Proteste in Hongkong:Das war nur der Anfang

Protesters walk along a street as they block an area near the government headquarters building in Hong Kong

In Hongkong geht die junge, gebildete Mittelschicht auf die Straße.

(Foto: REUTERS)

Die chinesische Metropole war ein gut funktionierendes Gemeinwesen. Bis Peking das Erfolgsmodell durch Korruption und Unfreiheit schrittweise ruinierte. Nun hängt alles von der chinesischen Führung ab.

Kommentar von Kai Strittmatter

Asia's finest - die Besten Asiens. So nannten sich noch vor Kurzem Hongkongs Polizisten. So sah sich der ganze Beamtenapparat. Eigentlich war es das Selbstverständnis der Hongkonger insgesamt: Man war stolz: auf sich, auf die Stadt, eine der unglaublichsten Metropolen der Welt, wo unbändiger Fleiß und Unternehmergeist, eine unabhängige Justiz und eine saubere Verwaltung Hand in Hand gingen, um ein Wunder an Effizienz und Wohlstand zu schaffen.

Jedoch: Die Besten Asiens, das war einmal. Heute macht Hongkongs Verwaltung durch Korruptionsskandale Schlagzeilen, die Polizei greift die eigenen Bürger an. Auch deshalb war die Entwicklung in den letzten Jahren so deprimierend. Man konnte zusehen, wie ein wunderbar funktionierendes Gemeinwesen ohne guten Grund Schritt für Schritt ruiniert wird, wie all die Säulen, auf denen das Erfolgsmodell Hongkong gebaut ist - Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Intoleranz gegenüber Nepotismus und Korruption -, erodieren. Auch deshalb stehen sie nun auf den Straßen von Hongkong, die Bürger, weil ihnen diese Erosion wehtut.

Peking hat das Erfolgsmodell der Stadt schrittweise ruiniert

Peking und die Hongkonger Regierung warnen, die Demonstranten gefährdeten die Stabilität und den wirtschaftlichen Erfolg Hongkongs. Das Gegenteil ist der Fall: Beides ist gefährdet, wenn die an der Macht so weitermachen wie bisher. Für alle, die von der Überlegenheit des chinesischen Modells schwadronieren: In Hongkong lässt sich gut studieren, wie die Fäulnis einsetzt, wenn die in China herrschenden Gepflogenheiten wie Vetternwirtschaft und politische Einflussnahme die Rechtsstaatlichkeit und den freien Markt unterwandern.

Eines ist jetzt schon sicher: Egal wie die Konfrontation ausgeht zwischen den Bürgern Hongkongs und den Mächtigen in Peking - die Stadt wird eine andere sein. Was auch immer die Regierenden in Peking und in Hongkong geritten hat bei ihrer Kompromisslosigkeit, bei ihren harschen Vorstößen der letzten Monate, sie haben das Gegenteil von dem erreicht, was sie wahrscheinlich wollten. Sie haben die Bürger zusammengeschweißt, sie haben sich eine ganze Generation von Jugendlichen zu Gegnern gemacht. Die Mächtigen haben den Protest erst geschaffen, der ihnen nun Sorgen bereitet.

Die hochgebildete Mittelschicht geht auf die Straße

Wie wird Peking nun reagieren? Aus Sicht der KP-Führung muss es so aussehen, als brenne es im Moment überall an den Rändern des Reiches: in Xinjiang, in Tibet und nun auch in Hongkong. Polizeigewalt, Repression und Nachrichten-Sperren sind die Antwort Pekings in den beiden Westprovinzen. Aber Hongkong ist anders. Hier steht eine hochgebildete, international vernetzte Mittelschicht auf den Straßen, die noch immer Rückhalt hat in den Universitäten und in manchen Medien. Staats- und Parteichef Xi Jinping verlangt von den Hongkongern, sie müssten chinesische Patrioten sein. Bei einem harten Vorgehen verlöre er endgültig allen Respekt und alles Vertrauen der Menschen in Hongkong.

Und die Regierungen des Westens? Die schauen lieber noch weg, obwohl sie sich eigentlich fragen müssten, wie es um die Vertrauenswürdigkeit einer Regierung und ihrer internationalen Verträge bestellt ist, wenn diese ihre Versprechen so eklatant bricht wie China im Falle Hongkongs. Käme es zu wirklicher Gewalt, dann wäre es wohl vorbei mit dem Wegschauen, Peking ginge ein Risiko ein.

Xi könnte jedes Zugehen auf die Hongkonger als Schwäche werten

Die große Frage ist, ob das den KP-Führern nicht egal ist. Weil sie weniger nach außen schauen als nach innen. Xi Jinping hat sich bislang allen Herausforderern der KP-Linie gegenüber als kompromissloser Hardliner erwiesen. Unter anderem mit seiner Anti-Korruptions-Kampagne hat er sich zu Hause Gegner geschaffen, die nur darauf warten, dass er Schwäche zeigt. Zu befürchten ist, dass Xi jedes Zugehen auf die Hongkonger, jedes Verhandeln, als eben solche Schwäche empfindet. Auch weil er Nachahmer im eigenen Lande fürchtet, weil sich das Beispiel Hongkongs als ansteckend erweisen könnte. Xi Jinping ist in einem Dilemma.

Dabei gäbe es Wege. Er könnte erst einmal seinen Hongkonger Statthalter, den unfähigen Leung Chun-ying, entlassen. Er könnte mit Zurückhaltung und kleinen Zugeständnissen die Proteste versanden lassen. Anders als Pekings Propaganda behauptet, sind die Hongkonger Demonstranten nämlich nicht radikal. Sie sind auch nicht naiv. Viele wären mit kleinen Schritten zufrieden. Was sie so empört, ist, dass die Regierung sie bislang komplett ignoriert und brüskiert hat.

Xi Jinping und seine Genossen müssten über ihre eigenen Schatten springen. Sie sollten genau lauschen, was in Hongkongs Straßen gesprochen wird. Ein viel gehörter Satz ist der hier: "Dies ist erst der Anfang."

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