Proteste in Moskau:Russen demonstrieren gegen "Bruderkrieg"

Putin-Gegner in Moskau

Putin-Gegner veranstalten einen Friedensmarsch in Moskau. Drei Viertel der Russen sind gegen einen Einsatz russischer Truppen in der Ukraine.

(Foto: dpa)

Tausende Menschen gehen in Moskau für einen Frieden mit der Ukraine auf die Straße. Der Putin-Kritiker Chodorkowskij ruft zum politischen Kurswechsel auf. Dabei steht staatlichen Umfragen zufolge die Mehrheit der Bevölkerung hinter der Politik des Kremls.

Von Julian Hans, Moskau

Zum ersten Mal seit März haben in Russland wieder in großer Zahl Menschen gegen einen Krieg mit der Ukraine demonstriert. Bei dem von einem massiven Polizeiaufgebot begleiteten Friedensmarsch im Zentrum der russischen Hauptstadt trugen Demonstranten Plakate gegen den "Bruderkrieg" und schwenkten ukrainische Flaggen.

Die letzte große Friedensdemonstration hatte in Moskau vor einem halben Jahr stattgefunden, nachdem russische Soldaten in Uniformen ohne Hoheitszeichen öffentliche Gebäude und Basen des ukrainischen Militärs auf der Krim besetzt hatten. Wenige Tage später verkündete Wladimir Putin den Anschluss der Krim an die Russische Föderation.

In den vergangenen Monaten hatte es öfter Einzelproteste gegeben. Da das repressive russische Versammlungsgesetzt hohe Hürden für die Anmeldung von Demonstrationen setzt und den Organisatoren harte Strafen drohen, sollte gegen Auflagen verstoßen werden, standen die Demonstranten dabei alleine mit Plakaten auf der Straße. Obwohl solche Proteste nicht unter das Versammlungsgesetz fallen, wurden Demonstranten von der Polizei abgeführt.

Obgleich bei der von der Stadt Moskau genehmigten Demonstration am Sonntag erstmals wieder Tausende auf die Straße gingen, ergeben jüngste Meinungsumfragen keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich größerer Widerstand gegen die Politik des Kremls formieren könnte. Laut dem unabhängigen Levada-Zentrum war die Protestbereitschaft im August so niedrig wie nie seit Putins erster Amtszeit. Nur 17 Prozent der Befragten halten Proteste in ihrem Heimatort für wahrscheinlich. Nur acht Prozent wären bereit, daran teilzunehmen.

Einer Umfrage des staatlichen Instituts Wziom zufolge sprechen sich zwar etwa drei Viertel der Bürger gegen einen Einsatz russischer Soldaten in der Ukraine aus. Gleichzeitig unterstützen aber mehr als 86 Prozent die Politik Putins. Die zahlreichen Hinweise darauf, dass in der Ukraine nicht nur Freiwillige, sondern auch reguläre russische Soldaten im Einsatz sind, werden im Staatsfernsehen verschwiegen. Etwa 90 Prozent der Bürger beziehen ihre Informationen ausschließlich aus den staatlich kontrollierten Kanälen.

Ölmagnat Chodorkowskij ruft zu politischem Kurswechsel auf

Am Samstag startete der frühere russische Ölmagnat Michail Chodorkowskij einen neuen Anlauf, demokratische und proeuropäische Kräfte in Russland zu einigen und zu fördern. Bei der Gründungs-Veranstaltung für die Bewegung "Offenes Russland" in Paris rief der ehemals reichste Mann Russlands seine Landsleute auf, sich vor der Parlamentswahl 2016 für einen politischen Kurswechsel und Rechtsstaatlichkeit einzusetzen.

"Offenes Russland" soll über eine Online-Plattform ein Forum für Gleichgesinnte bieten, ist laut Chodorkowskij aber keine politische Partei. "Wahre Patrioten sollten ihrem Land und Volk auch in düsteren Zeiten dienen", sagte der 51-Jährige, der im Dezember nach zehn Jahren Lagerhaft von Putin begnadigt worden war und mittlerweile in der Schweiz lebt. "Eine Minderheit kann einflussreich sein, wenn sie sich organisiert."

Der Zeitung Le Monde sagte Chodorkowskij, er plane nicht Präsident Russlands zu werden, "wenn sich das Land normal entwickelt". Aber wenn es notwendig werde, um eine Krise zu überwinden und "die Macht des Präsidenten in einer Verfassungsreform wieder den Gerichten, dem Parlament und der Zivilgesellschaft zurückzugeben, wäre ich bereit, mich an dieser Aufgabe zu beteiligen".

Lage im Osten der Ukraine bleibt angespannt

Im Osten der Ukraine blieb die Lage am Wochenende auch nach der Verständigung auf eine Pufferzone zwischen ukrainischen Streitkräften und Separatisten angespannt. In der Industriemetropole Donezk waren nach Angaben eines Reuters-Korrespondenten mehrere schwere Explosionen zu hören. Örtliche Behörden teilten mit, eine Munitionsfabrik sei unter Beschuss geraten. Auch aus Richtung des umkämpften internationalen Flughafens waren Explosionen zu vernehmen. Nach Angaben der ukrainischen Armee waren in der Nacht bei Kämpfen ein Soldat getötet und sieben weitere verletzt worden.

Die Separatisten registrierten einen Rückzug der Regierungstruppen aus Ortschaften im Gebiet um Donezk. Die ukrainische Regierung und prorussische Separatisten hatten sich am Samstag auf die Einrichtung einer Pufferzone geeinigt, um Verstöße gegen die Waffenruhe zu verhindern. Beide Seiten sagten nach Angaben des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma bei einem Treffen der sogenannten Kontaktgruppe im weißrussischen Minsk zu, schwere Waffen von der Front jeweils um 15 Kilometer zurückzusetzen. Die Pufferzone werde von Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) überwacht. Kutschma vertritt die Regierung in Kiew bei der Kontaktgruppe.

Die Nato beschloss am Wochenende, entlang ihrer Außengrenze zu Russland bis zu fünf regionale Kommandozentralen zu errichten. Die vier bis fünf Zentren seien in Litauen, Lettland, Estland, Polen und Rumänien geplant, sagte ein litauischer Armeesprecher in Vilnius. Die Zentrale in Litauen soll demnach noch dieses Jahr in Betrieb genommen werden. Den Angaben zufolge sollen in jeder Zentrale 120 Soldaten stationiert werden, die jeweils die Verantwortung für ein multinationales Bataillon übernehmen sollen.

Die Nato hatte bei ihrem Gipfel in Wales Anfang September den Aufbau einer neuen Eingreiftruppe sowie einen Aktionsplan für Osteuropa beschlossen, um die Präsenz des Militärbündnisses in der Region zu erhöhen.

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