Proteste in Georgien:Opposition mobilisiert Zehntausende

In Georgien wird Unmut über die Politik von Präsident Saakaschwili laut. Zehntausende Oppositionsanhänger demonstrierten in Tiflis für mehr Demokratie.

In Georgien sind erstmals seit dem Krieg mit Russland rund 10.000 Oppositionsanhänger gegen die Politik von Präsident Michail Saakaschwili auf die Straße gegangen. Wie vor einem Jahr forderten sie ein Ende des "autoritären Regimes" sowie freie Neuwahlen im Frühjahr 2009.

Ließ Saakaschwili seine Gegner am 7. November 2007 noch brutal niederknüppeln, so hielten sich die Behörden nun zurück. Seit dem Krieg steht der prowestliche Staatschef nicht nur innenpolitisch unter Druck. Auch der Westen verfolgt gespannt, ob der in die EU und die NATO strebende Präsident seine angekündigten "radikalen Reformen" umsetzt.

"Wir fordern Pressefreiheit, eine Reform des Wahlgesetzes und die Freilassung politischer Gefangener", rief der Oppositionelle Kacha Kukawa im Zentrum von Tiflis. Der Politiker der Konservativen Partei sowie Führer anderer oppositioneller Bewegungen marschierten zum Palast des Präsidenten, um dort ein Papier mit ihren Forderungen zu übergeben. Es werde noch in diesem Monat Hungerstreiks geben, sollte der früher regierungskritische Fernsehsender Imedi TV nicht an seine Eigentümer zurückgegeben werden, drohte Kukawa.

Saakaschwili versäumte es aus Sicht seiner Kritiker nach dem verlorenen Krieg um die abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien, das Land aus der Krise zu führen. Die Opposition gibt dem Staatschef die direkte Schuld am Blutvergießen vor drei Monaten sowie dem Verlust der beiden Territorien.

Der von den USA unterstützte Saakaschwili wechselte zwar den Armeechef aus und auch die vier Minister für Kultur, Umwelt, Wohnungsbau und Justiz. Viele Georgier fragten sich aber, welche Schuld ausgerechnet diese Politiker an dem Krieg treffe.

Der einstige Held der Rosenrevolution, der 2003 als Hoffnungsträger der Bevölkerung Eduard Schewardnadse aus dem Amt drängte, verliert seit Jahren an Rückhalt. Zuletzt warf ihm auch seine frühere Weggefährtin, die langjährige Parlamentschefin Nino Burdschanadse, vor, die Ideale von Hunderttausenden Georgiern verraten zu haben.

Wegen zunehmend "autoritärer Tendenzen" in ihrem Land will Burdschanadse zum fünften Jahrestag der Revolution am 23. November ihre eigene Oppositionspartei gründen. "Das politische Leben in Georgien kommt in Fahrt", sagte Burdschanadse, der Experten beste Chancen für eine vorzeitige Saakaschwili-Nachfolge einräumen.

Saakaschwili spricht von Gefahr eines neuen russischen Großangriffs

Oppositionelle Gruppierungen schließen sich zusammen. Die lange gespaltene Opposition scheint sich bisher einig zu sein, den Wechsel langsam und gut vorzubereiten. Zwar sieht sich Saakaschwili zunehmend mit Rücktrittsforderungen konfrontiert, doch wagt nach Einschätzung von Beobachtern bisher keiner einen Putsch, um nicht als Agent Russlands zu gelten.

Saakaschwili spricht bis heute von der Gefahr eines neuen russischen Großangriffs auf Georgien. Der Chef der seit Oktober im Land stationierten EU-Beobachtermission, der deutsche Diplomat Hansjörg Haber, schätzt die Lage in den "Pufferzonen" vor Abchasien und Südossetien als eher ruhig ein. Experten sehen in Saakaschwilis Warnungen Ablenkungsmanöver. Denn trotz der vom Westen beschlossenen Milliardenhilfen zum Wiederaufbau des Landes nach dem Krieg muss auch Saakaschwili in seinem von Armut geplagten Land nun noch mit den Folgen der globalen Finanzkrise kämpfen.

Suche nach den Ursachen der Eskalation im August

Außerdem wächst der Druck auf den Präsidenten fast täglich durch die vielfältigen Untersuchungen zur Schuldfrage im Kaukasuskrieg. Hat der 40-Jährige bisher immer nur Russland die Schuld an dem Blutvergießen gegeben, stellte zuletzt auch eine parlamentarische Untersuchungskommission in Tiflis seine Version von Selbstverteidigung mehrfach infrage.

Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bestätigten laut einem Bericht der New York Times vom Donnerstag, dass georgische Truppen die südossetische Hauptstadt Zchinwali massiv unter Beschuss genommen hätten. Das war, bevor Russland seine Truppen zum Schutz seiner Bürger dort einmarschieren ließ. Nun soll die Schweizer Diplomatin und Kaukasusexpertin Heidi Tagliavini (58) im Auftrag der EU die Eskalation des Konflikts zwischen Georgien und Russland im August dieses Jahres aufklären.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: