Prozess gegen Bo Xilai:China statuiert ein Exempel

Bo Xilai

Bo Xilai (l.) vor Gericht: Der Prozess gegen ihn steht auch für enttäuschte Hoffnungen.

(Foto: AFP)

Das Verfahren gegen Bo Xilai ist der größte Schauprozess in China seit 30 Jahren. Es dient allein dazu, den Schaden für die Partei klein zu halten. Und es offenbart die Krise, in der das Land steckt: die fehlende Gerechtigkeit, die enttäuschten Hoffnungen, die große Angst der Eliten.

Ein Kommentar von Kai Strittmatter, Peking

Chinas Propagandaapparat ist zuständig fürs Umschreiben von Geschichte und die Umdeutung der Gegenwart. Er hat die folgenden Wahrheiten verkündet: Der Prozess gegen den ehemaligen Partei-Granden Bo Xilai zeigt erstens, wie todernst es der KP mit dem Kampf gegen die Korruption ist. Und zweitens: "Jeder ist gleich vor dem Gesetz. Ein Prinz wird genauso verurteilt wie ein normaler Bürger.

Der Rechtsstaat ist eine Tatsache" (so die Justizzeitung). Wo der Widerspruch gefährlich ist, kann die Macht auch auf einen Hirsch deuten und sagen, das sei ein Pferd, wie es einst der Kanzler Zhao Gao der Qin-Dynastie tat: Minister, die darauf beharrten, da stünde aber ein Pferd, wurden in Ketten gelegt.

Vor Kurzem noch war Bo Xilai Parteichef von Chongqing und wurde von vielen als die Hoffnung für China verehrt. Man kann seinen Sturz als eine Parabel über Macht, Eitelkeit, Brutalität und Intrige lesen. Man kann an seinem Fall aber auch einiges über den Zustand Chinas ablesen. Es ist der größte Schauprozess seit dem Verfahren, das vor mehr als 30 Jahren die Schuld an der Kulturrevolution allein der Viererbande um Maos Witwe Jiang Qing anzulasten suchte.

Die PR-Katastrophe soll zum Symbol politischen Fortschritts umgedeutet werden

Wie Bo hatte auch die Angeklagte Jiang Qing nicht im Sinn, sich dem Gericht zu beugen: "Schlampe" rief sie eine Richterin. Und doch stand das Urteil gegen sie vor Prozessbeginn fest, so wie auch Bos einstige Rivalen - die heutigen Führer in Peking - sein Schicksal längst entschieden haben.

Dieser Prozess ist nicht dazu da, Recht zu sprechen. Er kennt nur ein Ziel: den Schaden für die Partei klein zu halten. Die Führung will dreierlei: erstens, den Skandal so schnell wie möglich hinter sich bringen - im Herbst sollen neue Reformen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik diskutiert werden. Zweitens, einen Bruch in der Partei vermeiden - Bo Xilai hat noch immer viele Sympathisanten. Also darf das Urteil nicht zu harsch ausfallen: keine Todesstrafe, nicht lebenslang, bloß keinen Märtyrer schaffen. Und drittens den Imageschaden beim Volk minimieren. Deshalb der kühne Versuch, die PR-Katastrophe zum Symbol politischen Fortschritts umzudeuten.

Steht Bo Xilai also vor Gericht, weil er korrupt war? Selbst in China glaubt das keiner. Bo, so denken viele, war nicht anders als die anderen Führer. Ein Kind auf einer teuren amerikanischen Eliteschule? Haben viele, auch Parteichef Xi Jinping. Einen geheimen Tresor, aus dem man diesem Kind große Summen zuschiebt, Bestechungsgelder reicher Unternehmer? Das machen doch alle, so im Volk die weitverbreitete Annahme.

Der Prozess steht für enttäuschte Hoffnungen

Wenn die Führung den Kampf gegen die Korruption wirklich ernst meint, wieso ermittelt sie dann nicht gegen andere Parteikader und deren Familien, von denen manche - wie die New York Times enthüllte - Milliarden zusammengerafft haben? Nein, Bo stürzte allein über seinen Ehrgeiz und Machthunger. Er spielte sein Spiel mit vollem Einsatz - und verlor.

Und wie steht es um den Rechtsstaat? In China enden 98 Prozent aller Prozesse mit einem Schuldspruch. Oft entscheiden nicht die Richter, das Urteil wird ihnen von Parteikadern diktiert. Und die Anklagepunkte gegen Bo, Korruption und Machtmissbrauch? Das seien "Fakten, die niemals verneint werden können", wusste die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua schon vor Prozessbeginn.

Die Verbrechen Bo Xilais werden in dem Prozess nicht einmal erwähnt. Er hat viele Unternehmer, Bürger, Andersdenkende in Chongqing in Folterkeller sperren lassen. Zu gefährlich wäre der Schluss: Chongqing ist doch überall, Machtmissbrauch ist alltäglich in China. In China herrschen nicht Gesetze, in China wird mithilfe von Gesetzen geherrscht. Das ist heute nicht anders als vor 30 Jahren. Chinas Justiz trete seit dem Verfahren gegen die Viererbande "auf der Stelle", klagt der Rechtsanwalt Zhang Sizhi, der damals Maos Witwe verteidigt hatte.

Der Prozess gegen Bo Xilai steht auch für enttäuschte Hoffnungen. Gerechtigkeit würde den Kampf gegen Korruption mit Rechtsstaatlichkeit verknüpfen. Gerechtigkeit ist das, was viele im neuen China schmerzlich vermissen. Sie hatten im Fall Bo Xilai eine Chance gesehen für politische Reformen. Aber die neue Führung um Parteichef Xi Jinping hat längst klargemacht, was sie von Ideen wie der einer unabhängigen Justiz hält: nichts. Das wäre gefährlich für die kleine Elite, die sich Macht und Ernte teilt.

So hat der Prozess einen dreifachen Makel: Er verwehrt dem Angeklagten Bo Xilai seine Rechte. Er ignoriert die Menschen, die Bo auf seinem Weg nach oben zerstörte. Und er bringt das Land, das in einer gesellschaftlichen und politischen Krise steckt, um ein Symbol für einen Neuaufbruch.

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