Prozess gegen John Demjanjuk:Die Welt auf 147 Plätzen

Wenn der wohl letzte große Shoah-Prozess auf deutschem Boden beginnt, wird es eng zugehen. Der Saal für die Verhandlung gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher Demjanjuk ist viel zu klein.

Heribert Prantl

Kosmos ist das alte griechische Wort für Ordnung. Der ordentlichste Kosmos in Deutschland ist das Gericht. Hier zieht die Gerechtigkeit auf Aktenwagen ihre Bahnen und die Hüter der Ordnung tragen schwarze Roben und schwere Gesetzbücher, in denen alles, was die Ordnung betrifft, penibel aufgeschrieben ist. Im Paragraphen 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes heißt es beispielsweise: Die Verhandlung "ist öffentlich". Es steht aber leider nicht da, wie öffentlich sie sein muss - wie viel Platz also der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden muss. Deshalb wird aus dem Kosmos bei großen Prozessen ein Chaos: Wenn nur 40 Plätze da sind, aber 500 Leute in den Gerichtssaal wollen, spielen sich Szenen ab, die mit der Würde des Gerichts wenig zu tun haben.

Prozess gegen John Demjanjuk: Wenn am Montag der Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk im Strafjustizzentrum in München beginnt, werden viele Zuhörer in drangvoller Enge im Saal herumstehen.

Wenn am Montag der Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk im Strafjustizzentrum in München beginnt, werden viele Zuhörer in drangvoller Enge im Saal herumstehen.

(Foto: Foto: AP)

An diesem Montag wird es besonders unwürdig zugehen: Die Justiz hat es versäumt sich darauf vorzubereiten, dass Öffentlichkeit in besonderen Fällen die Weltöffentlichkeit sein kann. Im Strafjustizzentrum München beginnt in drangvoller Enge der wohl letzte große Shoah-Prozess auf deutschem Boden. Verhandelt wird gegen den 89-jährigen John Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord in 27.900 Fällen. Demjanjuk soll 1943 Wachmann im Vernichtungslager Sobibor gewesen sein.

Es haben sich vorab 211 Journalisten aus der ganzen Welt akkreditieren lassen, Zuschauer aus den USA, Israel und den Niederlanden haben ihr Kommen angekündigt, darunter wohl auch Angehörige von Opfern. 40 Nebenkläger sind zugelassen. Aber der große Saal des Schwurgerichts, beide Ebenen zusammengezählt, hat nur 147 Plätze; die untere Ebene, mit 68 Plätzen, ist für die Journalisten reserviert, es wird also auch dort nur ein Drittel der Berichterstatter Platz finden. Film- und Videoübertragungen in andere Räume, die Erleichterung schaffen könnten, sind per Gesetz verboten. An zahlreichen Sitzungstagen soll gar in einem Saal mit nur 40 Stühlen verhandelt werden. Es gebe, heißt es, keine größeren Sitzungssäle.

Besonderes öffentliches Interesse

Indes: Dieser Prozess wird im besonderen öffentlichen Interesse geführt, also muss auch das besondere, das weltweite Interesse daran berücksichtigt werden. Natürlich gab und gibt es auch in anderen aufsehenerregenden Verfahren Platzprobleme: beim Prozess gegen die Mörder des Schauspielers Walter Sedlmayr etwa oder beim Strafverfahren gegen die DDR-Spitzenpolitiker Erich Honecker und Erich Mielke im Schwurgerichtssaal des Gerichts von Berlin-Moabit - da musste man sechs Stunden vorher da sein, wenn man einen Platz bekommen wollte. Wenn man damals, 1992, um 3.40 Uhr morgens eintraf, bekam man Platzziffer 15 in der Warteschlange.

Natürlich darf aus einem Prozess nicht durch gezielte Öffentlichkeitserweiterung ein Spektakel gemacht werden. Es wäre also falsch, irgendeinen spektakulären Kriminalfall nur des Aufsehens wegen in eine Stadthalle zu verlegen. Der Demjanjuk-Prozess wird aber deswegen zum Spektakel, weil es viel zu wenig Platz gibt. Es geht auch nicht um irgendeinen spektakulären Kriminalfall; es geht um die Aufklärung eines Menschheitsverbrechens. Dies unter den Augen einer möglichst großen Öffentlichkeit zu tun, ist nicht ungebührlich, sondern geboten.

Zwar sagt die Rechtsprechung, der Zutritt müsse "nur nach Maßgabe der räumlichen Möglichkeiten und der örtlichen Verhältnisse gewährt werden". Die Verhältnisse in München sind aber durchaus so, dass sich geeignete Verhandlungssäle finden lassen. Das Gericht muss sich darum kümmern.

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