Nordkorea-Konflikt:Die Zweifel nach dem großen Beben

South Korea's Earthquake and Volcano Monitoring Division officer points at where seismic waves observed during a media briefing at Korea Meteorological Administration in Seoul

Nordkoreas Atomtest wurde von Südkoreas Erdbeben-Experten als Erschütterung wahrgenommen.

(Foto: REUTERS)
  • Nordkorea hat einen neuen Atomtest abgehalten.
  • Es war die bei Weitem stärkste Atomexplosion, die Nordkorea je herbeiführte und der sechste Atomtest des isolierten kommunistischen Landes.
  • Experten bezweifeln allerdings, dass das Land in der Lage ist, Atombomben zu bauen, die auch auf Langstreckenraketen montiert werden können.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Mittags um halb zwölf bebte die Erde im Grenzgebiet zwischen China und Nordkorea, Bewohner der Stadt Yanji berichteten, die Erschütterungen hätten zehn Sekunden lang gedauert. Seismologen aus aller Welt orteten das Hypozentrum bei Punggye-ri, dem Atomtestgelände des nordkoreanischen Regimes. Das Beben, dessen Stärke mit 5,7 bis 6,3 angegeben wird, war künstlich ausgelöst worden. Nach Angaben des chinesischen Erdbebendienstes - Punggye-ri liegt im Nordosten Nordkoreas nur 70 Kilometer von der chinesischen Grenze entfernt - soll die Erschütterung anders als ein Erdbeben von der Oberfläche ausgegangen sein.

Es war also ein Atomtest, der sechste, den Nordkorea seit 2006 durchgeführt hat. Und der erste, seit Donald Trump US-Präsident ist. Drei Stunden später prahlte Nordkoreas Staatsfernsehen in einer Sondersendung, seine Militärs hätten eine Wasserstoffbombe getestet, "um die Genauigkeit und Glaubwürdigkeit ihrer Kontrolltechnik zu prüfen", damit die Bombe als "Nutzlast auf die Interkontinentalraketen montiert" werden könne. Das Regime feierte den Test als "perfekten Erfolg". Wenige Stunden vor dem Test hatte die Parteizeitung Rodong Sinmun auf der Titelseite Fotos veröffentlicht, auf denen Diktator Kim Jong-un eine angeblich miniaturisierte Wasserstoffbombe gezeigt wird. Kim habe den Test befohlen, hieß es zudem.

Die meisten unabhängigen Experten bezweifeln bisher, dass Nordkorea in der Lage sei, eine Bombe so zu miniaturisieren, dass sie auf Mittel- oder Langstreckenrakete montiert werden könne. Außerdem hat Nordkorea bisher nie gezeigt, dass es den heiklen Vorgang des Wiedereintritts einer Rakete in die Atmosphäre beherrscht. Die Stärke der Explosion vom Sonntag, die auf 100 bis 120 Kilotonnen geschätzt wird, deutet jedoch auf erhebliche Fortschritte hin. Es war die bei Weitem stärkste Atomexplosion, die Nordkorea je herbeiführte.

Der letzte Test am 9. September 2016 erreichte 15 bis 21 Kilotonnen, das entsprach etwa der Bombe von Hiroshima. Keine unabhängige Bestätigung gibt es für die Behauptung Nordkoreas, es handle sich um eine Wasserstoffbombe. Pjöngjang hatte das schon von seinem vierten Atomtest im Januar 2016 behauptet, die meisten Experten äußerten damals jedoch Zweifel.

Der südkoreanische Geheimdienst hatte vorige Woche gewarnt, Nordkorea könnte für den 9. September den sechsten Atomtest vorbereiten, den Tag der Gründung seiner Republik. Nach Angaben südkoreanischer Parlamentarier, die vom Geheimdienst hinter verschlossenen Türen informiert worden waren, wurden die Testtunnels zwei bis vier in Punggrye-ri so vorbereitet, dass ein Versuch kurzfristig möglich war. Nordkorea-Experten der Johns Hopkins Universität in Baltimore, die regelmäßig Satellitenbilder des Testgeländes auswerten, meldeten hingegen vorige Woche, sie könnten keine Hinweise auf einen unmittelbar bevorstehenden Atomversuch entdecken. Ausschließen wollten sie ihn gleichwohl auch nicht.

Die Anlage in Punggye-ri sei in einem "Standby-Modus", urteilten sie. Obwohl die Satellitenbilder so präzise sind, dass vor ein paar Monaten Leute beim Volleyballspiel auf dem Testgelände beobachtet werden konnten, gelingt es bislang nicht, einen Atomtest präzise vorherzusagen.

Beben ist in Deutschland messbar

Das künstliche Beben wurde auch in Europa registriert. Nach deutschen Messungen erreichte es eine Stärke von 6,1. Norwegens Erdbebendienst errechnete eine Stärke der Explosion von 120 Kilotonnen, andere Schätzungen gingen höher. Während die Messungen über die Wucht des Bebens unterschiedlich waren, identifizierten alle Erdbebendienste wie bei den fünf früheren Tests Punggye-ri als Epizentrum.

Kims Großvater Kim Il-sung begann schon 1962, über Atomwaffen zu reden. 1963 bat er die Sowjetunion, Nordkorea bei ihrer Entwicklung zu helfen. Er wollte, wie er sagte, den Norden zu einer unstürmbaren Festung machen. Heimlich arbeitete zur gleichen Zeit auch Südkorea an einer Bombe. Bis die USA Seoul stoppten. 1985 trat Nordkorea dem Atomwaffensperrvertrag bei, betrieb seine Forschung aber verdeckt weiter. Die Internationale Atombehörde kam dem Land 1993 auf die Schliche und schaltete den UN-Sicherheitsrat ein. Die Administration von US-Präsident Bill Clinton erwog, Nordkoreas Atomanlagen mit einem Präventivschlag zu zerstören, rückte aber davon ab. In der Folge einigten sich Pjöngjang und Washington auf das "Genfer Rahmenabkommen". Demnach sollte der Norden sein Atomprogramm aufgeben, die USA wollten dafür zwei Leichtwasserreaktoren liefern.

Weder Pjöngjang noch Washington hielten sich genau an die Buchstaben des Abkommens. Dennoch hält Joel Wit, der dessen Umsetzung für die US-Regierung leitete, die Vereinbarung für einen Erfolg - ähnlich wie das Nuklearabkommen mit Iran. Es habe Nordkoreas Atomaktivitäten massiv gebremst, ein Forum für Gespräche geboten und vor allem Vertrauen geschaffen. Präsident George W. Bush schließlich ließ das Abkommen platzen, sein Vize Dick Cheney forderte einen militärischen Präventivschlag und den Sturz des Regimes. Seither verschlechtern sich die Beziehungen zwischen Pjöngjang und Washington.

2003 trat Pjöngjang aus dem Atomwaffensperrvertrag aus. Selbst die sogenannten Track-2-Gespräche sind bedroht - informelle diplomatische Kontakte, die trotz aller Krisen geführt wurden. Und mit dem Verbot jeglicher Nordkorea-Reisen, das Präsident Donald Trump jüngst für US-Bürger verhängte, bricht auch der letzte Strohhalm für mehr Vertrauen zwischen beiden Ländern weg. Einige wenige US-Bürger arbeiten bislang als Ärzte, Professoren und Angehörige humanitärer Hilfsorganisationen in Nordkorea, westliche Diplomaten schätzten ihre Zahl auf höchstens 15. Ihr Aufenthalt im Norden ist seit dem 1. September illegal, sie mussten ausreisen.

Das isolierte Regime Kims wähnt sich von feindlichen Mächten umzingelt und erklärt den Irak-Krieg, den Sturz von Saddam Hussein und das Ende von Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi damit, dass diese Diktatoren auf Atomwaffen verzichtet hätten. Dabei dürfte Kim nicht die Absicht haben, seine Atomwaffen einzusetzen. Er weiß, dass das Selbstmord wäre. Vielmehr igelt er sich ein, Massenvernichtungswaffen dienen zur Abschreckung, sie sind die billigste Versicherung gegen Versuche, sein Regime zu stürzen. Deshalb hat Kim sogar in die Verfassung schreiben lassen, Nordkorea sei eine Atommacht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: