Prozess gegen Ex-RAF-Terroristin Verena Becker:Die es wissen, schweigen

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Wilde Spekulationen, verunsicherte Zeugen, Gerüchte von Wichtigtuern aus der RAF-Szene: Das Oberlandesgericht Stuttgart müht sich seit Monaten, Verena Beckers Beteiligung am Mord von Siegfried Buback zu klären. Doch der Kernfrage, ob die Ex-RAF-Terroristin tatsächlich geschossen hat, ist man kaum nähergekommen.

Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Sache mit der Pizza war wohl nicht wichtig, aber trotzdem hätte Hermann Wieland den Pizzabäcker gern als Zeugen vernommen. Zur Frage, an wen er drei Pizzen verkauft hat, damals, vor dem Anschlag vom Gründonnerstag 1977. Ob der Käufer tatsächlich Knut Folkerts ähnelte, also dem Mann, der später wegen der Morde an Siegfried Buback und seinen beiden Begleitern verurteilt wurde. Aber der Zeuge hatte den Termin vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart versäumt. Später meldete er sich aus Sizilien, um vielleicht doch noch zur Identifizierung eines Kunden beizutragen, der vor fast dreieinhalb Jahrzehnten in seinem Laden war.

Seit gut zehn Monaten leitet der OLG-Senatsvorsitzende Wieland den Prozess gegen die einstige RAF-Terroristin Verena Becker, und eines muss man ihm lassen: Er dreht jeden Stein um, in der Hoffnung, noch ein Mosaikstück zu finden, mit dem sich ein neues Bild vom Anschlag auf den Generalbundesanwalt zusammensetzen lässt. Doch der Kernfrage - ob die inzwischen 59-jährige Becker an den Morden beteiligt war - ist das OLG nicht entscheidend nähergekommen.

Das gilt vor allem für die These des Nebenklägers Michael Buback, eine Frau habe vom Sozius einer Suzuki die tödlichen Schüsse auf seinen Vater abgefeuert - wahrscheinlich Becker. Belege oder auch nur handfeste Indizien dafür fehlen bis heute. Zeugen, die eine zierliche Person - vermutlich eine Frau - auf dem Sozius gesehen haben wollen, gab es zwar immer wieder, doch den meisten schien das wankelmütige Gedächtnis einen Streich zu spielen. So beschrieb vor Wochen ein pensionierter Studiendirektor, das spätere Tatmotorrad sei am Tag vor dem Anschlag vor seinem Wagen zum Stehen gekommen, und zwar nahe dem Bundesverfassungsgericht - an dem gerade Siegfried Buback vorbeiging. Auf dem Beifahrersitz: eine zierliche Frau.

Viele Unwägbarkeiten

Es hätte ein Hinweis auf eine Spähaktion oder auf einen zunächst fehlgeschlagenen Attentatsversuch sein können. Nur hatte der Mann, als die Erinnerung noch frisch war, nichts von einer Frau gesagt: "Aufgrund der außergewöhnlich kurzen Beobachtungszeit sei er nicht in der Lage gewesen, die Motorradbenutzer genau zu beobachten", heißt es in einem Polizeivermerk vom 12. Mai 1977.

Wenig aufschlussreich blieb auch ein Gutachten zur Größe des Beifahrers; Verena Becker ist deutlich kleiner als Knut Folkerts oder Stefan Wisniewski, die als Schützen in Betracht kommen. Vielleicht war er 1,50 Meter, vielleicht auch zwei Meter - einen präziseren Schluss ließen die vielen Unwägbarkeiten nicht zu.

Aufsehen haben in den vergangenen Wochen weitere Aussagen erregt, die auf Becker als Mörderin hinzudeuten schienen. Sieht man genauer hin, entpuppen sie sich als Mutmaßungen oder Räuberpistolen. Etwa der wirre Auftritt des Ex-Terroristen Bommi Baumann: Irgendwie traut er ihr den Mord wohl zu, aber eigentlich weiß er nichts, und er hat sie zuletzt 1972 gesehen. Oder jener Bruchsaler Häftling, dem ausgerechnet sein bekannt verstockter Mitgefangener Christian Klar bei Kaffee und Kuchen gesagt haben soll: "Die Verena war's." Und dann die kolportierte Aussage eines längst verstorbenen RAF-Helfers, dem Becker die Tat gestanden haben soll, obwohl Kenner es für unwahrscheinlich halten, dass er sie je getroffen hat. Geschichten, wie sie ein vielfach medial aufbereitetes Geschehen eben hervorbringt.

Tote Zeugen und Verschwörungstheorien

Auch an diesem Donnerstag wird in Stuttgart ein toter Zeuge eine Rolle spielen - Christian Lochte, einst Chef des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz, gestorben vor 20 Jahren. Er soll einem befreundeten Bild-Reporter unmittelbar nach der Tat zugeraunt haben: "Geballert hat die Sola" - das war Beckers Deckname. So notierte es der schillernde Journalist, der nun vernommen wird, in einem "Erinnerungsprotokoll" im Februar dieses Jahres. Eine Version, die sich auffallend an Bubacks Verschwörungstheorie von der "schützenden Hand" orientiert, die der Staat über die angeblich frühzeitig dem Verfassungsschutz zuarbeitende Becker gehalten habe. Auch für diese These hat der Prozess übrigens bisher nichts erbracht; ein früherer Einsatzleiter des Bundeskriminalamts (BKA) machte vergangene Woche deutlich, dass sich das selbstbewusste BKA nie und nimmer zum Büttel der Verfassungsschützer hätte machen lassen.

Wenn das OLG - vielleicht gegen Ende des Jahres - sein Urteil verkündet, werden alle Wichtigtuer längst wieder in den Rang von Statisten zurückgestuft sein. So dürfte am Ende die Aussage von Peter-Jürgen Boock im Zentrum stehen, der zumindest etwas zu Beckers Beteiligung an den RAF-Planungstreffen im Jahr 1976 sagen konnte. Dass sich daraus eine Mittäterschaft an den Morden ableiten lässt, ist derzeit nicht sehr wahrscheinlich; ob es dem OLG für eine Beihilfe reicht, darauf wird im Moment wohl niemand wetten. Dass sie am Ende die - von der Gruppe formulierten - Bekennerschreiben zuklebte, dürfte aber kaum genügen.

Bitter für das redlich an der Aufklärung arbeitende OLG - und noch mehr für die Angehörigen der Opfer - wird jedoch eines sein: Brigitte Mohnhaupt, Stefan Wisniewski, Knut Folkerts und andere Ex-Terroristen haben wegen der Gefahr der Selbstbelastung als Zeugen die Aussage verweigert. Und sie dürfen sich in dieser Entscheidung bestätigt fühlen, ganz egal, wie das Urteil lautet. Denn allein die Tatsache, dass der Prozess geführt wird, signalisiert: Auch Ex-Terroristen, die bereits eine lebenslange Haftstrafe verbüßt haben, können erneut angeklagt werden. Klüger, man schweigt.

© SZ vom 11.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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