Proteste in Iran:Nedas Stimme

Eine junge Frau stirbt bei den Protesten und wird zur Ikone des Widerstands in Iran: Das Regime kann zwar die Journalisten kontrollieren, ist gegen die Bilder aus der Masse aber machtlos.

Wolfgang Jaschensky

Eine junge Frau liegt auf der Straße, zwei Männer beugen sich über sie. Einer presst beide Hände auf ihre Brust, Blut rinnt erst aus einem Mundwinkel, plötzlich ist ihr ganzes Gesicht voll davon, Menschen rufen: "Bleib wach" und "Hab keine Angst". Doch die Iranerin kann nicht mehr antworten. 54 grausame Sekunden dauert das Dokument ihres Todeskampfes, 54 Sekunden wackelige Bilder, festgehalten vermutlich mit einer Handykamera. 54 Sekunden, die jetzt um die Welt gehen.

Neda, screenshot: sueddeutsche.de

Öffentlicher Tod: Die dramatischen Bilder vom Sterben einer jungen Iranerin

(Foto: Screenshot: sueddeutsche.de, Quelle: Youtube)

Die wertvollsten Waffen der Opposition

Die junge Frau soll Neda Soltani geheißen haben. Bestätigt wurde ihre Identität bislang von keiner verlässlichen Quelle. Überhaupt gibt es kaum belastbare Informationen über den Tod der jungen Frau, die über das hinausgehen, was auf dem Video zu sehen ist. Häufig wird eine anonyme Person zitiert, die den Vorfall beobachtet haben will. Demnach soll Neda am 20. Juni um 19.05 Uhr von einem Heckenschützen der paramilitärischen Bassidschi-Milizen an der Kreuzung der Straßen Khosravi und Salehi im Zentrum Teherans erschossen worden sein.

Zumindest die Angaben über den Täter werden wohl für immer Spekulation bleiben. Doch diese Ungewissheit ändert nichts an der Wirkung der Bilder. Die Kunde vom Tod der jungen Frau verbreitet sich rasend schnell über das Internet und auch Fernsehsender zeigen die Bilder der sterbenden Neda.

Auf Wikipedia wurde ihr bereits ein Eintrag gewidmet, bei Facebook schließen sich Tausende zusammen, um ihres Todes zu gedenken, unzählige iranische und internationale Blogs diskutieren die Bilder. Und beim Kurznachrichtendienst Twitter werden fast sekündlich Nachrichten abgesetzt, die sich auf Nedas Tod beziehen: "Neda - die Welt wird dich nie vergessen", "Neda - Engel des Iran", "Neda, dein Martyrium wird nicht vergebens sein".

Neda wird zur Ikone des Widerstandes in Iran - sie steht aber auch exemplarisch für die Bedeutung neuer Medien in dem Konflikt: Internet und Handys mit Kamera sind die mächtigsten Waffen der Opposition.

Dem Regime in Iran gelingt es wirkungsvoll, die Arbeit von ausländischen und anderen kritischen Journalisten zu unterdrücken. Korrespondenten dürfen meist gar nicht berichten, auf gar keinen Fall aber filmen und fotografieren. Das iranische Staatsfernsehen überträgt Sport, während es in den Straßen der Hauptstadt brennt.

Gegen den Einsatz von Mobiltelefonen mit Kameras, der Verbreitung von Filmen und Informationen über Youtube, Facebook und Twitter ist das Regime aber bislang machtlos. Zwar versucht die Regierung, auch das Internet zu kontrollieren. Doch bislang gelingt es der Opposition sich trotz der Einschränkungen im Netz, lahmgelegter Mobilfunknetze und konfiszierter Handys ihren Protest zu organisieren und die Welt darüber zu informieren.

Die Macht der Masse

Die BBC erhielt schon kurz nach Beginn der Proteste jede Minute etwa fünf Videos zugespielt, die die Lage in Irans Hauptstadt dokumentieren. Auf Youtube ist die Menge der Videos inzwischen kaum mehr zu überblicken.

Meist ist nicht klar, wann und wo die Szenen aufgezeichnet worden sind, wer die Aufnahmen gemacht hat und mit welcher Absicht. Theoretisch kann ein neu hochgeladenes Video Proteste zeigen, die schon vor Tagen stattfanden und nicht die heutige Situation abbilden. Theoretisch können manche Videos außerhalb Irans inszeniert worden sein. Sicher wurden die meisten nicht in der Absicht aufgenommen, die Geschehnisse möglichst objektiv zu zeigen.

Twitter-Revolution

Trotz dieser offensichtlichen Defizite: Die wackligen Bilder fördern zutage, was die Regierung gerne verheimlichen würde. Die schiere Masse der Zeugen sorgt für eine umfassendere Darstellung der Situation in der Hauptstadt, als dies alle Teheran-Korrespondenten könnten, selbst wenn sie frei berichten dürften.

Auch für die Organisation der Proteste spielt das Internet eine entscheidende Rolle. Im Kurznachrichtendienst Twitter verabreden und kommentieren viele Teheraner die Proteste. Das Etikett Twitter-Revolution, das manche dem Protest schon angeheftet haben, mag übertrieben sein. Sicher ist aber: Das Regime hat die Möglichkeiten und die Macht neuer Medien unterschätzt.

"Sie haben Neda getötet, aber nicht ihre Stimme" - kann man heute tausendfach im Internet lesen, bei Twitter und Youtube, auf Facebook und in Blogs. In diesem Satz steckt mehr Wahrheit, als dem Regime recht sein kann.

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