Prozess gegen "Pussy Riot":In Russland regiert die Repression

Im Prozess gegen die russische Punkband "Pussy Riot" geht es um sehr viel mehr als um die jungen Aktivistinnen. Der Fall reiht sich ein in eine ganze Kette von Ereignissen - und Putin darf sich in seinem autoritären Führungsstil ermutigt fühlen.

Frank Nienhuysen, Moskau

Das Urteil muss erst gefällt werden, doch nicht einmal die Verteidiger machen sich große Hoffnungen. In Moskau beginnt jetzt das Hauptverfahren gegen die drei Frauen der Punkgruppe "Pussy Riot", die von der Kanzel der Moskauer Erlöserkathedrale aus für das politische Ende von Wladimir Putin skandiert haben. Rein juristisch kollidiert der Vorwurf des Hooliganismus mit dem beanspruchten künstlerischen Recht auf Meinungsäußerung. Aber es geht um sehr viel mehr als um mögliche Milde gegenüber jungen Aktivistinnen, um eine Entscheidung zwischen Ordnungswidrigkeit oder übler Straftat. In dem Prozess spiegelt sich vielmehr auch eine neue Härte gegen die Kritiker der politischen Führung.

Nadezhda Tolokonnikova, ein Mitglied von "Pussy Riot" bars during a court hearing in Moscow

Nadjeschda Tolokonnikowa, ein Mitglied von "Pussy Riot", bei der Anhörung vor Gericht am 4. Juli 2012.

(Foto: REUTERS)

Die Umstände allein könnten einschüchternd wirken auf die inhaftierten Frauen. Das Moskauer Chamowniki-Gericht ist bereits Ort des Chodorkowskij-Prozesses gewesen, auch damals war es Richter Viktor Danilkin, der das Urteil zu sprechen hatte. Doch mehr noch gilt die lange, mehrmonatige Untersuchungshaft der jungen Mütter bereits als Vorbote eines Schuldspruchs. Ob dieses Verfahren nun politisch ist, wie die Kritiker des Prozesses vermuten, wird sich nicht klären lassen.

Doch der Fall "Pussy Riot" samt dem Flankenschutz aus der Orthodoxie und der Bastion der politischen Konservativen reiht sich zumindest symbolisch ein in eine ganze Kette von Ereignissen. Das neue "Agentengesetz", durch das sich Russlands Zivilorganisationen als angebliche Handlanger des Auslands diffamiert fühlen, die Verschärfung des Demonstrationsrechts, die Verhaftungswelle nach den Massenprotesten - dies sind einige Pflöcke des innenpolitischen Kurses der letzten Wochen. Wer nach den Protesten des vergangenen halben Jahres gedacht hatte, Präsident Putin werde notgedrungen auf seine Kritiker zugehen, einen neuen Gesellschaftsvertrag schließen müssen, lag falsch.

Putin darf sich ermutigt fühlen

Knapp drei Monate nach Beginn der dritter Amtszeit riecht es nicht mehr nach jenem Aufbruch, den ein großer Teil der russischen Gesellschaft herbeigesehnt hat. Scheinbar folgenlos ist die muntere Straßenbewegung geblieben, der Versuch der Bevölkerung, an ihrer eigenen Zukunft politisch mitzuwirken. Die Frauen von "Pussy Riot" können inzwischen eher auf Solidaritätsauftritte von Sting, Madonna und "Red Hot Chili Peppers" setzen als auf die Unterstützung der erlahmenden Protestbewegung. Nach jüngsten Umfragen stützt das russische Volk sogar mehrheitlich die neue Schärfe in der Gesetzgebung. Putin darf sich ermutigt fühlen, den straffen Führungsstil fortzusetzen.

Doch allzu sicher kann sich der Präsident nicht sein. Mehr denn je hat sich der Kremlchef in die Abhängigkeit eines hohen Ölpreises begeben, der Russland finanziert. Nur so lange wird die sichtbare Ermüdung in der Gesellschaft andauern, wie ihr Lebensstandard einigermaßen stabil erscheint. Ist er gefährdet, werden sich die Massen auch schnell wieder mobilisieren. Denn der Kern des Unfriedens hat noch immer Bestand: der Verdruss über die Korruption und die Sorge vor wirtschaftlichem Stillstand.

Ein großer Teil der politischen und wirtschaftlichen Elite ist zudem eng mit Putin verbunden; kann er ihren Wohlstand nicht mehr schützen, dürften sie sich zunehmend abkehren. In der heißen Phase der vergangenen Massenproteste hat sich bereits gezeigt, dass Loyalitäten im Krisenfall auch rasch enden können. Der Kreml muss also mehr tun, als den Status quo zu verwalten und zu hoffen, dass die Menschen wieder in ihre politische Apathie verfallen. Das Problem der Regierung ist nur: Modernisierung und das Stimulieren von schöpferischer Kraft wäre viel leichter in einer freien, selbstbewussten Gesellschaft. Stattdessen wird sie eingeschüchtert.

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