Proteste in Hongkong:Mit Regenschirmen gegen die Regierung

Mit so viel Polizeigewalt hatten die Hongkonger nicht gerechnet. Doch die Demonstranten lassen sich nicht vom Kalkül der Regierung einschüchtern. Für Jubel sorgt ein abgesagtes Feuerwerk.

Von Kai Strittmatter, Hongkong, und Sebastian Gierke

Hongkong steht unter Schock. Die Menschen wussten, dass die Proteste nicht unbeantwortet bleiben. Doch mit Polizeigewalt in so einem Ausmaß hatte kaum jemand gerechnet. Zehntausende waren am Sonntag dem Aufruf der Bürgerbewegung "Occupy Central with Love and Peace" zu zivilem Ungehorsam gefolgt und hatten versucht, den Hongkonger Finanzbezirk zu besetzen. Die Polizei reagierte sofort: mit Pfefferspray, Tränengas und Gummiknüppeln trieb sie die Demonstranten auseinander.

Die Hongkonger kennen solch ein harsches, brutales Vorgehen nicht. Im Jahr 2005 hatte die Polizei zuletzt Gewalt gegen Demonstranten eingesetzt, am Rande des WTO-Gipfels. Damals gingen Globalisierungskritiker und Mitglieder einer radikalen südkoreanischen Bauernbewegung auf die Straße. Dass die Polizei jetzt mit Gewalt gegen Schüler und Studenten vorgeht, empört viele der grundsätzlich eher konservativ eingestellten Bewohner der Millionenmetropole. Denn die Gewalt ging nicht von den Demonstranten aus. Die verhielten sich völlig friedlich, es flogen keine Flaschen, keine Steine auf die Polizisten.

"Die Polizei hat nicht genug Einsatzkräfte"

Nach dem ersten Aufwallen der Proteste schien am Montag wieder etwas Ruhe in Hongkong einzukehren. Die Behörden der chinesischen Sonderverwaltungszone verkündeten den Abzug der Bereitschaftspolizei. Stattdessen wurden Sicherheitsbeamte in normaler Alltagsuniform auf die Straße geschickt. Allerdings verschwanden nicht alle Bereitschaftspolizisten von den Straßen.

Die Regierung teilte mit, dass die Einheiten abgezogen worden seien, "weil sich die auf den Straßen versammelten Bürger beruhigt haben". Tatsächlich blockierten Tausende Hongkonger weiterhin wichtige Kreuzungen und Hauptstraßen der Millionenstadt. Den Aufforderungen der Regierung, die Straßen "schnellstmöglich" zu räumen, um Rettungswagen die Durchfahrt zu ermöglichen und "die teilweise Wiederaufnahme des öffentlichen Nahverkehrs" zu ermöglichen, leisteten sie nicht Folge.

Einige der Demonstranten werteten die verringerte Polizeipräsenz als Zeichen der Schwäche des Regierungsapparates. "Wir sind jetzt noch zuversichtlicher. Die Polizei hat nicht genug Einsatzkräfte, um die Bezirke abzuriegeln, in denen protestiert wird", sagte der 27-jährige Ivan Yeung der Nachrichtenagtentur AFP zufolge.

Die entscheidende Frage ist, wie China auf die Proteste reagiert. Für die Staatsführung in Peking sind die Unruhen eine der größten politischen Herausforderungen seit dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking vor 25 Jahren. Schon warnt China ausländische Regierungen vor einer Einmischung. Das Außenministerium erklärte, die Volksrepublik stelle sich gegen jeden Versuch von außen, "illegale Bewegungen" wie Occupy Central zu unterstützen.

Die Situation in Hongkong ist für China bedrohlich. Peking befürchtet, dass die Proteste Signalwirkung haben und auf das Festland übergreifen. In Hongkong steigen die Spannungen bereits seit Monaten: Auf der einen Seite stehen die Regierung und die Kommunistische Partei in Peking, auf der anderen Seite das demokratische Lager und zivilgesellschaftliche Organisationen. Konkret fordern die Demonstranten die freie Direktwahl des nächsten Regierungschefs 2017.

Zwei Forderungen von "Occupy Central"

Hongkong war bis 1997 britische Kronkolonie, bei der Rückkehr ins chinesische Vaterland 1997 versprach die Pekinger Regierung der Stadt Autonomie und eben jene freie Wahl des Regierungschefs. Bislang wird er jedoch durch eine Kommission von 1200 handverlesenen Wahlmännern bestimmt. Im August entschied der Nationale Volkskongress in Peking, Chinas Scheinparlament, 2017 sollten tatsächlich erstmals alle Bürger Hongkongs zur Wahl gehen dürfen. Allerdings dürfen sie dem Plan zufolge nur zwischen zwei oder drei Kandidaten wählen - diese aber müssen "Patrioten" sein und werden von einem Wahlmännergremium bestimmt. Die KP stellt damit sicher, dass auch der nächste Regierungschef ein ihr genehmer Kandidat ist.

"Occupy Central" verlangte zu Beginn der Proteste in einer Stellungnahme zwei Dinge: Der Nationale Volkskongress in Peking müsse den Plan zurücknehmen; und die Hongkonger Regierung müsse politische Reformen einleiten und mit den Bürgern reden. Im Juni hatten sich 800 000 Hongkonger bei einem inoffiziellen Referendum für Reformen ausgesprochen.

Vetternwirtschaft und Korruption auf höchster Ebene

Die Stadt war auch unter britischer Herrschaft nie demokratisch, allerdings galten rechtsstaatliche Grundsätze. Bis heute genießen die Hongkonger Freiheiten, die anderswo in China unvorstellbar sind. Allerdings beklagen sie in den vergangenen Jahren eine schleichende Erosion dieser Freiheiten und die wachsende Einmischung Pekings. Die Zensur in der Presse wird mehr, die kritische Webseite House News musste schließen, weil ihre Gründer bedroht worden waren. Zudem fühlen sich viele Bürger schlecht regiert. Die soziale Ungleichheit steigt, Wohnungen werden für die Mittelschicht unbezahlbar, der Zustrom von Festland-Chinesen strapaziert die Ressourcen. Die Menschen fordern Mitbestimmung.

Einst war Hongkong in Asien Musterbeispiel einer sauber und effizient geführten Metropole. Nun herrschen Vetternwirtschaft und Korruption auf höchster Ebene. Letzte Woche machte ein Prozess gegen den ehemaligen Verwaltungschef Rafael Hui, einst die Nummer zwei der Stadt, Schlagzeilen: In einer spektakulären Enthüllung gestand Rafael Hui, heimlich elf Millionen Hongkong-Dollar (etwas mehr als eine Million Euro) angenommen zu haben - er berichtete zudem, die Millionen seien direkt aus Peking geflossen.

"Es ist depriminierend"

Solche Vorfälle treiben die Demonstranten an: "Es ist deprimierend. Die Leute, die uns regieren, sind nur Peking verpflichtet", sagte eine Aktivistin. "Wenn wir keine echten Wahlen bekommen, wird es bergab gehen mit Hongkong. Wir werden wie alle anderen chinesischen Städte werden."

Noch hält sich China zurück, doch das wenige, das nach außen dringt, ist durchaus besorgniserregend. So schreibt die regierungsnahe chinesische Zeitung Global Times in einem Kommentar: "Die radikalen Aktivisten sind dem Untergang geweiht ("The radical activists are doomed"). Die Oppositionsgruppen wüssten sehr gut, dass es unmöglich ist, die getroffenen Entscheidungen zu verändern.

In einem anderen Kommentar der Global Times wurde sogar dazu geraten, die bewaffnete Volkspolizei in Hongkong einzusetzen, die sogenannte People's Armed Police. Der Text verschwand allerdings Minuten nach seiner Veröffentlichung wieder von der Webseite. Gerüchte über einen chinesischen Militäreinsatz raunen sich die Menschen auch in Hongkong auf den Straßen zu. Dafür gibt es allerdings keinerlei Belege.

Ein kleiner Sieg

Im Moment machen die Demonstranten nicht den Eindruck, dass sie das Vorgehen der Polizei abschreckt. Vielmehr scheint sich immer mehr Empörung Bahn zu brechen, die noch mehr Menschen mobilisieren könnte, an den Demonstrationen teilzunehmen. Auch ein Symbol hat die Demokratiebewegung bereits: den Regenschirm. Von der "Umbrella Revolution" ist die Rede. Auf der Straße trugen die Pro-Demokratie-Aktivisten weiße Masken und eben Regenschirme, um sich vor dem Pfefferspray der Sicherheitskräfte zu schützen.

Der vorläufige Höhepunkt der Proteste könnte deshalb am Mittwoch, am Nationalfeiertag erreicht werden, wenn auch in Hongkong nicht gearbeitet wird. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden dann noch einmal Tausende auf die Straßen gehen, um ihren Forderungen nach mehr Demokratie Nachdruck zu verleihen.

Als am Montag die Meldung kommt, bricht Jubel aus im Lager der Demonstranten: Die Regierung von Hongkong hat das große Feuerwerk abgesagt, das traditionell am Mittwoch, dem chinesischen Nationalfeiertag, stattfinden sollte. Das Feuerwerk an diesem bedeutenden Tag ist auch ein nationales Symbol, ein Symbol der Stärke Chinas. Die Aktivisten feiern die Absage als Sieg. Als kleinen Sieg.

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