Prozess gegen Hosni Mubarak:Auf der Suche nach Beweisen

Ägypten wartet auf das Urteil gegen Ex-Präsident Mubarak - doch der Ausgang des Prozesses ist ungewiss. Obwohl die Verbrechen während der Revolution gewissermaßen vor den Augen der Welt geschahen, erweist sich die Beweisführung als erstaunlich schwierig.

Sonja Zekri, Kairo

Mitten in all dem Schmerz und dem Aufruhr schlug der Tote die Augen auf. Osama Ahmed lag im Kühlraum eines Krankenhauses in Kairo, gestorben durch eine Kugel in den Rücken beim Marsch zum Tahrir-Platz am 28. Januar im vergangenen Jahr. "Die Kinder schrien, aber ich habe sie hinausgeschickt und ihn umarmt, ein letztes Mal", sagt Soha Abdelhamid: "Es war, als schliefe er."

Hosni Mubarak

Mubarak steht nicht allein vor Gericht. Sein ehemaliger Innenminister Habib al-Adli und sechs Polizeioffiziere müssen sich wegen Mittäterschaft in Morden an fast 900 Aufständischen verantworten.

(Foto: AP)

Seitdem ist jeder Geburtstag eine Qual, die Trauer der Kinder, die Geldsorgen, die sie nicht kannte, als das Immobilienunternehmen ihres Mannes noch florierte. Seitdem liegen Soha, 42, die Waisen der Revolution am Herzen, die sie gern zur Erholung ins Ausland schicken würde. Seitdem fragt sie sich, wer dafür bezahlt.

An diesem Samstag wird sie es vielleicht erfahren. Dann soll das Urteil gegen Ex-Präsident Hosni Mubarak fallen. "Natürlich wünsche ich mir, dass er gehenkt wird. Man könnte ihn auch im Zoo ausstellen - als Warnung", sagt sie. Aber sie fürchtet ein mildes Urteil. "Dies wird ein schwerer Tag."

Bei einem Freispruch wird sie weiterklagen, bis nach Straßburg, das schwört sie. In jedem Fall wird sie morgen - wie an jedem Prozesstag - dort sein, vor den Toren der Polizei-Akademie, die einst den Namen Mubaraks trug und dann der Schauplatz einer historischen Demütigung wurde: Der Herrscher über Ägypten, "der Mutter der Welt", wie Soha ihr Land mit einem alten Wort nennt, einer der einflussreichsten Männer der Region, in Ohnmachtspose auf einer Krankenhausliege in einem Käfig. Um dies zu erleben, wird sie wieder in der gleißenden Sonne stehen. In den Saal kommen nur wenige Opfer; nicht mal alle Anwälte.

Fassungslosigkeit bei den Ägyptern

Mubarak steht ja nicht allein vor Gericht. Sein ehemaliger Innenminister Habib al-Adli und sechs Polizeioffiziere müssen sich wegen Mittäterschaft in Morden an fast 900 Aufständischen verantworten.

Mubarak und seinen Söhnen Alaa und Gamal wird zudem Korruption vorgeworfen: Sie sollen fünf Villen in Scharm el-Scheich von einem Geschäftsfreund, Hussein Salem, als Bestechung für lukrative Immobiliengeschäfte erhalten haben. Mubarak und Salem, um dessen Auslieferung aus Spanien sich Ägypten bemüht, sind angeklagt, öffentliche Gelder verschleudert zu haben, weil sie Gas zu billig an Israel verkauft haben.

Neun Monate dauerte der Prozess, anfangs vor einem fassungslosen Publikum im Fernsehen übertragen, dann aber auf Entscheidung des weithin respektierten Richters Ahmed Refaat hinter verschlossenen Türen. Vieles drang doch nach draußen, und es machte Menschen wie Soha wenig Hoffnung: Dass zwar 1600 Zeugen gehört wurden und eine kleine Bibliothek an Dokumenten zusammengetragen wurden, aber die Sicherheitskräfte unkooperativ waren. Dass ein Offizier wegen Vernichtung von Beweismaterial verurteilt wurde, dass viele Kamera-Aufzeichnungen nicht auffindbar waren. Dass zwar Mubaraks Weg- und Kampfgenossen in geschlossener Verhandlung ausgesagt haben - aber ihren alten Chef offenbar entlastet haben.

Forderung nach der Todesstrafe

Mohamed Hussein Tantawi, Mubaraks Verteidigungsminister und als Chef des Obersten Militärrats derzeit Herrscher über Ägypten, soll bestritten haben, dass Mubarak den Schießbefehl gegeben hat. Der Generalstaatsanwalt wurde von dem Mann eingesetzt, gegen den er jetzt Anklage erhebt - und, zugegeben, die Todesstrafe fordert.

Es gab kurze Anhörungen, große Pausen und ein überstürztes Ende. In einem Verbrechen, das gewissermaßen vor den Augen der Welt geschah, erwies sich die Beweisführung als erstaunlich schwierig. Kein Telefonmitschnitt, keine Aussage, kein Dokument hat bewiesen, dass Mubarak den Schießbefehl gegeben hat.

Sohas Anwalt macht der Verzweifelten dennoch Mut: "Wir haben bei weitem nicht alle Beweise bringen können, die wir zeigen wollten, aber ich habe alle 12.000 Seiten der Prozessunterlagen gelesen: Alles spricht gegen Mubarak." Allein der Präsident als Oberbefehlshaber der Armee und der Sicherheitskräfte habe das Vorgehen anordnen können - oder er habe es zumindest zu verantworten.

Hossam Eissa, Jura-Professor an der Ain-Shams-Universität, geht sogar noch weiter: Mubarak habe gewusst, dass die Polizei scharf schießt, er habe in einer Rede ja sogar die "Märtyrer" gegrüßt und sich bereits schuldig gemacht, indem er als Verantwortlicher dem Töten nicht Einhalt gebot: Schuldig durch Unterlassung.

Erbärmliches Bild der Opfer-Anwälte

Dieses Argument aber haben weder die Anklage noch die Opferanwälte hinreichend entwickelt. Auch hätte man jenen Zeugen fragen können, der nach dem archaischen Angriff der Kamelreiter auf den Tahrir-Platz von einem Treffen der Drahtzieher berichtete - im Beisein von Gamal Mubarak, der mit seinem Vater telefonierte. Stattdessen aber hätten vor allem die Anwälte der Opfer ein erbärmliches Bild abgegeben, sagt Eissa: "Wir haben ihnen geraten, ihr Anliegen geordneter vorzutragen. Aber vor allem die jungen Anwälte wollten sich zeigen. Alle haben durcheinander geschrien. Es war eine Katastrophe."

Wird der Richter nun überhaupt das Urteil verlesen? "Die Chancen stehen 50:50", sagt Eissa. Angesichts der gereizten Stimmung wegen der Präsidentschaftswahl sei eine Verschiebung denkbar. Mitte Juni treten Mohamed Mursi, der Kandidat der Muslimbrüder, und Ahmed Schafik, Mubaraks letzter Premier, in einer Stichwahl gegeneinander an. Ein Sieg Schafiks aber gilt vielen als "Mubarak 2.0", als Rückkehr des verhassten Systems.

Die Zeitung Al-Watan schreibt unter Berufung auf nicht nachprüfbare Quellen, wie Mubarak sich im Arrest in seinem Luxuskrankenhaus über die Kandidaten lustig macht: "Die würden selbst einen Zigarettenkiosk ruinieren!" Einzig Schafik genießt seinen Respekt. Mubarak, so Jurist Eissam, "ist ein Insekt." Wichtiger als der Prozess sei der Kampf gegen die "neuen Mubaraks."

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