Prozess in München:Hat ein V-Mann den NSU radikalisiert?

Überraschung im NSU-Prozess: Wenn Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mit Weggefährten über den Einsatz von Gewalt diskutierten, war ein V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes dabei. Das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass Tino Brandt zu denen gehörte, die Gewalt befürworteten.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger

Möglicherweise hat ein V-Mann des Verfassungsschutzes die Mitglieder des NSU überhaupt erst in die Gewalt getrieben. Wie nun überraschend im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht in München bekannt wurde, hat Tino Brandt, der langjährige V-Mann des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz in der rechten Szene, mitdiskutiert, wenn Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mit ihren Weggefährten in den neunziger Jahren darüber redeten, ob man Gewalt anwenden müsse oder nicht. Das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass Brandt zu denen gehörte, die Gewalt befürworteten.

Bisher war nur bekannt gewesen, dass es solche Diskussionen zwischen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt auf der einen und dem früheren NPD-Funktionär Ralf Wohlleben und dem wegen Beihilfe angeklagten Holger G. auf der anderen Seite gab. Dass Brandt bei diesen Debatten dabei war, davon war bisher nie die Rede gewesen. Ein BKA-Beamter sagte nun vor Gericht: "Wir sind davon ausgegangen, dass Tino Brandt auf der Seite der Gewalt war."

Holger G. habe immer nur betont, wer nicht für Gewalt gewesen sei - nämlich er selbst und der Mitangeklagte Wohlleben. Die anderen seien für Gewalt gewesen. Im Umkehrschluss ging das BKA davon aus, dass Brandt auch zu denen gehörte, die Gewalt befürworteten.

Herausgearbeitet hat diesen Zusammenhang die Anwältin von Ralf Wohlleben. Der Verteidigung ist daran gelegen, den Einfluss des Staates auf die Szene deutlich zu machen. Brandt gilt dabei als Dreh- und Angelpunkt. Er hat quasi im Auftrag des Staates den Thüringer Heimatschutz, ein rechtsradikales Sammelbecken, gegründet - und sich damit gebrüstet, seinen Spitzellohn für den Aufbau rechter Netzwerke verwendet zu haben.

Wenn er nun auch noch zur Radikalisierung der mutmaßlichen NSU-Mitglieder beigetragen hat, könnte sich das auf die Bewertung der Schuld der Angeklagten und auf das Strafmaß auswirken.

Bundesanwalt Herbert Diemer bestätigte am Abend am Rande des Prozesses, dass es eine Stelle in den Vernehmungen von Holger G. gibt, wo der Angeklagte darauf hinweist, dass der später als V-Mann enttarnte Brandt bei den Theoriedebatten des rechten Zirkels über Gewalt dabei war. Allerdings wertete die Bundesanwaltschaft diesen Hinweis nicht als Beitrag des V-Manns zur Radikalisierung der Gruppe. "Nach unseren bisherigen Ermittlungen gib es keine Anhaltspunkte, dass Brandt die drei radikalisiert oder unterstützt hat. Wäre es so, dann säße er hier auf der Anklagebank", sagte Bundesanwalt Diemer.

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