Prozess in München:Zeugen brechen in Tränen aus

Am zweiten Tag des Demjanjuk-Verfahrens berichten Angehörige über die Schicksale ermordeter Juden. Der mutmaßliche Kriegsverbrecher liegt, schweigt - und betet.

Alexander Krug

Mit der Anhörung der ersten fünf von 22 anwesenden Nebenklägern hat das Schwurgericht München II am Dienstag den Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk, 89, fortgesetzt. Unter Tränen berichtete ein heute 70-jähriger Zeuge vom Schicksal seiner Familie, die in Sobibor und Auschwitz vergast wurde.

John Demjanjuk, AP

Der 89-jährige John Demjanjuk wird liegend in den Münchner Gerichtssaal gebracht. Er soll an der Ermordung tausender Juden beteiligt gewesen sein.

(Foto: Foto: AP)

Die Mutter hatte während ihrer Deportation vom "Judendurchgangslager" Westerbork in den Niederlanden nach Sobibor noch einen Brief aus dem Zug geworfen, den der Sohn später erhielt. Als er die wenigen Zeilen verlesen wollte, brach der Zeuge weinend zusammen.

Grausamkeit und Heimtücke

Eine ebenfalls 70-jährige Frau aus Amsterdam erzählte, dass sie erst Jahre später von der Vergasung ihrer Eltern in Sobibor erfahren habe. "Ich habe an niemanden eine Erinnerung", sagte die Vollwaise. Sie selbst hatte wie viele andere Nebenkläger auch nur deshalb überlebt, weil die Eltern ihre Kinder damals bei Freunden und Bekannten versteckt hatten.

Am Vormittag hatte Verteidiger Ulrich Busch erklärt, sein Mandant wolle sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Demjanjuk ist angeklagt wegen Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden im NS-Vernichtungslager Sobibor.

Als "fremdvölkischer" Wachmann soll der gebürtige Ukrainer zwischen März und September 1943 Juden aus ankommenden Transporten in die Todeskammern getrieben haben. In der Anklage der Staatsanwaltschaft, die mit Verzögerung erst am Dienstag vorgetragen wurde, ist von insgesamt 15 Zügen aus den Niederlanden die Rede. Demjanjuk werden Grausamkeit, Heimtücke und niedrige Beweggründe vorgeworfen. Er habe "bereitwillig" an der Tötung der Juden teilgenommen und dabei den "Rassevernichtungswillen der NS-Ideologie in sich aufgenommen".

Der Angeklagte betet

Demjanjuk wurde wie am Tag zuvor auf einer Trage und in eine Decke gehüllt in den Gerichtssaal geschoben. Er verfolgt den Prozess mittlerweile nur noch im Liegen. Während der Ausführungen seines Anwaltes murmelte er etwas und bekreuzigte sich. Auf Nachfrage der Richter erklärte die Dolmetscherin: "Er betet."

Verteidiger Busch stellte erneut mehrere Anträge. Unter anderem forderte er die Einstellung des Verfahrens, weil Demjanjuk aus den USA "zwangsdeportiert" worden sei und er bereits in Israel sieben Jahre inhaftiert gewesen sei. Außerdem könne kein deutsches Strafrecht angewendet werden.

Die Staatsanwaltschaft argumentiert, Demjanjuk sei als von der SS ausgebildeter Wachmann "Träger eines deutschen staatlichen Amtes" gewesen. Ulrich Busch hielt dem entgegen, dass SS-Angehörige niemals Amtsträger gewesen seien, sondern "ausschließlich soldatischen Status" besessen hätten. Der Prozess wird am Mittwoch mit der Anhörung der Nebenkläger fortgesetzt.

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