Prozess in Berlin:Terrorverdächtiger will gegen IS gekämpft haben

Prozess gegen IS-Terrorverdächtigen

Shaas al-M. verbirgt sich im Gerichtssaal vor den Kameras.

(Foto: dpa)
  • In Berlin steht der Terrorverdächtige Shaas al-M. vor Gericht, der der IS-Terrormiliz angehören soll.
  • Er soll mögliche Terrorziele in Berlin ausgespäht haben, darunter den Alexanderplatz und das Gebiet um den Bundestag.
  • Seine Anwälte behaupten aber, al-M. gehöre nicht dem IS an, sondern habe gegen ihn gekämpft.

Aus dem Gericht von Antonie Rietzschel, Berlin

Auf dem Breitscheidplatz liegen immer noch Blumen, Unbekannte haben Kerzen angezündet. Sie erinnern an die zwölf Opfer des Terroranschlags, die starben, als der Tunesier Anis Amri einen Lkw auf den Weihnachtsmarkt an der Wilhelm-Gedächtniskirche steuerte. Dutzende wurden verletzt. Mehr als zwei Wochen ist das nun her - und die Ermittlungspannen, die dem Anschlag vorausgingen, werden immer offensichtlicher.

Im Fall von Shaas al-M. scheint es, die Behörden hätten alles richtig gemacht. Der Syrer steht in Berlin wegen Terrorverdachts vor Gericht, nachdem er im März 2016 in Brandenburg festgenommen worden war. Offensichtlich konnte damit Schlimmeres verhindert werden. Denn al-M. war aus Sicht der Behörden bereit, selbst Terroranschläge zu begehen. Von ihm selbst ist am ersten Prozesstag nur so viel zu erfahren: Dass er am Vortag 20 Jahre alt wurde und, dass er verheiratet ist. Zu den Vorwürfen will er sich nicht äußern: Al-M. soll Mitglied der Terrororganisation "Islamischer Staat" gewesen zu sein und mögliche Anschlagsziele in Berlin ausgespäht haben. Darunter den Alexanderplatz, das Brandenburger Tor sowie den Reichstag. Einem Kontaktmann meldete der Syrer offenbar, wie viele Personen und Reisebusse sich zu welcher Zeit an den Orten befunden haben.

2015 als Flüchtling nach Deutschland gekommen

Nach der Festnahme im März stellten die Ermittler mehrere Mobiltelefone und SD-Speicherkarten sicher. Darauf fanden sich Zehntausende Nachrichten, Fotos und Videos, die al-M. belasteten. Im Oktober 2016 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage.

Shaas al-M. stammt aus einem Ort in der Nähe der syrischen Stadt Deir ez-Zor. Der Anklageschrift zufolge soll ihn ein Imam Mitte 2013 für die Terrororganisation angeworben haben. Al-M. begann demnach zunächst eine Ausbildung als Kämpfer, die er jedoch abbrach. Den Ermittlern zufolge half er schließlich bei der Belagerung eines Flughafens, übernahm mehrmals in der Woche Wachdienste. Auch bei der Einkesselung von Deir ez-Zor soll er zum Jahreswechsel 2013/2014 mitgeholfen und den IS mit Lebensmitteln versorgt haben. So begleitete er einen Kommandanten regelmäßig bei Transporten.

Im Sommer 2015 kam al-M. als Flüchtling nach Deutschland. Im August spähte er nach Ansicht der Ermittler mögliche Terrorziele aus. Ende Januar 2016 soll er gegenüber seiner Kontaktperson signalisiert haben, wieder nach Syrien zurückkehren zu wollen. Doch Anfang März änderten sich die Pläne: In einem Chat schrieb al-M., er sei bereit als Kundschafter in Deutschland zu bleiben.

Anwälte: Al-M ist kein Terrorist

Während die Anklageschrift verlesen wird, sitzt Shaas al-M. nach vorn gebeugt und mit gesenktem Kopf hinter einer Glaswand. Konzentriert hört er auf die Stimme seines Dolmetschers. Seine Anwälte hatten zu Beginn des Prozesses versucht, die Öffentlichkeit auszuschließen. Doch das Gericht schloss sich dem Generalbundesanwalt an. Das Interesse der Öffentlichkeit überwiege, besonders nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz.

Schließlich überrascht die Verteidigung mit einer Beweisaufnahme. Die Anwälte bestreiten, dass ihr Mandant Mitglied des "Islamischen Staats" gewesen sein soll. Der angebliche Kommandant, den al-M. zu Lebensmitteltransporten begleitet haben soll, sei zum damaligen Zeitpunkt bereits tot gewesen. Der Angeklagte sei kein islamistischer Terrorist. Stattdessen soll er Teil einer Einheit gewesen sein, die gegen den "Islamischen Staat" kämpft - zeitweilig auch auf Seiten der Freien Syrischen Armee. Als der IS das Heimatdorf von al-M. einnahm, soll er sich der Gruppe angeschlossen haben. Einer der Anwälte liest vor Gericht entsprechende Whatsapp-Nachrichten vor, die sein Mandant unter dem Namen "Der das Paradies sucht" geschrieben haben soll. Darin heißt es auch, seine Familie habe ihn gezwungen, nach Europa zu gehen.

Die Anwälte legen verschiedene Beweise, darunter Links zu Youtube-Videos vor, die die Existenz der Gruppe bestätigen sollen. Sowie Medienberichte über den Tod des Kommandanten. Sollte sich der Verdacht bestätigen, müsste der Fall al-M. neu geprüft werden. Denn selbst wenn er nicht Teil der IS-Terrormiliz gewesen wäre: In Deutschland gilt das Kämpfen in "kriminellen und terroristischen Vereinigungen im Ausland" als Straftat. Ob die Organisation, für die al-M. gekämpft haben soll, auch unter diese Definition fällt, ist derzeit offen. Genauso, ob al-M. für etwaige Kampfhandlungen bei der Einkesselung von Deir ez-Zor verantwortlich gemacht werden kann.

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