Proteste in Reykjavik:Island: Die laute Demokratie

'Panama Papers' Findings Force Iceland's PM To Resign As Citizens Continue To Call For Gov't Reform

Lautstark demonstrieren die Isländer seit Tagen vor dem Parlament.

(Foto: Getty Images)

Lange Zeit dachten die Inselbewohner, sie müssten sich mit ihrem politischen Filz abfinden. Jetzt proben sie den Aufstand. Und sie haben damit Erfolg.

Kommentar von Silke Bigalke

Lange glaubte man in Island, man könne einfach nichts tun gegen den ganzen Filz. Es war eben üblich, dass vor allem reiche Isländer in die Politik gingen und dort oft ihren vermögenden Freunden und Verwandten halfen, noch reicher zu werden. Was sollte man ausrichten gegen die enge Verbindung von Geschäftsleuten, Politikern und Medienvertretern.

In einem so kleinen Volk, das auf einer Insel lebt, ist es unvermeidlich, dass jeder jeden kennt. Den einen half das: Sie wurden dadurch immer mächtiger. Den anderen, wahrscheinlich den meisten, schadete es: Sie lernten, den Mund zu halten. Weil eh nichts half. Und weil in einer abgeschlossenen Gemeinschaft alles auf einen zurückfällt, man sich also lieber keine Feinde macht.

Genau deswegen freuen sich in Island nun viele, dass sie nicht mehr nur unter sich sind; dass der Rest Europas in den vergangenen Tagen augenreibend auf ihr kleines Land geschaut hat. Für diejenigen, die vor dem Parlament demonstrieren, sollen die Panama-Papiere nun der Hebel sein, um etwas zu bewegen in ihrem Land.

Um es wieder vorzeigbar zu machen in Europa, zur Not mit rustikalen Mitteln, mit Eierwerfen und Topfdeckelschlagen. Gegen so stoische Politiker wie den nun zurückgetretenen Premier Sigmundur Davíð Gunnlaugsson hilft nichts anderes. Die Isländer machen auch deswegen so viel Lärm, damit er über Island hinausreicht. Sie wissen, dass es, sobald die Welt wieder wegschaut, wieder schwieriger wird mit Veränderungen.

Panama Papers helfen, das Land zu reinigen

Denn den Wandel vom Volk, das seinen Politikern resigniert zusah, zum Volk, das sie mit Trommeln und Trompeten aus dem Amt jagt, haben die Isländer bereits 2008 vollzogen. Damals hatten es Politiker und Banker mit ihrer Vetternwirtschaft viel zu weit getrieben, was letztlich zur Bankenkrise führte. Auch da stand Island im Fokus, ging der Filz nicht mehr nur das Inselvolk an, sondern auch viele Sparer in ganz Europa.

Den Isländern ist so etwas erst einmal furchtbar peinlich. Sie schämen sich dafür, dass sie nicht die stolze Demokratie sind, die sich bis zu den alten Wikingern zurückverfolgen lässt. Sie schämen sich, dass sie als Europäer Nachholbedarf haben, was Regeln für Politiker angeht. Dass sie es schleifen ließen mit der Moral im Land, aus Resignation, aber wohl auch aus Pragmatismus.

Die Banken beispielsweise waren irgendwann zu mächtig, um sie in Zaum zu halten, selbst für die Regierung - Filz hin oder her. Da hätte auch alles Töpfeschlagen der Bürger nicht geholfen. Auf einer Vulkaninsel lernt man, sich Naturgewalten nicht in den Weg zu stellen.

Dann, als die Katastrophe da war und ihnen den nötigen Hebel verlieh, haben die Isländer danach gegriffen. Sie steckten Banker ins Gefängnis und stellten ihren damaligen Regierungschef vor Gericht. So schwierig diese Zeit war, sie wirkte wie eine Befreiung. Die Isländer sind seither häufig zu Demonstrationen vors Parlament gezogen.

Die Isländer begehren auf

Oft änderten sie dadurch nicht, was im Althing, dem Parlament, vorging; oft blieben die Proteste im Ausland unbemerkt. Zuletzt schafften es die Isländer mit ihren Trommeln in die europäischen Nachrichten, als die Regierung das Land von der Liste der EU-Kandidaten strich, ohne das Volk zu fragen. Das war vor einem Jahr. Auch damals kamen Tausende auf den Platz vor dem Parlament.

Während sich um das kleine Althing-Gebäude herum also viel verändert hat, geht der Wandel drinnen langsam voran. Die Panama Papers haben den Isländern vor Augen geführt, wie langsam. Vieles von dem Filz, den alten Cliquen, ist noch da. Doch anders als früher führt das nicht mehr dazu, dass sich die Isländer damit abfinden, weil ohnehin nichts hilft. Sie protestieren heute vielmehr noch lauter dagegen und fordern hartnäckig Veränderung. Sie werden jeden Hebel dafür nutzen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: