Prozess:"Ich habe große Liebe für die Dame gehabt"

A woman walks in front of the main railway station in Cologne

Nicht nur vor dem Hauptbahnhof in Köln kam es zum Jahreswechsel zu sexuellen Übergriffen auf Frauen.

(Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)

In Hof wehrt sich ein junger Iraker dagegen, wegen sexueller Nötigung lange in Haft zu müssen . Darf die Justiz ein hartes Exempel statuieren, um kriminelle Zuwanderer zu erziehen?

Von Ulrike Heidenreich, Hof

Die Urteilsbegründung ist ungewöhnlich: "Der Angeklagte kam nach Deutschland, um sich einer Gefährdung seiner Sicherheit in seinem Heimatland zu entziehen und hier das Leben in Freiheit und Sicherheit auszunutzen. Ihm und vergleichbaren Personen muss deshalb deutlich durch eine hohe Strafe vor Augen geführt werden, dass das Leben in Freiheit und Sicherheit auch beinhaltet, dass man keine anderen Rechtsgüter verletzt, insbesondere sich an die ethischen Werte in seinem Gastland hält."

Darawan J., 22 Jahre alt, Iraker, hat sich nicht an die ethischen Werte gehalten. Diese Urteilsbegründung des Amtsgerichts Hof vom April mündete denn auch in eine Strafe, die hoch und heftig ausfällt: drei Jahre und sechs Monate Haft wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung. Schmächtig und klein, in Gefängniskleidung, mit Fußfesseln, kommt J. an diesem Freitag in das Landgericht Hof. In der zweiten Instanz soll nun untersucht werden, ob die Justiz da vielleicht ein Exempel statuiert hat - an einem Fall, der dies nicht wirklich hergibt.

Das Opfer vermeidet, nachts aus dem Haus zu gehen und schläft schlecht

Es sind Erkundungen auf einem Terrain, auf dem eine Frau tiefste Demütigung, Angst und Hilflosigkeit erlebt hat. Ein Terrain, auf dem die Tat und die (juristischen) Tatfolgen weit auseinanderklaffen könnten. Unter dem Eindruck der Silvester-Übergriffe in Köln sei die Strafe "exorbitant und unverhältnismäßig zu hoch ausgefallen", sagt Jürgen Schmidt, Rechtsanwalt aus Hof und Pflichtverteidiger des Irakers, der Berufung eingelegt hat.

Was war geschehen am frühen Morgen des 1. Januar 2016, in der Ottostraße in Hof? Zur Berufungsverhandlung hat Richter Bernhard Heim alle Zeugen geladen, es erfolgt erneut eine Beweisaufnahme. Auch Nicole E., 30, das Opfer von Darawan J., muss im Gerichtssaal erscheinen. Wenigstens intensives Nachfragen bleibt der kaufmännischen Angestellten erspart - der Täter hat ein Geständnis abgelegt.

Darawan J. hat Silvester gefeiert, hat offenbar Alkohol getrunken. Er spricht Nicole E. nahe dem Hofbad an, verfolgt sie. Von hinten packt er ihre linke Schulter. Als sie versucht, sich dem Griff zu entreißen, presst er seine Hand vor ihren Mund und ihre Nase. Sie bekommt akute Atemnot, hält angstvoll die Hände nach oben, geht in die Knie. Als er den Griff lockert, schreit sie laut um Hilfe. Dreimal versucht sie wegzulaufen. Nach wenigen Schritten holt er sie ein, drückt sie gegen eine Hauswand. Mit der Faust schlägt er in Richtung ihres Kopfes, sie dreht sich gerade noch weg. Über ihre linke Schulter greift er unter Jacke und BH, drückt fest zu. Gleichzeitig reibt er seine Hand an ihrem Schritt, führt Stoßbewegungen aus und stöhnt. Als er Schritte hört, ergreift er die Flucht. Er wird später festgenommen.

Nicole E. bleibt zurück mit Prellungen und Schmerzen. Diese sind inzwischen verheilt - die Ängste sind geblieben: Sie geht nach Möglichkeit nachts nicht mehr aus, sie meidet fremde Personen, schläft schlecht. "Am Anfang war mir jeder Körperkontakt unmöglich, ich konnte noch nicht einmal Freunde umarmen", sagt sie. Einmal habe sie sogar eine Panikattacke am Arbeitsplatz gehabt, erzählt sie am Freitag: "Ich weiß, dass das irrational ist, denn eigentlich bin ich da ja in Sicherheit." - "So ungewöhnlich ist das nicht, nach dem, was sie erlebt haben", antwortet Richter Heim.

"Aufgrund der Vielzahl vergleichbarer Fälle in der Silvesternacht ist (...) auch insbesondere eine hohe Strafe festzusetzen, um in Zukunft vor vergleichbaren Taten abzuschrecken." Es gibt weitere Passagen, die nicht so alltäglich sind in Urteilsbegründungen deutscher Gerichte. "Außerdem ist straffreies Verhalten das normale, zumal der Angeklagte nach Deutschland kam, um hier in Sicherheit leben zu können", formuliert das Amtsgericht. Der Iraker war im September 2015 geflüchtet.

Wegen sexueller Übergriffe in der Silvesternacht sind bislang bundesweit vier Männer verurteilt worden: In Düsseldorf ein Marokkaner, 33, wegen "sexueller Beleidigung", sogenannten Begrapschens. Er bekam eine Haftstrafe von 19 Monaten, weil er noch eine andere Strafe auf Bewährung offen hatte. Ein Jahr und neun Monate Haft erhielt ein Iraker, 21, der auf dem Schlossplatz in Stuttgart zwei Frauen sexuell belästigt hatte. In Köln wurde Anfang Juli ein Iraker, 21, wegen sexueller Nötigung zu einem Jahr Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. Und ein Algerier, 26, wegen Beihilfe zur sexuellen Nötigung zu einem Jahr Haft auf Bewährung.

"Es ist keine Frage, dass mein Mandant eine Sauerei begangen hat", sagt der Verteidiger

In Hof war das Schöffengericht über die Forderung des Staatsanwalts hinausgegangen, der drei Jahre Haft für angemessen hielt. Verteidiger Schmidt hatte nur eine Bewährungsstrafe gefordert. "Es ist keine Frage, dass mein Mandant eine Sauerei begangen hat. Ich will das Delikt nicht verharmlosen, aber man muss für die Tat eine schuldgerechte Strafe finden."

In Köln war einer der Verurteilten zu einem Integrationskurs verdonnert worden - wegen seiner "Defizite bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau". In Hof scheint auch der Angeklagte Darawan J. nicht ganz zu durchdringen, was genau schieflief. Er hat lediglich die Grundschule im Irak besucht, keine Ausbildung, keinen Beruf. Sein Dialog mit dem Richter, per Dolmetscherin: Darawan J.: "Ich habe große Liebe für die Dame gehabt. Aber sie hat mich nicht verstanden." Richter: "War Ihnen klar, dass Frau E. keine sexuellen Handlungen durchführen wollte?" Darawan J.: "Ich habe erst gefragt, ob wir Liebe als Mann und Frau machen können. Bis heute leide ich." Richter: "Können Sie sich vorstellen, dass die Dame auch leidet?" Darawan J.: "Ja."

Anwalt Schmidt hatte zuvor eine formvollendetere Erklärung verlesen: Seinem Mandanten tue die Tat sehr leid und er schäme sich. Er könne "dem Gericht und dem deutschen Volk versichern, so etwas nie wieder zu machen". Die Hauptverhandlung in Hof wird am 25. Juli fortgesetzt.

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