen über den "formellen Aktenbegriff" aus Sicht des Bundesgerichtshofs, ein digitales Aktendoppel wurde erstellt.

Kommt es auch zum Prozess?

Die Verteidiger von Wulff und Groenewold legten im Juni der Kammer umfangreiche Stellungnahmen vor und beantragten, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen. Die Stellungnahme der Groenewold-Verteidiger umfasst 35 Seiten. Ein Bonner Wulff-Verteidiger begründete die Forderung auf Nichteröffnung des Hauptverfahrens auf 65 Seiten, ein Mitverteidiger aus Hannover schrieb weitere 37 Seiten. Er kam zu dem Ergebnis, das Hauptverfahren sei "ohne Wenn und Aber" und zur Vermeidung "weiterer, völlig außerhalb aller Verhältnismäßigkeit stehenden Schäden" für den Bundespräsidenten a. D. nicht zu eröffnen.

Die Argumente der Verteidiger unterscheiden sich nur in Details von den Stellungnahmen in dem Ermittlungsverfahren. Es geht um die Frage, wie eng befreundet Groenewold und Wulff waren oder nicht, um angeblichen "Interessenlobbyismus" und um "Buchungshistorie" bei Hotel-Aufenthalten.

Uneinigkeit über Hotelpreise

Groenewold hatte im Verfahren erklärt, er habe im Bayerischen Hof zu München eine durchschnittliche Rate von 250 Euro gehabt (was für die Anklage im Fall Wulff irgendwie von Bedeutung ist). Die Staatsanwaltschaft meinte anhand von insgesamt zwölf Buchungen zwischen 2006 und 2008 nachweisen zu können, dass diese Angabe falsch sei. Der Mittelwert liege, so steht es in der Anklage auf Seite 44 ff, bei 377 Euro. Die Verteidigung wiederum hält das für falsch, weil aus Suiten und Doppelzimmern ein Mittelwert gebildet worden sei. Sie hat 39 Buchungen zwischen 2005 und 2011 ausgewertet (was wirklich Historienforschung ist) und 276,63 Euro im Schnitt ausgerechnet.

Für Rosenow stellt sich weiterhin die Frage, ob er ein solches Verfahren eröffnen soll oder nicht. Normal wäre die Eröffnung schon. In den allermeisten Fällen führen Anklagen zu Prozessen. Wenn er nicht eröffnen sollte, steht zu erwarten, dass die Staatsanwaltschaft mit einer Beschwerde zum Oberlandesgericht zieht, und dann würde der Fall womöglich andernorts verhandelt. Das wäre schade - wegen des einfühlsamen und netten Richters Rosenow.

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